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3.1.2 | Interaktionsprobleme als Kriegsursache

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Fehlkalkulation

Neben der Verteilung von Gütern können bestimmte Interaktionsprobleme bei Verhandlungen Kriege auslösen. Ein erstes kann daraus resultieren, dass die Akteure bestrebt sind, in Verhandlungen das bestmögliche Ergebnis für sich herauszuschlagen. Zu diesem Zweck werden sie sowohl die Fähigkeiten der beteiligten Akteure ( Kap. 2.1) als auch deren Entschlossenheit und Risikobereitschaft im Falle eines drohenden Krieges abzuschätzen suchen. Es kann deshalb passieren, dass Akteure sich in Verhandlungen verkalkulieren. Denn sie sehen sich widersprüchlichen Anreizen ausgesetzt. Der Anreiz, das bestmögliche Verhandlungsergebnis zu erzielen widerspricht dem Anreiz, keine übermäßigen Kriegsrisiken einzugehen. Ein Beispiel für Krieg als Folge von Fehlkalkulation war die Besetzung Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990. Der damalige irakische Herrscher Saddam Hussein rechnete nicht mit den Entschlossenheit einer breiten Koalition von Staaten, die in Verhandlungen die Forderung nach einem vollständigen Rückzug des Irak aus Kuwait stellten. Hussein war dazu nicht bereit und die Staatenkoalition wollte ihm Kuwait nicht überlassen. Es kam zum Golfkrieg, weil das Dilemma zwischen Verhandlungsergebnis und Kriegsrisiko nicht aufgelöst werden konnte (Frieden/Lake/Schultz 2012: 93–96).

Glaubwürdigkeit von Drohung

Ein zweites Interaktionsproblem ist, dass die Akteure nie ganz sicher sein können, wie ernst die Botschaften der anderen Seite zu nehmen sind, die in Verhandlungen ausgetauscht werden. Fehlkalkulationen können also nicht nur wie oben dargestellt eine Folge von Fehlern bei der Abschätzung der Entschlossenheit und Risikobereitschaft sein, sondern auch eine Folge mangelnder oder zweideutiger Kommunikation. Wenn eine Seite z. B. ein Ultimatum aufstellt und/oder mit Krieg droht, meint sie das dann ernst? Ist sie bereit, diese Drohung wahr zu machen, oder ist sie ein Bluff? Im Fall einer ernst gemeinten Drohung sollte die andere Seite eine Konzession machen, im Fall eines Bluffs sollte sie standhaft bleiben. Um der anderen Seite die Aufgabe der Kalkulation zu vereinfachen und dadurch Fehlkalkulation zu vermeiden, sollte ein Akteur deshalb möglichst unzweideutige Botschaften aussenden.

Akteure müssen also die Glaubwürdigkeit von in Verhandlungen ausgesprochenen Drohungen einschätzen und nutzen dazu die genannten Maßstäbe ( Information kompakt). Aber deren Anwendung schützt nicht vollständig vor einer Fehleinschätzung. Im genannten Beispiel des Golfkrieges hat der große und für jedermann im Fernsehen sichtbare militärische Aufmarsch der alliierten Koalition Saddam Hussein nicht davon überzeugen können, das Ultimatum ernst zu nehmen und die Besetzung Kuwaits zu beenden. Offenbar hielt er die Drohung mit Krieg für einen Bluff. Derartige Fehleinschätzungen sind eine wichtige Kriegsursache (Frieden/Lake/Schultz 2012: 99–105).

Information kompakt

Wie beurteilen Akteure die Glaubwürdigkeit von Drohungen?

Auf der Grundlage von Erfahrungen haben Akteure die folgenden Maßstäbe herausgebildet, um zu beurteilen, ob die Gegenseite droht oder blufft:

Wird eine Drohung nur verbal geäußert oder durch konkrete und kostenintensive Maßnahmen unterstrichen? Steigern diese Maßnahmen die Fähigkeit, die Drohung wahrzumachen oder nicht?

In welchem Maß verliert die drohende Seite die Möglichkeit, den weiteren Verlauf einer Krise zu steuern, wenn sie eine Drohung ausstößt?

In welchem Maß würde die drohende Seite innenpolitisch ihr Gesicht verlieren, wenn die Drohung sich nur als Bluff herausstellt? In welchem Maß bindet sich die drohende Seite also selbst? Man spricht hier von Selbstfesselung.

Selbstfesselung

Das dritte Interaktionsproblem entsteht dadurch, dass in Verhandlungen gemachte Drohungen nicht ohne Gesichtsverlust zurückgenommen werden können. Vielmehr fesseln sie die Hände der drohenden Seite. Auf diese Weise verringern Drohungen auch die Möglichkeit, den Konflikt auf friedliche Weise zu beenden, denn es werden Erwartungen auch im eigenen Lager geweckt. So kann es sein, dass man die Geister, die man rief, nicht mehr loswird. In diesem Fall spricht man von einem unbeabsichtigten Krieg, weil er aus einer oder sogar einer Serie von Interaktionen heraus entstand, deren Ergebnis — Krieg — nicht beabsichtigt war. Als Beispiel für einen solchen unbeabsichtigten Krieg wird zumeist der Erste Weltkrieg genannt (Clark 2013; Münkler 2013). Aber auch im hier benutzten Beispiel Golfkrieg wird deutlich, dass diese Interaktionsdynamik wirksam war. Denn schon früh hatten sich die britische Premierministerin Margret Thatcher und der amerikanische Präsident George H. Bush öffentlich darauf festgelegt, dass Iraks Besetzung von Kuwait »keinen Bestand haben werde«. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien wurden dadurch erhebliche Erwartungen geweckt, dass beide Länder Kuwait militärisch befreien würden, sollte Irak nicht friedlich abziehen. Der Spielraum für einen auszuhandelnden Kompromiss war sehr beschränkt. Zusätzlich stand auch die Glaubwürdigkeit der USA und Großbritanniens in anderen Ländern auf dem Spiel. Wäre die Drohung nur ein Bluff gewesen, wer hätte spätere Drohungen dieser beiden Länder noch ernst genommen?

Bestand von Friedensabkommen

Das vierte Interaktionsproblem entsteht aus der Unsicherheit, ob alle Beteiligten sich an eine ausgehandelte Verhandlungslösung halten werden oder nicht. Denn nur dann können diese Kriege wirksam verhindern. Allein schon die Befürchtung, dass eine Seite eine Vereinbarung mit dem Hintergedanken schließen könnte, sich nicht daran zu halten, verringert die Möglichkeit, dass eine Übereinkunft überhaupt zustande kommt. Die beteiligten Akteure versuchen also einschätzen, ob alle Seiten sich an eine getroffene Vereinbarung halten werden oder nicht. Wenn sie zu dem Schluss kommen, dass eine oder mehr Seiten dies nicht tun werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es statt zu einer friedlichen Lösung zu Krieg kommt (Frieden/Lake/Schultz 2012: 105; Levy 2013: 592).

Nicht-Einhaltung

Das fünfte und letzte Interaktionsproblem entspringt der Möglichkeit, dass die Konfliktparteien zwar ein Abkommen zur friedlichen Konfliktlösung schließen, aber zumindest eine Seite das Abkommen nicht erfüllt oder einhält. Wenn es nicht gelingt, die Einhaltung geschlossener Abkommen sicherzustellen, steigt die Wahrscheinlichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung. Die Nicht-Einhaltung internationaler Vereinbarungen selbst kann auf unterschiedlichen Ursachen beruhen ( Information kompakt).

Information kompakt

Unter welchen Umständen werden Vereinbarungen nicht eingehalten?

Die Vereinbarung beeinträchtigt die militärischen Fähigkeiten der Beteiligten asymmetrisch. In diesem Fall ist der Anreiz zum Bruch hoch.

Die Vereinbarung ist fragil, wenn sie selbst oder die absehbaren Entwicklungen eine Seite begünstigt, z. B. wenn sie einer Seite die Beschaffung militärischer Fähigkeiten ermöglicht, gegen die die Gegenseite sich nicht wirksam schützen kann. Dieser »Schatten der Zukunft« kann destabilisierend wirken, schafft Anreize, die Vereinbarung später zu brechen.

Die Vereinbarung ist fragil, wenn durch sie erlaubte Technologie einen starken Anreiz zu einem militärischen Erstschlag setzt. Wenn zugelassene Waffensysteme einem Angreifer entscheidende Vorteile gegenüber dem Verteidiger verschaffen, sinkt der Anreiz für beide Seiten, einen verabredeten Frieden oder Waffenstillstand einzuhalten.

Die Vereinbarung ist in der Umsetzung kompliziert und überfordert die Möglichkeiten einer Konfliktpartei.

Einer Konfliktpartei ist es nicht möglich, alle nachgeordneten Akteure wirksam zu kontrollieren und die Einhaltung intern durchzusetzen.

Zwischenfazit

Interaktionsprobleme als Kriegsursachen

Die folgenden Interaktionsprobleme können zu Krieg führen:

Fehleinschätzung der gegnerischen Machtpotentiale, Entschlossenheit und Risikobereitschaft;

Zweideutigkeit oder Unklarheit der ausgesandten Botschaften oder Drohungen;

Selbstfesselung durch ausgestoßene Drohungen, die nicht ohne Glaubwürdigkeitsverlust zurückgenommen werden können;

Zweifel der Konfliktparteien, dass sich die jeweils andere Seite an die getroffene Vereinbarung halten wird;

Nicht-Einhaltung von geschlossenen Vereinbarungen.

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