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3.1.3 | Mangelnde Glaubwürdigkeit und Nicht-Einhaltung als Kriegsursachen

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Wenn eine Seite eine getroffene Vereinbarung nicht einhält oder zumindest im Verdacht steht, ein Abkommen nicht einhalten zu wollen oder zu können, spricht man von Glaubwürdigkeits- und Verpflichtungsproblemen, aus denen Kriege entstehen können. Das gegenseitig gegebene Versprechen, in der Zukunft zur Konfliktbeilegung keine Gewalt anzuwenden, muss deshalb auf seine Glaubwürdigkeit geprüft werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine neutrale sogenannte dritte Seite bereit oder fähig ist, die Einhaltung des Versprechens wirksam zu garantieren.20 Hierfür sind die zahlreichen Vereinbarungen für Waffenstillstände in Bosnien-Herzegovina ein wichtiges Beispiel. Es gelang den Vereinten Nationen zwar immer wieder, die Konfliktparteien dazu zu bewegen, einem Waffenstillstand zuzustimmen; aber die militärisch schwachen UN-Blauhelmtruppen waren nicht in der Lage, dessen Einhaltung durchzusetzen. Oftmals wurden die Kampfhandlungen nur wenige Stunden nach Abschluss der Vereinbarung fortgesetzt. Es stellt sich also die Frage, unter welchen Bedingungen Konfliktparteien einen hohen Anreiz spüren, getroffene Vereinbarungen zu brechen. Unter solchen Bedingungen sind geschlossene Abkommen dann weder glaubwürdig noch tragfähig.

Zukünftige Machtverteilung

Auf dem Weg zur friedlichen Konfliktregelung muss häufig über Gegenstände verhandelt werden, die sich auf die zukünftige Stärke oder Schwäche der Konfliktparteien auswirken werden. Um bei dieser Art von Verhandlungsgegenständen einvernehmliche Abkommen schließen zu können, müssen die Konfliktparteien ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und gegenseitigem Vertrauen aufbringen, dass die getroffene Vereinbarung sich in der Zukunft nicht schleichend gegen eine Partei richten wird. Oder es muss sichergestellt werden, dass Parteien aus geschlossenen Abkommen keine einseitigen Vorteile ziehen werden. Auch dazu ist hohes wechselseitiges Vertrauen notwendig, das Konfliktparteien nicht problemlos aufbringen werden. Ein geschlossenes Abkommen kann z. B. vorsehen, dass eine Seite auf den Besitz und den Erwerb bestimmter Waffensysteme verzichtet. Im Gegenzug muss die andere Seite Konzessionen versprechen. Was aber passiert mit diesem Geschäft auf Gegenseitigkeit, nachdem die eine Seite ihre Waffen abgegeben oder vernichtet und somit ihren Teil der Vereinbarung erfüllt hat? Was hält die andere Seite noch davon ab, die Vereinbarung zu brechen und ihren Teil des Geschäfts nicht zu erfüllen? Die Befürchtung von Konfliktparteien, dass ein Abkommen sich in der Zukunft nachteilig auf die Möglichkeit auswirkt, die Gegenseite zur Einhaltung ihrer Konzessionsleistung zu zwingen, ist eine sehr häufige Ursache dafür, dass Konflikte nicht friedlich beigelegt werden können (Frieden/Lake/Schultz 2012: 106–110). Insbesondere die friedliche Beendigung von Bürgerkriegen scheitert maßgeblich an diesem großen Problem ( Kap. 3.4.1).

Die Überlegung, wie sich internationale Abkommen oder die wirtschaftliche und technologische Entwicklung auf die Machtverhältnisse von Konfliktparteien auswirken werden, spielt bei der Frage des geeigneten Zeitpunkts für einen Krieg eine weitere wesentliche Rolle. So überlegen Staaten, die sich in Hegemonialkonflikten befinden ( Information kompakt: Hegemonialer Krieg), wann der beste Zeitpunkt für eine kriegerische Auseinandersetzung ist. Nehmen wir wieder das Beispiel USA vs. China. Sehen die USA heute, dass China sich ähnlich dem deutschen Kaiserreich am Ende des 19. Jahrhunderts21 von den wirtschaftlichen und technologischen Trends erheblich mehr profitiert als sie selbst, so geraten sie in die Versuchung, eher früher als später einen Präventivkrieg zu führen (Levy 2013: 583). Für China gilt umgekehrt, einen solchen Krieg möglichst lange hinauszuzögern, um noch lange von den ungleichen Entwicklungstrends profitieren zu können. In diesem konkreten Fall ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Tatsache, dass beide über erhebliche Kernwaffenpotentiale verfügen, eine erhebliche Abschreckungswirkung ausübt ( Kap. 3.3).

Definition

Präventivkrieg

Präventivkrieg ist ein bewaffneter Konflikt, der in der Absicht geführt wird, die Gegenseite daran zu hindern, stärker zu werden und diese Stärke zu einem späteren Zeitpunkt zum eigenen Vorteil zu nutzen (Frieden/Lake/ Schultz 2012: 111).

Beispiele

Es gibt jüngere Beispiele für Präventivkriege: Israel bombardierte im Jahr 1981 den irakischen Nuklearreaktor Osirak, weil es befürchtete, dass Irak in Zukunft Kernwaffen in diesem Reaktor produzieren könnte (Braut-Hegghammer 2011).22 Derartige Waffensysteme würden für Israel in der Zukunft zu einem Existenzrisiko werden. Die USA und ihre »Koalition der Willigen« rechtfertigten den Krieg gegen Irak im Jahr 2003 mit der — tatsachenwidrigen — Befürchtung, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, die vor den UN-Inspektoren versteckt worden seien.23 Die (zumindest vermuteten) Bemühungen des Iran oder Nordkoreas, sich Kernwaffen anzueignen, lösten Überlegungen und Planungen verschiedener Staaten zu einem Präventivkrieg aus. Wenn es nicht gelingt, diese Befürchtungen durch friedliche Streitbeilegung auszuräumen, wie sie derzeit zwischen Iran und einer P5+ 124 genannten Staatengruppe versucht werden, muss mit einem Präventivkrieg gerechnet werden.

Präemptivkrieg

Schließlich kann die Vereinbarung eines kriegsverhindernden Abkommens daran scheitern, dass die Konfliktparteien sich durch einen Angriff schnell große militärische Vorteile verschaffen könnten. Hohe Anreize zu einem Angriff oder Erstschlag bestehen dann, wenn die Militärtechnik, Strategien oder geographische Gegebenheiten (z. B. die bereits erwähnten Golanhöhen) der angreifenden Seite (kriegs-)entscheidende Vorteile verschaffen. Spitzt sich ein politischer Konflikt unter diesen Bedingungen zu, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Konfliktparteien den Streit nicht friedlich beilegen, sondern einen Präemptivkrieg führen. Der Sechstagekrieg Israels im Jahr 1967 gegen seine Nachbarstaaten ist ein klassisches Beispiel für einen solchen Präemptivkrieg.

Definition

Präemptivkrieg

Ein Präemptivkrieg wird in der Erwartung geführt, dass ein Angriff der Gegenseite unmittelbar bevorsteht. Man will dem Gegner durch einen eigenen Angriff zuvorkommen, weil die Offensive gegenüber der Defensive entscheidende Vorteile verspricht (Frieden/Lake/Schultz 2012: 113). Diese Vorteile entstammen der Militärtechnik, der Militärstrategie oder geographischen Gegebenheiten.

Offensive vs. defensive

In der Fachliteratur ist die Frage, welche Vorteile im Sinne von Siegchancen offensive Waffensysteme und Militärstrategien im Verhältnis zu defensiven Waffensystemen und Militärstrategien haben, ausführlich erörtert worden. Während des Kalten Krieges, in dem sich Ost und West militärisch hochgerüstet gegenüberstanden, wurde stark darauf geachtet, dass keine Seite sich durch einen Angriff einen entscheidenden Vorteil verschaffen konnte. Zu diesem Zweck entwickelten z. B. Kernwaffenstaaten die sogenannte Zweitschlagsfähigkeit. Sie bedeutete, dass eine Seite nie in der Lage war, mit einem Angriff das gesamte Kernwaffenarsenal der anderen Seite wirksam zu vernichten. Vielmehr verblieben der verteidigenden Seite nach einem Angriff immer genügend Waffensysteme, um Vergeltung zu üben. Somit verhinderte die Zweitschlagsfähigkeit, dass ein nuklearer Präemptivkrieg einer Seite entscheidende Vorteile verschaffte.

Kriseninstabilität

Politische Krisen geraten dann schnell außer Kontrolle, wenn eine Seite vor der Entscheidung steht, ihre Waffen entweder einzusetzen oder diese durch den Angriff der Gegenseite zu verlieren. In dieser Situation besteht ein hoher Anreiz, einen Präemptivkrieg zu führen. Man bezeichnet diese Situation auch als Kriseninstabilität. Die empirische Forschung hat allerdings ergeben, dass die Zahl der Präemptivkriege gering ist. Seit 1816 können nur drei Kriege diesem Typ zugeordnet werden: Der Erste Weltkrieg, die chinesische Intervention in den Koreakrieg sowie der schon genannte Sechstagekrieg Israels gegen seine Nachbarstaaten (Reiter 1995).

Zwischenfazit

Glaubwürdigkeitsprobleme, Nichteinhaltung und Offensivanreize als Kriegsursache

Kriege können dadurch entstehen, dass Akteure befürchten, sie würden durch die friedliche Lösung eines Konfliktes in der Zukunft benachteiligt, weil sie nicht mehr in der Lage sein werden, die Gegenseite zur Einhaltung der Vereinbarung zu bringen, nachdem sie ihren Teil erfüllt haben. Weiterhin besteht ein Anreiz zur Kriegführung, wenn die wirtschaftliche und/ oder technologische Entwicklung eine Seite längerfristig begünstigt. Die angreifende Seite verspürt dann einen hohen Anreiz zum Präventivkrieg. Schließlich kann eine Konfliktpartei sich zum Krieg entschließen, wenn sie sich im Zuge eines sich zuspitzenden Konfliktes einen entscheidenden militärischen Vorteil vom Angriff verspricht. In diesem Fall spricht man von Präemptivkrieg.

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