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3.3 | Kriegsverhinderung und friedliche Konfliktregelung

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Abschreckung

Wenn man die Ursachen für Kriege kennt, kann man ihnen entgegenwirken und auf diese Weise die friedliche Beilegung von Konflikten begünstigen. Wenn Krieg kein Selbstzweck ist, sondern einem übergeordneten Ziel dient und zugleich nur eine Alternative zu einer friedlichen Streitbeilegung durch Verhandlungen darstellt, werden die Konfliktparteien Kosten und Nutzen sorgfältig abwägen. Konfliktparteien können dann dadurch von einem Krieg abgeschreckt werden, dass man dessen Kosten möglichst weit hochschraubt (Frieden/Lake/Schultz 2012: 118). Denn so erscheinen Kompromisse durch Verhandlungen weit attraktiver als Krieg.

Zweitschlagsfähigkeit

Langer Friede

Während des Kalten Krieges wurde ausgehend von dieser Überlegung den Kernwaffen eine pazifizierende Wirkung zugeschrieben. Die Drohung mit der sogenannten gegenseitigen gesicherten Zerstörung, die durch die Zweitschlagfähigkeit sichergestellt wurde, veranlasste die Entscheidungsträger in Ost und West (Bundy 1988) zu extrem vorsichtigem Verhalten in dem anhaltenden Konflikt (Gaddis 2005; Link 1988). John L. Gaddis argumentierte, dass der sogenannte lange Frieden maßgeblich darauf beruht habe, dass ein Krieg zwischen den beiden Supermächten Sowjetunion und USA auf beiden Seiten inakzeptable Kosten verursacht hätte (Gaddis 1986; 1987). Diese Einsicht sei dem Kristallkugeleffekt von Kernwaffen entsprungen: Wie beim Blick in der Kristallkugel könne unzweideutig festgestellt werden, welch zerstörerische Wirkung von diesen Waffen ausgehe (Carnesale et al. 1983).

Definition

Abschreckung

Die grundsätzliche Überlegung, die Kosten eines Krieges so hoch und seinen Nutzen so gering wie möglich zu machen, wird als Abschreckung bezeichnet. Beruht die Steigerung der Kosten auf Kernwaffen, spricht man von nuklearer Abschreckung.

Internationale Verflechtung

Die Veränderung der Kosten-Nutzen-Kalkulation zugunsten einer friedlichen Streitbeilegung ist jedoch nicht nur durch die drastischen Maßnahmen militärischer Abschreckung möglich, die zudem das Risiko in sich birgt, dass — wie im Ersten Weltkrieg — die handelnden Entscheidungsträger die Kontrolle über die Ereignisse verlieren (Clark 2013; Münkler 2013). Vielmehr kann die arbeitsteilig organisierte Weltwirtschaft eine erhebliche Rolle in der Konfliktvermeidung spielen ( Kap. 5). Durch sie ist es möglich, den Nutzen der friedlichen Streitbeilegung so weit hoch zu schrauben, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Konfliktparteien eindeutig gegen Krieg spricht. Die dank wirtschaftlicher Spezialisierung und Arbeitsteilung stark miteinander verflochtenen Akteure können ihren Wohlstand und Lebensstandard nur dann bewahren, wenn sie diese wechselseitige Abhängigkeit nicht durch einen Krieg zerstören. Entsprechend ist der Anreiz für sie hoch, Kriege zu vermeiden (Levy 2013: 591–592).

Liberaler Friede

Aus diesem Grund werden Freihandel und freier Kapitalverkehr ( Kap. 5, Kap. 6) als friedensfördernde Maßnahmen verstanden. In dem Maße wie internationale Abkommen z. B. über Freihandelszonen oder regionale und globale Integration zu wechselseitigen Abhängigkeiten führen, handle es sich auch im Friedensprojekte. Man spricht vom sogenannten »liberalen Frieden« (Anderton/Carter 2001; Barbieri/Levy 1999; Liberman 1993; Morrow 1999; O’Neal/Russett 1999; Rosecrance/Thompson 2003).25 Gerade die Europäische Union gilt als herausragendes Beispiel für eine friedensstiftende Organisation, weil sie durch Spezialisierung und Arbeitsteilung die wechselseitige Abhängigkeit der Mitglieder verstärkt. Mit einer Entscheidung für einen Krieg würde ein derart extremer Schaden an Wohlfahrt und Lebensstandard entstehen, dass diese Option keine attraktive Alternative zur friedlichen Streitbeilegung bietet.26

Verflechtungsgewinner und -verlierer

Gegen diese optimistische Sicht der friedensstiftenden Wirkung wechselseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit ist jedoch eingewandt worden, dass es nicht allein auf die Kosten-Nutzen-Kalkulation im Sinne des Gemeinwohls — also für eine Gesellschaft insgesamt — ankomme. Konfliktparteien richteten ihre Entscheidungen nicht ausschließlich an diesem aus. Vielmehr gebe es Beispiele, in denen es Koalitionen aus Trägern von Partikularinteressen gelungen sei, ihre Positionen gegen die Interessen der überwältigenden Mehrheit durchzusetzen (Müller 2002: 59). Dies bedeutet, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulationen eines Gemeinwesens erheblich von denen einzelner Gruppen abweichen können. Unter diesen Bedingungen ist es möglich, dass sich der Nutzen wirtschaftlicher Verflechtung sehr verschieden auf partikulare Interessengruppen auswirkt. Daher sprechen wir heute z. B. von Globalisierungs- oder Verflechtungsgewinnern und Globalisierungs- oder Verflechtungsverlierern. Krieg wird dann selbst bei hoher internationaler Verflechtung wahrscheinlich, wenn Verflechtungsverlierer durch ihn ihre Position durchsetzen können und/oder die Kosten einer Kriegführung hauptsächlich von den ursprünglichen Verflechtungsgewinnern getragen werden müssten.

Beispiel Erster Weltkrieg

Einige Historiker vertraten die These, dass im deutschen Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges genau dieser ursächliche Zusammenhang wirksam gewesen sei. Eine Koalition aus ostelbischen adligen Landbesitzern einerseits und Industriellen der Stahlindustrie andererseits hätte sich als Verflechtungsverlierer gesehen (Conrad 2006; Puhle 1975; Torp 2010; Wehler 1976; 1985; 1994).27 Unter ihrem Druck sei das Kaiserreich in einen verheerenden Krieg gezogen, dessen Hauptkosten jedoch anderen Gruppen aufgebürdet worden seien (Geiss 1985). Diese Interpretation der Ursachen des Ersten Weltkrieges ist zwar mittlerweile erheblich in Zweifel gezogen und relativiert worden (Münkler 2013: 94–96; Neitzel 2002), sie gehört aber dennoch in die Liste von möglichen Kriegsursachen nicht nur des Ersten Weltkrieges.28

Ursachenkette

Die geschichtswissenschaftliche Fachdebatte sowie neue Gesamtdarstellungen (Clark 2013; Münkler 2013) zu den Ursachen des Ersten Weltkrieges zeigen vor allem eines: Kriege sind ähnlich wie Flugzeugabstürze meist das Ergebnis einer Kette von einzelnen Ursachen,29 von denen jede einzelne für sich genommen nicht zum Krieg geführt hätte. Diese wichtige Erkenntnis kann mit quantitativen Methoden der Forschung, auf denen eine Vielzahl von politikwissenschaftlichen Studien zur Kriegsursachenforschung beruht, nicht so einfach gewonnen werden.

Transparenz

Das neben Abschreckung und Verflechtung dritte Instrument zur Verhinderung von Kriegen ist die Verbesserung der Transparenz in den internationalen Beziehungen. Es zielt vor allem auf die Lösung der Interaktions- und Glaubwürdigkeitsprobleme (Frieden/Lake/Schultz 2012: 118–119). Transparenzfördernde Maßnahmen können in einseitige und wechselseitige unterteilt werden. Einseitige Maßnahmen zur Verhinderung von Fehlkalkulationen, z. B. der militärischen Stärke des Gegners, sind technische Aufklärung und Überwachung etwa durch Satellitentechnologie. Es gehören aber auch Spionage oder Kommunikationsüberwachung dazu, selbst wenn sie moralisch und rechtsstaatlich höchst problematisch sind.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Ferner gilt, dass offene Gesellschaften mit freien Medien auch für gegnerische Konfliktparteien transparenter sind als autoritäre Regime. Hinzu kommen Nichtregierungsorganisationen wie das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) oder das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), die systematisch Informationen über militärische Fähigkeiten von Staaten sammeln und regelmäßig auf den neuesten Stand bringen (International Institute for Strategic Studies 2014; Stockholm International Peace Research Institute 2013). Auf diese Weise helfen sie, Transparenz herzustellen und das Risiko von Fehlkalkulationen zu verringern. Ähnliches gilt für die International Crisis Group, die Krisen- und Konfliktherde überwacht und durch Studien zur Transparenz beiträgt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass einseitige Maßnahmen für mehr Transparenz einer Seite einen Vorteil durch Informationsvorsprung verschaffen. Dies ist der Fall, wenn die erhobenen Informationen nicht frei zugänglich gemacht, sondern geheim gehalten werden. Sie wirken dann eher destabilisierend als stabilisierend.

Wechselseitige Maßnahmen

Neben den einseitigen gibt es, wie bereits erwähnt, die wechselseitigen Maßnahmen. Ein Beispiel ist der Austausch militärischer Fachleute zwischen zwei oder mehreren Ländern; diese sammeln Informationen über militärische Fähigkeiten und schaffen so auf kooperativem Wege Transparenz. Internationale Organisationen entsenden häufig Beobachter zur Einschätzung militärischer Kräfteverhältnisse, die unter den beteiligten Mitgliedstaaten transparent gemacht werden. Die auf diese Weise geschaffene gegenseitige Transparenz ist insbesondere zwischen NATO-Mitgliedstaaten stark institutionalisiert und trägt maßgeblich zur wechselseitigen Vertrauensbildung bei (Tuschhoff 2003; 2014).

Ständige Vertrauensbildung

Schließlich wird Transparenz auch dadurch erzielt, dass die Konfliktparteien im Zuge von Vereinbarungen Gremien schaffen, deren Mitglieder im Falle von Unstimmigkeiten bei der Anwendung der Vereinbarung tagen, um Informationen auszutauschen, Missverständnisse auszuräumen oder praktische Lösungen für konkrete Probleme zu finden. Die sogenannte Standing Consultative Commission (SCC) zwischen den USA und der Sowjetunion gilt als wichtigstes Beispiel für eine stetige Verbesserung von bilateralen Rüstungskontrollvereinbarungen (Caldwell 1985; Graybeal/Krepon 1985).

Unparteiische Dritte

Das vierte Instrument zur Kriegsverhinderung zielt auf die Verringerung von Interaktions- und Glaubwürdigkeitsproblemen in Verhandlungsprozessen. Es soll den Konfliktparteien ermöglichen, Abkommen zu schließen, auf deren wechselseitige Einhaltung sie vertrauen können. Dies wird häufig durch die Hilfe einer neutralen dritten Partei erreicht (Frieden/Lake/Schultz 2012; Rittberger/Zangl/Kruck 2013: 119–120). Die Arbeit der sogenannten UNBlauhelmtruppen ist das wichtigste, wenn auch nicht einzige Beispiel für eine unparteiische dritte Kraft zur Friedenssicherung.

UN-Friedensmissionen

Die Forschung hat gezeigt, dass UN-Friedensmissionen erheblich zur Befriedung beitragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass vereinbarte Waffenstillstände nach zwischenstaatlichen Kriegen gebrochen wurden, sank um 85 Prozent, wenn UN-Blauhelme eingesetzt wurden. Das Risiko, dass nach Waffenstillständen in innerstaatlichen Konflikten Gewalt wieder ausbricht, sank um 60 Prozent (Fortna 2004a; b; 2008; Fortna/Howard 2008).

Information kompakt

UN-Blauhelmtruppen

Die Blauhelmtruppen der Vereinten Nationen dienen der Friedenssicherung und werden seit dem Ende des Kalten Krieges immer häufiger eingesetzt. Zudem ist ihr Aufgabenspektrum schrittweise erweitert worden, weil die Erfahrungen gezeigt haben, dass ihre Zuständigkeiten und Eingreifmöglichkeiten bei einem Aufflammen von Feindseligkeiten oft unzureichend waren.

Blauhelmtruppen der sogenannten ersten Generation beschränkten sich darauf, zu überwachen, ob getroffene Vereinbarungen von den Konfliktparteien eingehalten wurden. Sie berichteten dem UN-Generalsekretär und dem Sicherheitsrat, wer wann welche Regelverletzung begangen hatte, konnten jedoch selbst nicht eingreifen.

Die Blauhelmtruppen der zweiten Generation sollten zusätzlich die Schaffung von Friedensbedingungen unterstützen und absichern. Dazu gehörte insbesondere die Entwaffnung und Demobilisierung von Militäreinheiten der Konfliktparteien.

Die UN-Friedenstruppen der dritten Generation kamen auch dann zum Einsatz, wenn kein Abkommen der Konfliktparteien für eine Waffenruhe oder einen nachhaltigen Frieden vorlag. Ausgestattet mit einem »robusten« Mandat sollten sie zunächst ein sicheres Umfeld schaffen, in dem sich Frieden herstellen ließ. Zu diesem Zweck waren sie ermächtigt, robust — mit Waffengewalt — gegen Konfliktparteien vorzugehen.

Bei Friedensmissionen der vierten Generation sind schließlich Aufgaben des Wiederaufbaus von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Infrastruktur zu den sicherheitspolitischen hinzugekommen (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 390–393; Rittberger/Zangl/Kruck 2013: 155–158).

Teilbarkeit umstrittener Güter

Das weiter oben dargelegte Problem der Unteilbarkeit von Gütern kann auf verschiedene Arten und Weisen gelöst werden, so dass es der friedlichen Streitbeilegung nicht grundsätzlich im Weg steht. Die Konfliktparteien können eine gemeinsame oder geteilte Autorität über das strittige Gut vereinbaren, z. B. die gemeinsame Verwaltung von Jerusalem. Wenn dies nicht praktikabel erscheint, bietet sich an, die Autorität bei einer Konfliktpartei zu belassen und der anderen Konfliktpartei dafür Konzessionen an anderer Stelle zu machen, so dass ein Paket geschnürt wird. Schließlich ist es möglich, wie bei Ehescheidungen einen finanziellen Ausgleich für die Konfliktpartei zu schaffen, die ein umstrittenes Gut nicht erhält.

Der aus Abbildung 3.2 ablesbare Rückgang von Kriegen in Amerika und Europa wird vor allem darauf zurückgeführt, dass hier die genannten friedensstiftenden Mechanismen wirken (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 372–376). Eine weitere Erklärung wird im sogenannten demokratischen Frieden ( Kap. 5) gesehen.

Zwischenfazit

Maßnahmen der Kriegsverhinderung und Friedenssicherung

Die genannten Kriegsursachen können durch Einwirkung auf das Kosten-Nutzen-Kalkül der Konfliktparteien eingedämmt werden, so dass eine friedliche Streitbeilegung zustande kommt, die anschließend gesichert werden kann. Dazu sind folgende Maßnahmen hilfreich:

Abschreckung,

internationale Verflechtung,

transparenzfördernde Maßnahmen,

Schlichtung oder Durchsetzung durch unparteiische Dritte,

gemeinsame Kontrolle unteilbarer Güter oder Kompensation für Verzicht.

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