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3.6 Bedeutung für die Soziale Arbeit

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Wie kühn Rousseaus Thesen zur damaligen Zeit waren, kann heute, da viele von ihnen, wie zum Beispiel die Bildsamkeit des Menschen, selbstverständlich geworden sind und zum Allgemeingut gehören, kaum noch nachempfunden werden. Rousseaus Schriften haben seine Zeitgenossen überrascht und schockiert. Im Zeitalter der Vernunft und der Wissenschaften war die radikale Verurteilung der Wissenschaften und der Künste eine ungeheuere Provokation. Die Auffassung Rousseaus, der Mensch sei primär ein Einzelwesen, das sich selbst genügt, stand in scharfem Gegensatz zu der in der Aufklärung geläufigen Überzeugung, der Mensch sei von Natur aus ein geselliges Wesen.

Für die Pädagogik waren die Betonung der Lebenssituation des einzelnen Kindes, die Berücksichtigung der altersgemäßen Bedürfnisse genauso revolutionär wie das Eingehen auf die innere Natur des Kindes, seine individuelle Erlebnisfähigkeit, seine eigenen Erfahrungen, Gefühle und Leidenschaften, vor allem aber auf die Stadien seines Lebensweges, auf Kindheit und Jugend als eigene Erlebnis- und Existenzweisen (vgl. Rang 1979, 122). Rousseau hat außerdem die Erziehungstheorie von weltanschaulichen beziehungsweise ethischen Bildungssystemen getrennt (Mollenhauer 1996b, 182). Die politisch-staatsphilosophischen Thesen aus dem „Gesellschaftsvertrag“, die zum Teil im Gegensatz zu seinen pädagogischen Thesen stehen, beeinflussten maßgeblich die Zielsetzungen der Französischen Revolution.

Manfred Kappeler macht unter dem Titel „Wie Robinson war, soll Émile werden“ kritisch auf den Zusammenhang von Aufklärung, Rassismus und Erziehung bei Rousseau aufmerksam (1994, 83–109), indem er in Defoes Roman „Robinson“, auf den sich Rousseau als Ideal seiner Erziehung bezieht, zahlreiche sozial-rassistische Anteile nachweist. Ähnliche rassistische und menschenökonomische Denkmuster werden später von den Eugenikern des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen (vgl. Kappeler 2000, 51). Hansmann (2006, 43 f.) weist darauf hin, dass Rousseaus Einschätzung der Geschlechterrollen, der Unmöglichkeit des sozialen Lernens, der grundsätzlichen kindlichen Unschuld sowie der lebenslangen Notwendigkeit eines Erziehers aus heutiger Wahrnehmung nicht mehr haltbar ist.

Viele PädagogInnen und SozialpädagogInnen haben sich in den letzten zwei Jahrhunderten ausdrücklich auf Rousseaus Werke bezogen, zum Beispiel Johann Heinrich Pestalozzi, Friedrich Fröbel, Johann Friedrich Herbart. Überlegungen Immanuel Kants, Johann G. Fichtes und anderer Sozialphilosophen knüpfen bei Rousseau an. Auch in der Gegenwart werden seine Theorien aufgegriffen und berücksichtigt. Im Jahre 1971 hat der Amerikaner John Rawls eine „Theorie der Gerechtigkeit“ (1993) unter Rückgriff auf die Vertragstheorie von Locke und Rousseau veröffentlicht und ein weltweites Echo mit seiner rationalen Begründung von sozialer Gerechtigkeit erhalten. In Frankreich wurde im Jahre 1993 in der „Collection Travail Social“ von Cristina de Robertis ein Sammelband mit dem Titel „Le contrat en travail social“ herausgegeben. In den Beiträgen wird „le contrat“ sowohl für die Reflexion als auch für praktisch-methodische Aspekte Sozialer Arbeit aufbereitet und genutzt.

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