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3.1.1 | Verteilungskonflikte als Kriegsursache

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Gesamt- vs. Partikularinteresse

Von diesen Überlegungen ausgehend kommt zumindest die Schule des Institutionalismus ( Kap. 2.2) zu dem Schluss, dass Krieg immer aus einer Mischung von gemeinsamen Interessen und Einzel- oder sogenannten Partikularinteressen der Akteure hervorgeht. Die gemeinsamen Interessen aller Akteure liegen in der Vermeidung von Opfern, Entbehrungen und Kosten. Die Einzel- oder Partikularinteressen bestehen darin, für sich selbst einen möglichst großen Anteil an einem zu verteilenden Gut (im Beispiel das zu verteilende Territorium) zu erhalten. Krieg kommt nur zustande, wenn die Partikularinteressen das gemeinsame Interesse an der Vermeidung von Opfern und Kosten, die ein Krieg zwangsläufig mit sich bringt, übersteigen. Zur Kriegsvermeidung ist es deshalb ratsam, die gemeinsamen Interessen groß und die Partikularinteressen klein zu halten ( Kap. 3.3).

Verteilungsgüter

Einen möglichst großen Anteil an einem zu verteilenden Gut zu bekommen, ist das übergeordnete Ziel, für das Akteure u. U. Krieg riskieren. Dieses Gut kann sehr verschiedene Formen annehmen, z. B.: Territorium im Sinne von Nutzfläche, rohstoffreiche Gebiete oder solche, die unter militärischen Gesichtspunkten wertvolle geographische Stellungen zur Verteidigung sind (z. B. die sogenannten Golanhöhen an der Grenze zwischen Israel und Syrien), oder Stätten mit besonderer Bedeutung für bestimmte Gruppen (z. B. Jerusalem, die heiligen Stätten des Islam in Saudi Arabien oder das Kosovo als »Wiege der serbischen Nation«).

Neben solchen territorialen Gütern können auch bestimmte wertbasierte Politiken ein Gut darstellen, für dessen Verteilungsfolgen Krieg geführt wird. Ein Beispiel für solch eine Politik ist die Diskriminierung bestimmter Minderheiten in einem Land ( Kap. 2.4, Kap. 9). Häufig bekämpfen diese Minderheiten selbst die Diskriminierung oder werden von auswärtigen Staaten oder nichtstaatlichen Akteuren dabei unterstützt. Ebenso kann die Nicht-Einhaltung von international vereinbarten Regeln dazu führen, dass Sanktionen bis hin zur militärischen Gewaltanwendung ausgeführt werden.

Und schließlich kann die Möglichkeit, die internationale Ordnung auch in der Zukunft selbst bestimmen zu wollen, ein wichtiges Gut sein, für das Akteure bereit sind, die Kosten von Krieg zu tragen. In diesem Fall spricht man von sogenannten hegemonialen Kriegen.

Information kompakt

Hegemonialer Krieg

Ein Hegemon ist eine anderen Staaten weit überlegene Macht. Sie legt die Ordnung in internationalen Beziehungen fest, setzt sie ggf. gegen Widerstand durch und trägt die Kosten ihrer Erhaltung. In unregelmäßigen Abständen können jedoch durch Machtgewinn Herausforderer von Hegemonen heranwachsen, die dem internationalen System ihre eigene Ordnung geben wollen. Eine Möglichkeit ist, dass sie versuchen, den bisherigen Hegemon im Krieg zu besiegen und dadurch vom Sockel zu stoßen und selbst Hegemon zu werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Hegemon seine überlegenen Militärpotentiale nutzt, um einen möglichen Herausforderer zu besiegen, bevor dieser die eigene hegemoniale Stellung ernsthaft bedroht. In beiden Fällen spricht man von hegemonialen Kriegen (Gilpin 1981; Kennedy 1989; Levy 2013: 584).

Gegenwärtig sind die USA nahezu unbestritten der Hegemon im internationalen System. Jedoch verweisen einige Autoren sowohl auf eine große Wahrscheinlichkeit als auch einzelne Anzeichen, dass die Volksrepublik China sich anschickt, die USA herauszufordern und in Zukunft selbst Hegemon zu werden (Mearsheimer 2010; Wolf 2012). Sie erwarten daher einen Hegemonialkrieg zwischen den beiden Kontrahenten zunächst um die regionale Vorherrschaft in Asien und möglicherweise später in der Welt. Andere Autoren bestreiten, dass die Volksrepublik China auf absehbare Zeit das Machtpotential besitzt, die hegemoniale Stellung der USA regional oder sogar global herauszufordern (Brooks 2013; Brooks/Wohlforth 2008; 2011; Wohlforth 1999; 2008). Ein hegemonialer Krieg sei deshalb unwahrscheinlich. Über diese Frage wird in Fachzeitschriften Internationaler Beziehungen eine sehr intensive Debatte ausgetragen (Bromley 2011; Glaser 2011; Kupchan 2011; Legro 2011; Schweller 2011; Simms 2011; Voeten 2011). Da hegemoniale Konflikte machtpolitischer Natur sind, befassen sich vor allem Vertreter des Neorealismus ( Kap. 2.1) mit dieser Kriegsform.19

Unteilbarkeit von Gütern

Es sind also zunächst Interessen sowie Kosten-Nutzen-Kalküle der Akteure, die Kriege verursachen. Es gibt aber weitere Ursachen, warum Kriege ausbrechen. Dazu gehört das Problem, ob ein zwischen den Akteuren umstrittenes Gut im Zuge einer Verhandlungslösung überhaupt aufgeteilt werden kann. Manche Güter können aus Sicht der Konfliktparteien nicht einfach geteilt werden, wie man aus den oben angeführten, abstrakten Überlegungen schließen könnte. In solchen Fällen kann es daher schwierig sein, einen für die Betroffenen annehmbaren Kompromiss zu finden (Goddard 2006; Young 1995). Solche Güter sind z. B. die Golanhöhen an der Grenze zwischen Israel und Syrien. Beide Länder stehen auf dem Standpunkt, dass das gesamte Gebiet der Golanhöhen zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit unverzichtbar ist. Deshalb geht es in diesem Streit aus Sicht der Beteiligten um alles oder nichts – einen Mittelweg (Aufteilung) gibt es für sie nicht. Andere Beispiele für unteilbare Güter sind vor allem religiös bedeutsame Stätten wie z. B. Jerusalem, das von drei verschiedenen Religionen beansprucht wird. Anhänger dieser Religionen möchten die Herrschaft über diese Stätten nicht anderen überlassen, sondern selbst ausüben. Deshalb sind solche Konflikte nur sehr schwer durch Kompromissfindung auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Wie sie friedlich ausgetragen werden könnten, wird in Kap. 3.3 erläutert.

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