Читать книгу Theorien der Sozialen Arbeit - Christian Spatscheck - Страница 35
3.3 Forschungsgegenstand und -interesse
ОглавлениеDas Leben und das Werk Rousseaus sind spannungsreich und voll konträrer Neigungen und Interessen: auf der einen Seite die Begeisterung für die patriotische Tugend und das Interesse für politische Probleme, auf der anderen Seite die Empfindsamkeit und der Hang zu einsamer Träumerei (vgl. Rang 1979, 117). Aus der Fülle der Fragen, die Rousseau bewegen, nennen wir nur einige wenige: Wie kommt es, dass ein Volk ein Volk ist? Was lässt politische und rechtliche Ungleichheit entstehen, und was lässt sie beseitigen? Was legitimiert das Handeln des Staates? Was ist die Natur des Menschen in seiner konkreten und freien Existenz? Wie sind Menschen oder Bürger zu erziehen? Wie sind Individuum und Gesellschaft miteinander verbunden? Was sind die Bedingungen und Strukturen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Menschen? Wie findet man eine Gesellschaftsform, die mit der ganzen Kraft aller die Person und den Besitz jedes Gesellschaftsgliedes verteidigt und schützt und kraft deren jeder Einzelne, obwohl er sich mit allen vereint, gleichwohl nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie vorher?
Eine von der Dijoner Akademie ausgeschriebene Preisfrage hat bei Rousseau eine Inspiration ausgelöst, die er wie folgt beschreibt:
„Mit einem Schlage fühlte ich meinen Geist durch tausend Lichter geblendet, zahllose lebensvolle Ideen strömten auf mich ein, mit einer Kraft und Fülle, die mich in unaussprechliche Verwirrung brachte. … hätte ich damals den vierten Teil dessen niederschreiben können, was ich unter dem Baum empfand, mit welcher Klarheit hätte ich dann die Widersprüche der gesellschaftlichen Ordnung darlegen können, mit welcher Geradlinigkeit hätte ich bewiesen, dass der Mensch von Natur aus gut ist und dass die Menschen allein durch unsere Einrichtungen böse werden. Das Wenige, was ich von der Fülle der großen Wahrheiten festhalten konnte, die mich in jener Viertelstunde unter dem Baum erleuchteten, findet sich in abgeschwächter Form zerstreut in meinen Hauptschriften. Auf diese Art bin ich, ohne daran zu denken, fast wider meinen Willen zum Schriftsteller geworden“ (Rousseau, zit. nach Holmsten 1996, 64).