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1.2.1 Sozialpädagogik
ОглавлениеDa es in diesem Buch um die Sozialpädagogik in der Sozialen Arbeit geht, soll der Begriff Sozialpädagogik ausführlicher behandelt werden. Daher wollen wir die eigentliche Definition noch etwas zurückstellen und zunächst die Bedeutungsinhalte des zu bestimmenden Wortes Schritt für Schritt abschreiten.
Dem Wort Sozialpädagogik sind nämlich vor einer terminologischen Feststellung mehrere mögliche Bedeutungskomplexe zu entnehmen. Dies irritiert den Laien und behindert Praktiker und Theoretiker. Grob gesehen gibt es hierfür drei Gründe:
Der erste ist: Fortgesetzt werden der Sozialpädagogik neue Aufgaben zugeordnet und alte umverteilt. Als Beispiel für ein in den letzten Jahren hinzugekommenes Problem lässt sich die Welle von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit anführen: Von der Sozialpädagogik wird erwartet, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur Lösung dieser neuen Probleme leistet.
Als Exempel für die Umverteilung von Aufgaben sei die im Prozess befindliche gemeinsame Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder im Kindergarten genannt, die für die Sozialpädagogik ein neues Arrangement mit der Heil- und Förderpädagogik verlangt. Der Umstand der permanenten Neuzuordnung und Umgruppierung sozialpädagogischer Aufgabenfelder verleiht verständlicherweise einem Teil der theoretischen Bemühungen den Charakter von Vorläufigkeit, Experiment und innovativer Herausforderung zugleich. Mit dem Wandel der Aufgaben changieren die Begriffe.
Der zweite Grund für die Unschärfe des Begriffs Sozialpädagogik liegt in dem mehrdeutigen und nicht immer kongruenten Gebrauch seit seiner Einführung und bei seiner Weiterverwendung.
Der dritte Grund für das Changieren des Begriffs Sozialpädagogik liegt in seiner engen Verknüpfung mit dem der Sozialarbeit. Dass dies an einer offensichtlich unauflösbaren Verbindung von sozialarbeiterischer und sozialpädagogischer Praxis liegt, ist bereits angesprochen, wird jedoch auch weiter unten wieder aufgenommen.
Zum Zweck einer Orientierungshilfe soll zunächst eine Übersicht über verschiedene definitorische Standpunkte gegeben werden. Diese wird in einem Schema dargestellt und zwar so, dass es die Positionen der verschiedenen Vertreter der Sozialpädagogik verdeutlichen hilft:
In einem Teil sozialpädagogischer Publikationen wird Sozialpädagogik verstanden als soziale Erziehung. Dabei werden einerseits das Individuum, andererseits die Gemeinschaft als die Objekte gesehen, die zu (pro-)sozialem Verhalten zu erziehen sind.
Unterschiedlich sind die Standpunkte hinsichtlich der individuellen Erziehung des Individuums. Eine Position betrachtet die individuelle Erziehung als besonderen Bestandteil der sozialen Erziehung. Sozialpädagogik wird dabei gesetzt als Prinzip sozialer Erziehung aller in der und durch die Gemeinschaft sowie einschließlich der einzig und allein als sozial gedachten Erziehung des einzelnen.
Eine gegensätzliche Auffassung versteht „Individualpädagogik“ als eigenständig außerhalb des Rahmens der Sozialpädagogik. Sie hebt darauf ab, dass der Mensch in seiner Individualität mit Begabungen und Einschränkungen ganz persönlicher Art ausgestattet ist und dass er schon mit der Mutterbrust einen natürlichen Anspruch auf eine eigene einzigartige Zuwendung und Erziehung hat, die ein Komplement der sozialen Erziehung darstellt (vgl. BUCHKREMER/ EMMERICH 2008).
Beide Varianten, Sozialerziehung als die Individualerziehung umschließende vs. Sozialerziehung & Individualerziehung als Komplemente, so unterschiedlich sie auch sind, benutzen die Termini Sozialpädagogik, Sozialerziehung und Individualerziehung dazu, wesentliche Ziele jeder Erziehung zu bestimmen oder zumindest zu akzentuieren.
In einer mehr pragmatischen Verwendung hat der Begriff Sozialpädagogik mehr die Funktion einer Sammelbezeichnung, und zwar meint er die Erziehungsmaßnahmen solcher Einrichtungen, die aufgrund der akuten Erziehungsnotstände und -lücken der familiären und schulischen Erziehung notwendig sind. Die Träger dieser sozialpädagogischen Interventionen sind demnach außerhalb herkömmlicher Familien- und Schulerziehung zu suchen, und zwar im Angebot einer vielseitigen Erziehungs- und Sozialisationshilfe staatlich-kommunaler und freier Träger. Dabei kann das Angebot sowohl durchgängig sein – d. h. phasenübergreifend: wie z. B. für die frühe Kindheit der Kindergarten – als auch situativ, fast zufällig wie das Angebot einer Kinderfreizeit oder einer Jugendfahrt.
Wir haben schon erörtert, wie sich die hier aufscheinende Gemengelage von sozialpädagogischer und sozialarbeiterischer Aufgabenverknüpfung mit dem Überbegriff Soziale Arbeit bezeichnen lässt. Immer geht es bei der Sozialen Arbeit um die Solidarisierung von und mit Individuen, Gemeinschaften und Gesellschaften.
Solidarisierung heißt, sich auf den gemeinsamen, sozialen Boden zu besinnen und ihn auch für die Abstützung jeweils Schwächerer und Benachteiligter bereitzustellen.
Nach dieser mehr deskriptiven Übersicht über die Verwendungszusammenhänge des Begriffs Sozialpädagogik ist die für dieses Buch verbindliche Definition von Sozialpädagogik in Sozialer Arbeit fällig:
Sozialpädagogik ist der Bereich von Erziehung und Erziehungswissenschaft, der in besonderer Weise an (pro)sozialem Verhalten orientiert ist. Zum einen sind Prosozialität und Solidarität die Ziele der Sozialpädagogik. Diese sucht sie mit erziehlichen Mitteln bei Individuen, menschlichen Gemeinschaften und Gesellschaften zu entwickeln. Zum andern sind Prosozialität und Solidarität die von der Sozialpädagogik vorausgesetzten und eingeforderten Motive der Gesellschaft und Politik.
Im Gegenzug zu ihrer Anforderung an die Gesellschaft steht Sozialpädagogik selbst unter der Anforderung, mit ihren Mitteln dazu beizutragen, dass Menschen in riskanten und problematischen Lebenslagen für die Gesellschaft produktiv bleiben oder (wieder) werden.
Auf dem Hintergrund und vor dem Horizont von Prosozialität und Solidarität hält die Sozialpädagogik eine Vielzahl von erziehlichen Einrichtungen und Angeboten bereit, um Solidaritätslücken zu schließen und Fehlanpassungen zu vermeiden. Darüber hinaus ist sie aktiv beteiligt an der nicht im engeren Sinne erziehlich verstehbaren Solidarisierung mit Personen und Gruppen, deren gesellschaftliche Benachteiligung unter dem Gesichtspunkt der Solidarität nicht geduldet werden kann.