Читать книгу Wind der Traumzeit - Christin Busch - Страница 8
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ОглавлениеDr. Caroline Winton fuhr dem kleinen blonden Mädchen über den Haarschopf und beobachtete, wie es sich bei der Sprechstundenhilfe ein Spielzeug aussuchte, weil es die Behandlung hinter sich gebracht hatte. Die Mutter des Kindes wandte sich an Caroline.
»Vielen Dank noch einmal für Ihre außergewöhnliche Geduld, Dr. Winton. Ich kann kaum noch zählen, bei wie vielen Zahnärzten ich mit Melissa unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Sie hat sich strikt geweigert, überhaupt den Mund aufzumachen, und niemand hat die Geduld gehabt, die Sie aufgebracht haben.«
Caroline lächelte freundlich. »Schon gut, Mrs. Cooper. Das ist doch unser Job.«
Mrs. Cooper schüttelte den Kopf. »Sie haben mehr als Ihren Job getan. Der letzte Zahnarzt, bei dem ich mit meiner Tochter war, hatte schließlich vorgeschlagen, die beiden Zähne in Vollnarkose zu behandeln. Stellen Sie sich das nur vor. Ich kann das Kind doch nicht bei jeder weiteren Zahnbehandlung in Narkose versetzen lassen.« Caroline stimmte ihr zu. »Nein, natürlich nicht. Was für ein Glück, dass es bei uns geklappt hat.« Ihre Augen wanderten wieder zu Melissa.
»Aber kommen Sie lieber vierteljährlich zum Nachschauen mit ihr zu uns. Es wird ihr Vertrauen in mich stärken, wenn sie öfter hier ist, ohne dass etwas gemacht werden muss, verstehen Sie?«
Mrs. Cooper nickte. »Ja, sicher. Das leuchtet ein.« Sie beugte sich zu ihrer Tochter hinunter, um den Ring zu bewundern, den das Mädchen ausgewählt hatte. »Der ist aber schön, mein Schatz. So, jetzt müssen wir aber gehen. Vielen Dank noch einmal.«
Mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit sah Caroline Winton ihnen nach. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und begann hektisch den weißen Kittel aufzuknöpfen.
»Oh, schon so spät. Ich muss nach Hause, Alice. Josh kommt gleich aus der Schule. Ich hab versprochen, dass ich dieses Mal vor ihm da bin.«
Die Arzthelferin lächelte und wandte sich bereits den Karteikarten der Patienten zu, die die anderen beiden Ärzte der Praxisgemeinschaft heute noch übernehmen würden. »Ich weiß, Caroline. Mach’s gut, bis morgen.«
Der Straßenverkehr in Darwin lief an diesem Nachmittag reibungslos, sodass Caroline erstaunlich gut vorankam. Nach einem erneuten Blick auf die Uhr beschloss sie, an Joshuas Schule vorbeizufahren. Mit etwas Glück würde sie ihn noch erwischen. Gut gelaunt bog sie ab. Sie freute sich auf das Wochenende, das nun gleich beginnen würde. Nur Sam hatte noch ein paar Stunden im Hotel zu tun. Aber heute Abend wäre auch er zu Hause. Ihre Augen glitten suchend an einer Schar Kinder entlang, die gerade den Schulhof verlassen hatten. Schließlich entdeckte sie ihren Sohn. Sie hupte zweimal kurz und hielt neben ihm an. Er winkte seinen Freunden zu, öffnete die Tür und ließ sich hinten auf den Sitz fallen. »Hi, Mom! Du bist ja heute tatsächlich pünktlich.« Er grinste übermütig.
Sie lachte leise. »Na klar. Versprochen ist versprochen.« Sie sah ihn im Rückspiegel an. »Wie war’s heute in der Schule?«
»Hm, ganz gut.«
Caroline stellte die Klimaanlage höher. »Wir haben noch ein paar Stunden, bevor Daddy nach Hause kommt. Was wollen wir machen?«
Josh dachte nach. Dabei erschien eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen. Seine Baseballkappe hatte er zurückgeschoben, sodass sein dunkles welliges Haar in die Stirn fiel. Dunkelbraune Augen musterten seine Mutter, während er sich erhitzt eine Locke aus der Stirn pustete.
»Eigentlich würde ich am liebsten im Pool schwimmen und eine Riesenportion Eis essen.« Er lächelte entwaffnend. Caroline grinste. »Also gut. Der Herr hat gewählt. So machen wir es. Und ganz ehrlich, dazu habe ich auch die größte Lust.«
Als Sam Winton am Abend das Haus betrat und ins Wohnzimmer ging, entdeckte er seine Frau und seinen Sohn bei einem übermütigen Gerangel am Pool. Achtlos stellte er seine Aktentasche ab und betrachtete versonnen seine Familie. Es war richtig gewesen, dass sie sich im letzten Jahr für den Pool entschieden hatten. Die tropische Wärme hier oben im Norden Australiens ließ sich manchmal nicht anders ertragen. Er lächelte, als Josh prustend an die Wasseroberfläche kam, die Stufen hochkletterte und seine Mutter bespritzte. Carolines langes dunkles Haar war zu einem Zopf geflochten, der nass auf ihrem Rücken hing. Sie war braun gebrannt und lachte aus vollem Halse darüber, dass Josh jetzt bei einem erneuten Sprung ins Becken die Badehose heruntergerutscht war. Sams Herz schlug unwillkürlich schneller. Verdammt, alles war absolut perfekt. Warum hing sie nur mit solcher Beharrlichkeit an ihrem Job? Es könnte immer so sein wie jetzt. Es ärgerte ihn, dass Josh des Öfteren von der Nachbarin betreut werden musste, wenn Caroline nicht pünktlich aus der Praxis rauskam. Und es ärgerte ihn ebenfalls, dass er manchmal nach Hause zurückkehrte und niemand ihn erwartete. Er wusste zwar, dass seine Einstellung altmodisch war, doch etwas nagte an ihm, wenn seine Frau oftmals abgehetzt, aber mit glücklich blitzenden Augen von der Arbeit heimkam, weil es ihr gelungen war, irgendeinem fremden Kind eine perfekte Füllung zu verpassen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, stünde ihr eigenes Kind immer an erster Stelle, vielleicht sogar mehrere Kinder, denn für ihn gehörte Kinderlärm zu einer richtigen Familie. Er beobachtete Josh. Sein Sohn war inzwischen acht Jahre alt. Sicher wäre es schöner für ihn, mit Geschwistern aufzuwachsen, aber davon wollte Caroline nichts wissen, und bald wäre es zu spät dafür … Seufzend lockerte er die Krawatte und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Als er das Zimmer betrat, fiel sein erster Blick auf das Paket aus der Reinigung, das Caroline achtlos aufs Bett geworfen hatte. Missmutig betrachtete er den Stapel frisch gebügelter Arztkittel. Wenn sie nur nicht dieses verdammte Studium absolviert hätte. Er zog die Anzughose aus und ließ sich aufs Bett sinken. Die verfluchte Tradition bei den Morrisons. Ein böser Seitenblick streifte ein Foto in der Schrankwand, das Caroline Arm in Arm mit ihrem Bruder Tom und ihrer Mutter zeigte. Auch sein wunderbarer Schwager war Arzt. Ganz der Vater. Ein höhnischer Zug legte sich um seine Lippen. Catherine, seine Schwiegermutter, ließ auch keine Gelegenheit aus, diese Tatsache hervorzuheben. Und er? Er würde bald eines der größten Hotels in Darwin allein führen. Als stellvertretender Direktor war dies nur noch eine Frage der Zeit. Er hatte in Amerika und Europa gearbeitet und sprach fließend drei Sprachen. Er war stolz auf den Teamgeist, den er vor Jahren als zarte Pflanze in seine Mitarbeiter gesetzt und kontinuierlich gepflegt hatte. Inzwischen schien aus dieser Pflanze ein Baum geworden zu sein. Alle identifizierten sich mit ihrer Aufgabe im Darwin Palace. Vom Empfangschef bis zur Küchenaushilfskraft, vom Zimmermädchen bis zur Hausdame wusste jeder, dass er wichtig war für das reibungslose Funktionieren der Hotelmaschinerie … Verdammt, das war allein sein Verdienst. Zählte das nicht? Kopfschüttelnd erhob er sich, stieg in seine Badehose und ging zur Tür.