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3 Die Darstellung der Theorien in ihrem historisch-biografischen Kontext

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Theorien einer Wissenschaft – als Einführung in ein weites und komplexes Feld – können nach verschiedenen Aspekten zusammengestellt werden. Malcolm Payne (2014), Joyce Lishman (2007) und Francis J. Turner (2011) unterscheiden zum Beispiel die Theorien in psychodynamische, verhaltenstheoretische, systemisch-ökologische, sozialpsychologische, kognitive und humanistische Ansätze oder Modelle. Andere AutorInnen wiederum klassifizieren die Theorien nach den ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnismethoden; so werden transzendentalphilosophische, geisteswissenschaftliche, hermeneutische, kritisch-rationale, dialektisch-kritische und marxistische Ansätze und Theorien unterschieden (vgl. Lukas 1979; Schmidt 1981; Marburger 1981 u. a.). Wir haben keine derartige Klassifizierung vorgenommen, sondern sind historisch vorgegangen und haben die Theorien nach dem Geburtsjahr der AutorInnen zusammengestellt.

Theorien sind in der Regel eine Antwort auf die Herausforderungen ihrer Zeit. Zu ihrem besseren Verständnis stellen wir sie deshalb in ihrem historisch-biografischen Kontext dar und gehen dabei nach der historischkritischen Methode vor. In den gängigen Zusammenstellungen von Theorien der Sozialen Arbeit werden zwar die AutorInnen der betreffenden Theorien mit ihren Lebensdaten vorgestellt, für gewöhnlich wird aber nichts weiter über ihren historischen und biografischen Kontext, in dem diese Theorien entstanden sind, mitgeteilt. In der Wissenschaftspsychologie und -soziologie wird zunehmend auf die Zusammenhänge und Abhängigkeiten der Theoriebildung vom persönlichen Lebenskontext der AutorInnen und vom politischen, wirtschaftlichen und kulturellen, also auf den historischen Kontext seines/ihres wissenschaftlichen Arbeitens aufmerksam gemacht, selbst bei naturwissenschaftlichen Theorien (vgl. Meÿenn 1997).

„Da die Wissenschaftsentwicklung … wesentlich von der jeweiligen Struktur der kognitiven Gegebenheiten abhängt, dürfen institutionelle, vor allem auch soziokulturelle Bedingungen im Hinblick auf ihre inhaltliche Ausgestaltung nicht vernachlässigt werden. Wissenschaftliche Methoden, Begriffssysteme und Interpretationsschemata unterliegen historischen Veränderungen“ (Mittelstraß 1996, 736). Wissenschaftliche Theorien „fallen nicht vom Himmel“, sondern sind Lebensprodukte.“ … the essence of the history of science is biographical and one wants to know the total person to whom a new theory is due if the genesis of his ideas is to be understood. These ideas do not always arise from objective nature but rather from the idiosyncratic viewpoint of unique individuals” L. Pearce Williams zit. nach Meÿenn 1997, 7). Ein beeindruckendes Beispiel hierfür finden wir bei Sigmund Freud.

Im Mittelpunkt seiner Theorie der Psychoanalyse stand beim jungen, gesunden Freud der Sexualtrieb (libido). Seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg haben ihn erschüttert und ihn die Bedeutung der Aggression erkennen lassen. „Erst das Ausmaß an Zerstörung, wie der Weltkrieg sie mit sich brachte, ließ Freud in der Aggression einen eigenen Trieb, einen Destruktionstrieb, annehmen“ (Wyss 1977, 83). Unter dem Eindruck des Krieges und seiner eigenen Krebserkrankung – der starke Pfeifenraucher Freud wurde über 30 Mal im Mund- und Kieferbereich operiert – widmete sich der alternde Freud ab 1920 verstärkt dem Destruktionstrieb und bezeichnete ihn als Gegenspieler des Sexualtriebs und gab ihm den Namen Todestrieb (thanatos).

Dass auch WissenschaftlerInnen Alltagstheorien entwickeln, die aus den persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen ihres alltäglichen Lebens resultieren, ist unseres Erachtens genauso unzweifelhaft wie der Tatbestand, dass wissenschaftliche Theorien mit den Alltagstheorien und den persönlichen Lebenserfahrungen der AutorInnen zusammenhängen. Es wäre zu überprüfen, ob eine sozialwissenschaftliche Theorie letztlich nichts anderes als eine Weiterführung, Vertiefung, Systematisierung und nachprüfbare Begründung des Alltags- und Berufswissens der AutorInnen ist (vgl. Mühlum u. a. 1997).

Aus den genannten Gründen werden wir neben den bei Theoriedarstellungen üblichen Kategorien (Wissenschaftsverständnis, Forschungsgegenstand/-interesse, Inhalt und Bedeutung der Theorie) im Rahmen des hier Möglichen auch den historischen und den biografischen Kontext kurz skizzieren, in dem die Theorien entstanden sind. Eingeleitet wird jede Darstellung mit einem für den Autor/die Autorin unserer Meinung nach charakteristischen Zitat und einer Fotografie des/der Autors/Autorin.

Der Leitfaden, nach dem die einzelnen Theorien vorgestellt werden, besteht aus folgenden Kategorien:

(1) Historischer Kontext: Der zeitgeschichtliche Rahmen der Theorie, die soziokulturellen und ökonomischen Bedingungen, die sozialen Probleme, die vorherrschende Wissenschaftsauffassung.2

(2) Biografischer Kontext: Wichtige Lebensdaten, soziokulturelle Einbindung sowie Zugang zu Macht und Einfluss.

(3) Forschungsgegenstand und -interesse: Der Gegenstandsbereich, Ziele und erkenntnisleitendes Interesse.

(4) Wissenschaftsverständnis: Das Wirklichkeits- und Wissenschaftsverständnis, die Erkenntnis- und Forschungsmethoden sowie die Denktradition, in der die Theorie steht.

(5) Theorie: Art und Inhalt der Theorie mit den Grundannahmen, Zielen und Werten.

(6) Bedeutung für die Soziale Arbeit: Rezeption, Verbreitung und Einfluss der Theorie zur Zeit der Erstveröffentlichung und heute.

(7) Literaturempfehlungen: Wichtige Publikationen zur Vertiefung der Theorie.

Theorien der Sozialen Arbeit

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