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1.6 Bedeutung für die Soziale Arbeit

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Die Lehre des Thomas von Aquin baute zwar auf einer tausendjährigen christlichen Tradition auf, dennoch waren die meisten seiner Thesen zur damaligen Zeit heftig umstritten und wurden von vielen Theologen und Bischöfen abgelehnt. Die auf Harmonie und Verwirklichung der Botschaft der Evangelien ausgerichtete Lehre von Thomas passte so gar nicht zu den Herrschaftsinteressen vieler Bischöfe und Päpste und in den Kontext der todbringenden Kreuzzüge und Großinquisitionen. Für die Reichen des 13. Jahrhunderts war seine Armuts- und Almosenlehre ein einziges großes Ärgernis, andererseits legitimierte seine „Ordnungs- und Ständelehre“ ihre Position in der Gesellschaft und ihre Privilegien. Der Dominikanerorden hat wenige Jahre nach dem Tod von Thomas eine „entschärfte“ Fassung seiner Lehre zur eigenen offiziellen Lehre erklärt. Seitdem beeinflussen die Thesen des Aquinaten in außerordentlicher Weise bis heute das abendländische theologische Denken (vgl. Chenu 1995; Forschner 2006; Schönberger 2012 u. a.).

Viele Jahrhunderte lang haben die Auffassungen des Thomas von Aquin die christliche Soziallehre geprägt. Der Gedanke der Subsidiarität wird beispielsweise auf Thomas zurückgeführt (vgl. Höffner 1963, 50). Abgelehnt wird allerdings seine These, dass die ökonomische, soziale und politische Ungleichheit der Menschen natürlich und ursprünglich von Gott so gewollt sei. Die Verpflichtung zur christlichen Liebestätigkeit (caritas), zur sozialen Gerechtigkeit und auch die Rechtfertigung von Privateigentum werden heute noch mit den Werken von Thomas begründet (vgl. Scherpner 1974, 39 f.). Der Arme blieb aber in seiner Denkwelt Objekt der Wohltätigkeit der Reichen entgegen allen Aufforderungen der Evangelien, in dem Armen Jesus selbst zu sehen. In diesem Punkt hat Franziskus von Assisi (1181/82–1226) durch sein Leben und seine Predigten nachhaltig für eine tief greifende Alternative gesorgt; indem er sich mit den Armen solidarisiert hat, hat er ihnen ihre personale Würde (wieder-)gegeben (vgl. Salomon 1932; Fenger 2005, 90).

In den Sozialenzykliken haben Päpste immer wieder auf die Werke des Thomas von Aquin zurückgegriffen, zuletzt Papst Johannes Paul II. im Jahre 1987 in seiner Enzyklika „Sollicitudo Rei Socialis“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1987). Soziales Tun, die Hilfe der Gläubigen für die Schwachen und das Eintreten für die Linderung der Not stehen auch nach Auffassung der heutigen deutschen Kirchenleitungen in einem unauflöslichen Zusammenhang mit der sozialen Gerechtigkeit und dem Weg des Heils (vgl. z. B. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland u. a. 1996, 11; Lehner 1997). Im Leitbild des Deutschen Caritasverbandes wird als erstes Ziel genannt:

„Jeder Mensch ist einmalig als Person und besitzt eine ihm von Gott gegebene unverfügbare Würde. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, menschliches Leben von Anfang bis Ende, von der Empfängnis bis zum Tod, zu achten, zu schützen und, wo Not ist, helfend zu begleiten“ (Leitbild des Deutschen Caritasverbandes 1997, 347).

Heinrich Böll hat auf die politische Brisanz hingewiesen, die sich aus der Lehre von Thomas beispielsweise für die Lösung des Nord-Süd-Gefälles in der Welt ergibt (vgl. Böll 1984, 44 f.).

Nach Thomas darf sich ein „Habenichts“ in existenzieller Not vom Habenden nehmen, was er zum Überleben braucht. Demnach dürften beispielsweise die ärmsten Länder Afrikas sich von den reichen Ländern Europas nehmen, was sie zum Überleben brauchen, auch wenn die reichen Länder dem nicht zustimmen. Der frühere Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, hat nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der großen Not der Bevölkerung diese Lehre von Thomas konkret angewendet und die frierenden Menschen aufgefordert, sich Kohlen von den Kohlehalden und -zügen zu holen, auch wenn sie diese nicht bezahlen konnten; das sei kein Diebstahl und keine Sünde. Der Volksmund nannte diese Art der Selbstversorgung „Fringsen“. Und 1996 rief in den Niederlanden Bischof Muskens von Breda die hungernden Armen auf, sich Brot aus den Bäckereien zu nehmen, auch wenn sie es nicht bezahlen konnten.

Der gegenwärtige Papst Franziskus bezieht sich in seinem Apostolischen Schreiben „Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“ auf Thomas, wenn er ausdrücklich feststellt, dass in Bezug auf das äußere Handeln die Barmherzigkeit die größte aller Tugenden ist: „An sich ist die Barmherzigkeit die größte der Tugenden. Denn es gehört zum Erbarmen, dass es sich auf die anderen ergießt und – was mehr ist – der Schwäche der anderen aufhilft“ (Franziskus 2013, 25).

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