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Vorwort

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Mein erstes Buch »Autismus. Was Eltern und Pädagogen wissen müssen«, das im April 2019 herausgekommen ist, richtet sich insbesondere an Eltern und Pädagog*innen im Umgang mit autistischen Kindern und Jugendlichen. In den letzten Jahren meiner Berufstätigkeit bei Autismus Bremen e. V. bestand meine Beratungstätigkeit überwiegend aus der Beratung von Eltern erwachsener Kinder sowie Mitarbeiter*innen aus Wohnheimen oder Werkstätten. Dabei wurde mir deutlich, dass es bisher nur wenige autismusspezifische Veröffentlichungen zum Thema erwachsene Menschen mit frühkindlichem Autismus (und intellektueller Beeinträchtigung) gibt. Was lag also näher, als die erwachsenen Menschen für ein weiteres Buch in den Fokus zu rücken und aus meiner Sicht zusammenzufassen, was für autistische Menschen im Erwachsenenalter wichtig und notwendig ist? Auch die vielen Gespräche und der umfangreiche Erfahrungsaustausch in Einrichtungen zum Wohnen und Arbeiten haben mich darin bekräftigt, mich dieser Thematik zu widmen, denn ich erkannte immer wieder, wie viele Fragen und Unsicherheiten es im Umgang mit den erwachsenen Betroffenen gibt.

Am eigenen Lebensalter bemerkt man, wie die Zeit voranschreitet, man nicht nur selbst älter wird, sondern auch die Menschen, die den eigenen Weg begleitet haben, älter werden. So geht es mir auch, wenn ich an die Kinder denke, die vielleicht drei oder fünf oder zehn Jahre alt waren, als ich vor 40 Jahren als junge Therapeutin anfing, autismusspezifisch mit ihnen zu arbeiten. Nun sind sie mindestens 40 oder 50 Jahre alt, leben vielfach in Einrichtungen, arbeiten und verleben ihre Freizeit. Ganz selten einmal hatte ich in den letzten Jahren die Gelegenheit, von diesen jungen Menschen Jahre später wieder zu hören. Bei vielen war der Weg bis zu dieser Begegnung gut verlaufen, bei anderen nicht, sodass ich als Beraterin die Gelegenheit bekam, sie wiederzutreffen. Häufig fiel mir dabei auf, dass autismusspezifische Förderung im Erwachsenenalter nicht mehr in dem Ausmaß stattfand, wie ich mir dies gewünscht hätte. Die Autismustherapie hatte im Jugendalter geendet, und eine Nachhaltigkeit war manchmal nicht zu erkennen. Der 30-Jährige Paul hatte sich bspw. als 12-Jähriger über das Schreiben mit Buchstaben verständigt (er konnte zu diesem Zeitpunkt aus einem ›Berg‹ von 100 Buchstabenplättchen die richtigen heraussuchen, um die Begriffe für bevorzugte Lebensmittel fehlerfrei zu schreiben), jedoch war dieses Können inzwischen völlig verschwunden. Dafür herrschten Erstaunen und Ungläubigkeit bei den Betreuer*innen seiner Wohnstätte, die ihm dieses Können nicht zutrauten. Glücklicherweise konnte ich ein Video zeigen und damit demonstrieren, was Paul damals für erstaunliche Fähigkeiten besessen hatte. Leider war diese besondere Befähigung verloren gegangen, und die Eltern von Paul konnten sich nicht darum kümmern, dieses Kommunikationsmittel nach Beendigung der Therapie weiterzuverfolgen und so ihrem Sohn die Chance zu geben, hiermit seine Bedürfnisse darstellen zu können. Dabei war er selbst sehr stolz darauf gewesen. Jedoch hatte es der Alltag mit seinen Problemen und Veränderungen verhindert.

Mein persönlicher Anspruch an die Arbeit mit autistischen Menschen ist immer gewesen, sie bestmöglich zu fördern bzw. ihrem Umfeld aufzuzeigen, wie eine optimale, kontinuierliche Förderung im Kleinkindalter, beim Schulkind, für den Teenager oder die Teenagerin, aber auch für Erwachsene so gut wie möglich gelingen kann. Meine Erfahrung ist, dass die betroffenen Menschen immer dankbar für Anregungen und Beschäftigungen sind bzw. waren. Dafür ist jedoch erforderlich, sie mit ihrer besonderen Wahrnehmung und ihren Bedürfnissen zu begreifen und anzunehmen. Dann sind sie mitunter zu Leistungen in der Lage, die ihnen keiner zugetraut hat. Dass dies möglich ist, hat für mich schon immer das Besondere und ›Unbegreifliche‹ des Autismus ausgemacht.

Inzwischen im Ruhestand kann ich mich nicht mehr tagtäglich für die Belange autistischer Menschen einsetzen, dies machen jetzt jüngere Menschen, die ihre eigenen Ideen und persönlichen Vorlieben haben. Dennoch habe ich mit diesem Buch die Chance genutzt, meinen beruflichen Weg mit Autismus (als Begleiterin von Eltern Betroffener und von Mitarbeiter*innen in Einrichtungen) noch einmal zu beschreiten, und zwar von dem Punkt an, wo mein letztes Buch endet, nämlich mit dem Übergang des jungen Menschen in Berufsausbildung, Arbeit und Wohnen. Das ganze Leben eines Menschen mit Autismus von Anfang an bis zum Ende (Sterbebegleitung) darzustellen, Verständnis für die Beeinträchtigung sowie vielseitige pädagogische Hilfen vorzustellen und Fachleuten bzw. Bezugsperson anzubieten – das sind die Ziele dieses Buches.

Danken möchte ich an dieser Stelle meinem Sohn Max für die hilfreiche Unterstützung beim Erstellen und Bearbeiten der Fotos und der Beantwortung von computertechnischen Fragen. Meinem Mann Günter danke ich für die Nachsicht bei meiner zeitaufwendigen Beschäftigung mit dieser Veröffentlichung, besonders für seine liebevolle Unterstützung und Aufmunterung. Ein besonderes Dankeschön gilt Elisabeth Häge, Lektorin im Kohlhammer Verlag, für ihre überaus zuvorkommende und hilfreiche Betreuung einschließlich prompter und überzeugender Beantwortung sämtlicher Fragen– diese Unterstützung bedeutet mir viel.

Christiane Arens-Wiebel

Erwachsene mit Autismus begleiten

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