Читать книгу Wind der Traumzeit - Christin Busch - Страница 11

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Max unterdrückte seinen Ärger nur mühsam, als er sah, dass Nora gemeinsam mit Tom in das Lokal kam. Atemlos trat sie an seinen Tisch.

»Entschuldige, Max, dass du warten musstest, aber die Mutter von Maries Freundin wollte noch etwas, als ich sie dort vorhin abgeholt habe. Es ist deshalb etwas später geworden.« Sie hatte ihm einen Kuss auf die Wange gehaucht und wandte sich um. »Ich finde, ihr solltet euch einmal kennen lernen. Das ist Tom. Tom Morrison.« Sie deutete auf ihren Exmann. »Max Bergmann.« Ein beklemmendes Schweigen senkte sich über die kleine Nische im Lokal, als Tom die Hand ausstreckte, während Max ihn kühl musterte, kurz nickte und die Hand einfach übersah. Tom zog seine Hand zurück und schob Nora den Stuhl zurecht. Die Geste wirkte so vertraut und selbstverständlich, dass Max schlagartig klar wurde, dass dies tatsächlich der neue Mann an Noras Seite war. Eine Möglichkeit, die er schon gar nicht mehr ernsthaft in Betracht gezogen hatte. Es widerstrebte ihm auch, sich im Beisein dieses Mannes über die Kinder zu unterhalten. Ein abweisendarroganter Zug legte sich um seinen Mund, während er sich zurücklehnte und die Beine übereinander schlug. Nora registrierte die Spannung sofort und war kaum in der Lage, ruhig zu bleiben. Sie wollte keinen Streit, keine Auseinandersetzung und auch keine neuerlichen Diskussionen. Sie hatte es satt, ständig nach Lösungen zu suchen und sich rechtfertigen zu müssen. Ihr Herz klopfte heftig, während sie sich darum bemühte, sich zusammenzureißen. Sie durfte kein Risiko eingehen die Kinder zu verlieren. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Nun, Max, was gibt es?«

Max ärgerte sich erneut. Sie glaubte doch wohl nicht ernsthaft, dass er hier vor diesem Mann die Probleme wälzte, die die Kinder gerade seinetwegen hatten. Er schwieg einfach, und Nora rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Schließlich beugte sie sich über den Tisch und sah ihm ins Gesicht.

»Max, es gibt einen Grund dafür, dass Tom heute mit mir hier ist. Und ich wünschte mir sehr, dass wir in Ruhe darüber reden könnten.« Sie atmete hörbar aus. »Darüber hinaus versteht Tom praktisch kein Deutsch. Wenn wir also über die Kinder sprechen, sind wir unter uns.« Sie fuhr sich nervös durchs Haar. »Ich …« Sie brach ab und wirkte verlegen. »Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll.«

Max sah sie mit wachsendem Unmut an. Was sollte dieses Theater hier? Er wollte mit Nora sprechen, weil er einen Anruf von Maries Lehrerin bekommen hatte, die ihm mitgeteilt hatte, dass seine Tochter plötzlich sehr in sich gekehrt sei, häufig weine und sich kaum noch am Unterricht beteilige. Die Lehrerin hatte sich an ihn gewandt, weil sie Nora nicht erreicht hatte. Vermutlich war sie dauernd mit diesem Tom beschäftigt … Max fühlte Zorn in sich aufsteigen, als Nora ihn bittend ansah.

»Also, es ist Folgendes: Tom möchte, dass ich mit ihm nach Australien gehe.« Sie musterte sein Gesicht, während er wie vom Donner gerührt den Blick abwandte, nach einem Salzstreuer griff und diesen betrachtete, als hätte er so etwas noch nie zuvor gesehen. Max spürte, wie viel Mühe es ihn kostete, ruhig zu bleiben. Dass Nora einen so großen Schritt wagen würde, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er versteckte seine Enttäuschung und Wut hinter einer Maske eiskalter Beherrschung. Kühl wanderte sein Blick zwischen Tom und Nora hin und her.

»Es ist dein Leben, und du kannst tun und lassen, was du willst.« Er schaute ihr gerade ins Gesicht. »Aber die Kinder«, er verbesserte sich rasch, »meine Kinder bleiben hier in Deutschland. Es ist mir ganz egal, was du dazu zu sagen hast. Niklas und Marie sind meine Kinder. Sie leben seit ihrer Geburt hier. Und ich gebe sie keinesfalls auf oder werde seelenruhig zusehen, wie du sie ans andere Ende der Welt verpflanzt, nur weil dich die Mid-life-Crisis gepackt hat.«

Das nachfolgende Schweigen am Tisch nahm beklemmende Ausmaße an. Nora wusste nichts zu erwidern. Im Grunde konnte sie Max’ Reaktion sogar verstehen. Sie hätte wahrscheinlich ähnlich reagiert. Aber wieder stand sie vor unlösbaren Problemen wegen ihrer Liebe zu Tom. Wieder einmal bewegte sie sich am Rande der Verzweiflung, weil nichts in ihrem Leben glatt lief, wenn es um diese Liebe ging. War das ein Zeichen? Sollte sie doch auf ihn verzichten und sich mit dem alltäglichen Für und Wider ihres normalen Lebens zufrieden geben? Sie schluckte heftig, als Tom ruhig nach ihrer Hand griff und sie in seine Hände legte. Diese Geste der Nähe und Vertrautheit gab Max einen Stich. Auch wenn er sich tausendmal gesagt hatte, dass der Bruch zwischen ihm und Nora endgültig sei, konnte er den Gedanken an einen neuen Mann in ihrem Leben nur schwer ertragen. Selbst die Tatsache, dass er, Max, ein überaus erfolgreicher Manager war, konnte ihn in dieser Situation nicht trösten, denn auch Tom war kein Niemand, kein Hungerleider.

Mit einer energischen Geste stellte er den Salzstreuer zurück und sah angelegentlich auf die Uhr, als hätte er noch einen weiteren Termin. Er vermied den Blick auf Noras Hand in den schlanken, gebräunten Händen von Tom und schaute auf in Noras Gesicht. In diesem Moment genoss er das Gefühl, alle ihre Zukunftspläne zerschlagen zu können, denn wenn er eines sicher wusste, dann das: Nie würde sie Niklas und Marie hier lassen und auswandern. Lässig lehnte er sich zurück, um ihr einen weiteren Schlag zu versetzen. »Ich erhielt gestern Mittag einen Anruf von Frau Bach.« Er beobachtete die Wirkung, die seine Worte auf Nora hatten.

Sie setzte sich unwillkürlich gerade auf und machte ein erstauntes Gesicht. »Ach ja? Warum hat sie denn bei dir angerufen?« »Weil sie dich nicht erreichen konnte, Nora.« Nora spürte den Vorwurf, der in seiner Stimme mitschwang, und schwieg.

Max fuhr fort. »Sie macht sich Sorgen um Marie. Marie hat sich sehr zurückgezogen. Sie lacht nicht mehr, geht ihren Freundinnen aus dem Weg und beteiligt sich kaum noch am Unterricht. Sie scheint das Interesse an der Schule verloren zu haben.« Er streifte Tom mit einem Seitenblick, bevor er sich wieder an Nora wandte. »Hast du eine Erklärung dafür?«

Eine tiefe Röte überzog Noras Gesicht. »Was soll dieser Ton, Max? Du weißt genauso gut wie ich, dass eine Trennung sich immer auf die Kinder auswirkt.«

Max lehnte sich wieder zurück. »Nun, getrennt sind wir schon seit über einem Jahr. Und die leichten Anfangsschwierigkeiten, nachdem ich ausgezogen war, hatte Marie rasch überwunden. Frau Bach spricht aber von den letzten drei Wochen.« Max beobachtete ihre Reaktion.

Tom sah eher hilflos von einem zum anderen. Es war offensichtlich, dass er keine Ahnung hatte, worum es ging. Er spürte nur Noras Unbehagen und drückte ihre Hand. Nora schwieg zunächst. In ihr tobte erneut ein Sturm unterschiedlichster Gefühle. Allen voran überschwemmte sie wie immer das Schuldbewusstsein. Aber genau darauf hatte Max es ja offensichtlich angelegt – sie in Bedrängnis zu bringen. Nach einer Weile schaute sie ihm ins Gesicht. Die Wut über seinen unterschwelligen Angriff ließ ihre Augen funkeln. Max sah, wie in dem tiefen Grün goldene Funken aufblitzten, die ihm mehr als alles andere an ihr verrieten, dass sie aufgebracht war.

Nora sprach leise, aber bestimmt. »Hör zu, Max. Egal, was du denkst, aber ich lasse mir von dir nicht jedes Mal die Schuld dafür geben, wenn im Leben unserer Kinder irgendetwas schief läuft. Du hast dein eigenes Leben, in dem die Kinder zu Besuch kommen und einen tollen Actionpapa haben, der mit ihnen großzügig alles Mögliche unternimmt und stets sein Sonntagsgesicht aufsetzt. Ich bin die Alltagsmama, die sich um die Schmutzwäsche, die Hausaufgaben und die Erziehung kümmern muss … Das ist nicht fair, Max! Wenn du dich jetzt nach unserer Scheidung mit einer Frau treffen willst, bekommen die Kinder es nicht mit, aber meine Beziehung zu Tom soll nun der Auslöser für Maries Schwierigkeiten sein.«

Sie brach ab. Insgeheim schmeckte sie die bittere Erkenntnis, dass es tatsächlich so war, aber sie fühlte sich vom Leben ungerecht behandelt. Max konnte tun und lassen, was er wollte, während ihre Entscheidungen und Handlungen für Traumata bei den Kindern verantwortlich gemacht wurden. Verdammt! Sie hatte außer Max nur einen einzigen anderen Mann in ihr Leben gelassen. Was war so schlimm daran? Ihre Kinder spielten verrückt, ihre Eltern gaben ihr das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein, Tom erwartete von ihr, dass sie mit ihm ging, Max erwartete, dass sie sich ausschließlich seiner Kinder annahm … Es konnte doch einfach nicht sein, dass sie für die Liebe zu Tom mit einem solchen Haufen unlösbarer Probleme bestraft wurde.

Max erhob sich und legte sich seine Jacke um. »Ich habe lediglich angeregt, dass du darüber einmal nachdenkst. Aber sag es mir nur, wenn dir die Kinder zu viel werden. Vielleicht ist es dir lieber, wenn sie zu mir kommen.«

Nora schnappte nach Luft. »Du drehst dir immer alles passend, nicht wahr, Max? Seit dem Tag ihrer Geburt bin ich für unsere Kinder da gewesen, während du dich um deine Karriere gekümmert hast. Ich beabsichtige, auch weiterhin für sie da zu sein.« Max lächelte in ihr aufgebrachtes Gesicht. »Na, dann fang mal mit Marie an. Einen schönen Abend noch.« Er nickte kurz, ging an mehreren Tischen vorbei zum Tresen, wo er sein Bier bezahlte, und verließ das Lokal, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.

Nora saß sekundenlang wie betäubt da und sagte nichts. Tom fühlte sich merkwürdig deplatziert. Zum ersten Mal hatte er tatsächlich mitbekommen, mit welchen Schwierigkeiten Nora seinetwegen zu kämpfen hatte. Von der Unterhaltung selbst hatte er praktisch nichts verstanden, umso aufmerksamer hatte er die Gesichter und die Mimik der beiden beobachten können. Er hatte bemerkt, wie aufgewühlt und betroffen Nora war. Ihm war aber auch nicht entgangen, dass Max seine Empfindungen hinter offensichtlich zur Schau gestellter Härte zu verbergen suchte. Tom hatte keinen Triumph dabei empfunden, zu erkennen, dass Max seine Exfrau keinesfalls gleichgültig war. Ein dumpfes Gefühl der Angst hatte sich um sein Herz gelegt. Seine Träume von einer gemeinsamen Zukunft mit Nora schienen plötzlich nicht mehr greifbar. Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich.

»Lass dich von seiner kühlen Art nicht ins Bockshorn jagen, mein Herz. Wir schaffen es.«

Nora fuhr sich über die Augen und seufzte. »Ach Tom, du hast doch keine Ahnung, was er gesagt hat. Marie hat seit deiner Ankunft Schwierigkeiten in der Schule. Max hat mit der Lehrerin gesprochen. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass er die Kinder zu sich nehmen will, wenn es bei mir Probleme gebe. Außerdem wird er mit Sicherheit durch sämtliche Instanzen gehen, wenn ich mit seinen Kindern nach Australien auswandern will.« Nora atmete scharf aus. »So viel zu unserem Plan für eine gemeinsame Zukunft.«

Obwohl Tom nicht danach zumute war, lächelte er sie an. Sie war so schrecklich impulsiv. All ihre Emotionen waren ihr stets ins Gesicht geschrieben. Sie lebte so intensiv. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie tief seine Gefühle für sie gingen. Seine Finger strichen sanft über ihre Wange, als er ihr in die Augen sah.

»Was hast du denn erwartet, Nora? Dass er freudestrahlend zustimmt, dass ich mit seiner Familie nach Australien verschwinde? Natürlich braucht er Zeit zum Nachdenken, genauso wie die Kinder Zeit brauchen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es mich gibt.«

Der Kellner kam an ihren Tisch. Nora bestellte einen Rotwein und sah fragend zu Tom. »Bier?«

Er nickte, und der Kellner ging wieder.

Sie schwiegen beide. Sie wussten, dass sie meilenweit von einer Lösung für ihr Problem entfernt waren.

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