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4.1 Historischer Kontext

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England gewinnt am Ende des 17. Jahrhunderts die Auseinandersetzungen mit Frankreich um die Vorherrschaft in der Welt. Die seit 1603 bestehende königliche Personalunion von England und Schottland wird durch die Vereinigung der Parlamente 1707 zur Realunion (Großbritannien). Eine konstitutionelle Monarchie löst den Absolutismus ab. Politische Parteien übernehmen Regierungsaufgaben mit einem Premierminister an der Spitze. Unter den hannoverschen Königen Georg I. (1714–1727) und Georg II. (1727–1760) werden die zerrütteten Staatsfinanzen konsolidiert. Das politische System erfährt nachhaltige Stabilisierung. Im Grunde funktioniert das britische Staatswesen im „Georgian age“ als ausgeprägtes Zweiparteiensystem mit den liberalen „Whigs“ und den konservativen „Tories“ fast von allein, und die Funktion des Premierministers wird immer bedeutsamer. Wirtschaft, Handel und Industrie blühen – nicht zuletzt durch eine expansive Kolonialpolitik. Großbritannien ist im 18. Jahrhundert die führende Handels-, Finanz- und Militärmacht der Welt. Die neue Weltmacht wird im Laufe des Jahrhunderts allerdings durch drei unterschiedliche revolutionäre Bewegungen herausgefordert: durch die Industrialisierung und die Agrarrevolution ab 1750, durch den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg ab 1775 und durch die Französische Revolution ab 1789. Großbritannien erobert riesige, wenig besiedelte und ressourcenreiche Gebiete in der ganzen Welt, kolonisiert sie und nutzt sie primär als Wirtschaftskolonien, weniger als Siedlungskolonien. Vorrangig ist die Kolonisation von Nordamerika, bei der allerdings der alte „Erbfeind“ Frankreich ein mächtiger Konkurrent ist. Diese Konkurrenz führt zum britisch-französischen Kolonialkrieg von 1754 bis 1763, der mit einem Sieg Großbritanniens und dem Frieden von Paris (1763) beendet wird, wonach Nordamerika angelsächsisch wird. Gegen Handelseingrenzungen und Steuererhebungen durch das Mutterland wehren sich die nordamerikanischen Siedler mit Gewalt. Im Frieden von Versailles (1783) muss Großbritannien nach langen kriegerischen Auseinandersetzungen, in die auch andere europäische Länder eingreifen, den „Abfall“ der nordamerikanischen Kolonien (außer Kanada) vom Mutterland hinnehmen. Damit wird das britische Atlantikreich zerstört.

Die Machtposition Großbritanniens nach außen wie auch die innere Stabilität werden durch die aufklärerischen Ideen, die Französische Revolution und den „Eroberungsdrang“ Napoleons gleichermaßen bedroht. Letztlich kann sich Großbritannien aber in vielen kriegerischen Auseinandersetzungen gegen die Bedrohungen aus Frankreich erfolgreich wehren.

In Verbindung mit der Entwicklung der Naturwissenschaften sorgen bislang unvorstellbare technische Fortschritte in Großbritannien für den Übergang von einem Agrarstaat zu einer großkapitalistischen Industriewirtschaft mit einem Industrieproletariat. Die Menschen müssen völlig neue Fertigkeiten und Berufe erlernen, um ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Die Arbeiter organisieren sich in Gewerkschaften; neue Sozial-, Bildungs- und Verwaltungssysteme entstehen.

Am Ende des 17. Jahrhunderts ist Schottland wegen anhaltender Missernten und englischer Handelsverbote noch ein armes Land: 10 Prozent der Bevölkerung verhungern, weitere 40 Prozent betteln. Um 1720 hat die Kaufmannsstadt Glasgow circa 12000 Einwohner. 1745 – Adam Smith ist gerade 22 Jahre alt – landet Prinz Charles Edward Stuart mit französischer Unterstützung in Schottland und beansprucht den britischen Thron für sich. Die Erhebung der Highlands wird 1746 in der Schlacht bei Culloden niedergeschlagen, und das siegreiche England geht mit äußerster Grausamkeit gegen die Aufständischen vor. Dudelsack, Kilt und Tartans werden verboten, viele Clans von ihrem angestammtem Land vertrieben. Dennoch gilt das 18. Jahrhundert, in dem Adam Smith lebt, für Schottland als „Goldenes Zeitalter“. Die Schotten stellen Wolle und Tücher her, exportieren Lachs und Hering und importieren Salz, Tabak und Branntwein. Der Handel mit Holland, Frankreich und den baltischen Ländern nimmt zu. Mit der Teilnahme am Überseehandel nach der Vereinigung mit England wird Glasgow reich und zur schönsten Stadt Großbritanniens. Die schottischen „Tabakbarone“ erwerben ihren Reichtum allerdings nicht nur aus dem Warenhandel, sondern auch aus dem Sklavenhandel. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg beendet den Tabakhandel; die daraus resultierenden Verluste werden durch vermehrten Textilhandel ausgeglichen.

In dem großen England gibt es nur zwei, in dem kleinen Schottland hingegen vier Universitäten mit herausragenden Wissenschaftlern. Mehr als auf dem Kontinent befördert hier die Aufklärung das Aufblühen der Naturwissenschaften und deren Anwendungen in der Technik. Empirismus und Liberalismus bestimmen die Auffassungen der englischen und schottischen Wissenschaftler. In dieser Übergangsepoche werden die Wissenschaften zunehmend vom Bewusstsein der Berechenbarkeit aller Dinge getragen. Empirismus und Rationalismus fördern immer mehr naturwissenschaftliche Entdeckungen und die Entwicklung technischer Verfahren und Geräte. 1790 kommt die erste maschinelle Spinnerei nach Schottland. Die Wissenschaftler zielen auf eine exakte, möglichst in mathematischen Gesetzen ausformulierte Erforschung und Feststellung der sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen. Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler drängen zusammen auf die technische Anwendung und praktische Nutzung des Erkannten. Glauben und Wissen werden strikt getrennt. Der Einfluss der Kirchen auf Wissenschaft und Forschung verschwindet. Theologie und Philosophie verlieren gegenüber den Naturwissenschaften und der Technik an Bedeutung.

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