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6. Dichtung und Prosa
ОглавлениеDie Notwendigkeit, sich in einen anderen Sprachrhythmus einfinden zu müssen, gilt, dies sei hier nochmals betont, nicht nur für die Dichtung, sondern auch schon beim Lesen von Prosa. So schreibt etwa Longinus leicht kritisierend (Πॉρὶ ὕψख़υॢ 41,2):
Und noch das Schlimmste daran: Wie Gesangseinlagen die Zuhörer von der Handlung ablenken und die Aufmerksamkeit mit Gewalt auf sich ziehen, so vermittelt auch eine zu stark rhythmisierte Prosa den Hörern nicht das Pathos der Worte, sondern des Rhythmus, so daß sie manchmal, die geforderten Schlußkadenzen im voraus kennend, selbst den Takt zu den Worten schlagen und wie im Chor die Klausel vorwegnehmen.
καὶ ἔτι τख़ύτων τὸ χॉίριστख़ν, ὅτι, ὥσπॉρ τὰ ᾠδάρια τख़ὺॢ ἀκρख़ατὰॢ ἀπὸ τख़ῦ πράγματख़ॢ ἀϕέλκॉι καὶ ἐϕ’ αὑτὰ βιάζॉται, ख़ὕτωॢ καὶ τὰ κατॉρρυθμισμένα τῶν λॉγख़μένων ख़ὐ τὸ τख़ῦ λόγख़υ πάθख़ॢ ἐνδίδωσι τख़ῖॢ ἀκख़ύख़υσι, τὸ δὲ τख़ῦ ῥυθμख़ῦ, ὡॢ ἐνίख़τॉ πρख़ॉιδόταॢ τὰॢ ὀϕॉιλख़μέναॢ καταλήξॉιॢ αὐτख़ὺॢ ὑπख़κρख़ύॉιν τख़ῖॢ λέγख़υσι καὶ ϕθάνख़νταॢ ὡॢ ἐν χख़ρῷ τινι πρख़απख़διδόναι τὴν βάσιν.
Ebenso verdeutlicht dies die folgende Passage aus Ciceros Orator83. Cicero fragt nicht, ob man in Prosa überhaupt rhythmisch spricht oder sprechen sollte, sondern welcher Rhythmus sich in Prosa schickt und welcher nicht:
Es ist nun aber die Frage, welchen Rhythmus oder welche Rhythmen wir am ehesten gebrauchen sollen. Daß sie tatsächlich allesamt in unsere Prosa hineingeraten, läßt sich schon allein daran erkennen, daß wir in Prosa oft ganz unabsichtlich Verse produzieren. Das ist aufs äußerste zu tadeln; aber wir geben darauf eben nicht acht und hören uns selbst nicht genau zu. Freilich können wir Senare und Hipponakteen84 kaum vermeiden, besteht doch unsere Prosa zu einem großen Teil aus iambischen Rhythmen85. Dennoch läßt der Hörer diese Verse gerne gelten, denn ihr Gebrauch ist absolut üblich. Wir streuen aber oft unabsichtlich auch andere ein, weniger gebräuchliche zwar, aber dennoch Verse: ein fehlerhaftes Verhalten und eines, das es mit aller Vorsicht zu vermeiden gilt. sed quaeritur, quo numero aut quibus potissimum sit utendum. incidere vero omnes in orationem etiam ex hoc intellegi potest, quod versus saepe in oratione per imprudentiam dicimus; est id vehementer vitiosum; sed non attendimus neque exaudimus nosmet ipsos. senarios vero et Hipponacteos effugere vix possumus; magnam enim partem ex iambis nostra constat oratio. sed tamen eos versus facile agnoscit auditor; sunt enim usitatissimi. inculcamus autem per imprudentiam saepe etiam minus usitatos, sed tamen versus: vitiosum genus et longa animi provisione fugiendum.
Auch die Alltagssprache ist nach Cicero also so rhythmisch, daß man manchmal unwillkürlich „in Versen“ spricht86. Als fehlerhaft brandmarkt er nicht die gelegentliche Übereinstimmung eines Prosarhythmus mit dichterischen Rhythmen überhaupt, sondern wenn der Redner eine längere Folge von gleichen Versfüßen oder gar ganze (ausgefallenere) Verse in seine Rede einbaut87.
Für Spezialisten:
Hier spricht Cicero als Purist in Sachen Stilistik, und nach seinem Dictum werden sich die meisten auch an dieses gehalten haben. Aber schon ein Zitat von Longinus belegt, daß diese „Vorschrift“ nicht uneingeschränkt gegolten hat, denn in seiner Schrift Πॉρὶ ὕψख़υॢ (39,4 f) lobt Longinus einen daktylischen (= heroischen = erhabenen) Rhythmus in einer Rede des Demosthenes und bemerkt, wenn man nur ein Wort von der Stelle rücke, zerstöre man den ganzen Einklang von Wortfügung und Inhalt. Ob im Griechischen in der Frage, in welchem Umfang Verse in eine Prosarede einfließen dürfen oder nicht, ein anderes Stilempfinden geherrscht hat, mag dahingestellt bleiben. Auch im Bereich der lateinischen Literatur hat man sich jedenfalls nicht grundsätzlich an Ciceros Verdikt gehalten, zumindest nicht in allen Prosagattungen. Beispielsweise hat sich Livius nicht gescheut, sein monumentales Geschichtswerk hexametrisch beginnen zu lassen (Liv. praef. 1):
Das ergibt, von facturusne bis primordi(o), einen hypermetrischen Hexameter: ; auch ab urbis bis perscrips- ergibt sich wieder ein hexametrischer Rhythmus: . Mit Synalöphe zwischen kommt man also auf fast zwei (!) vollständige, durch Synaphie aneinander gebundene Hexameter (allerdings sog. versus spondiaci, eine in Gedichten seltene Sonderform). Freilich wird man das nicht häufig antreffen, schon wegen des Verdikts Ciceros, was u.a. dazu geführt hat, daß man glaubte, durch eine Umstellung (facturusne sim operae pretium …) in den Wortlaut des überlieferten Textes (!) eingreifen zu müssen – sicher zu Unrecht, denn Tacitus hat den Beginn seiner Annales ebenfalls hexametrisch gestaltet: „Die Stadt Rom haben am Anfang Könige beherrscht …“ – principio reges habuere .