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ОглавлениеDie Auseinandersetzungen zwischen Nora und ihrem Sohn gingen weiter und fanden einen neuen Höhepunkt, als Niklas an einem Freitagabend nicht nach Hause zurückkehrte. Noras anfängliche Unruhe ging nach einiger Zeit in Reizbarkeit und Sorge über, weil sie meinte, Niklas wolle sie mit demonstrativem Zuspätkommen provozieren. Eine Weile hatte sie noch das gemeinsame Abendessen hinausgezögert und versucht, nicht an Niklas und seine Ablehnung zu denken. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Nun war ihr Sohn nicht daheim, und sie machte sich Sorgen, und wenn er da war, litt sie unter seiner Feindseligkeit. Sie hatte keine Ahnung, wie sie mit dieser verfahrenen Situation fertig werden sollte. Sie sehnte sich nach einem gemeinsamen Leben mit Tom, aber sie wusste auch, dass eine Zukunft mit ihm und Niklas und Marie in etwa so wahrscheinlich war wie Weihnachten im Hochsommer. Sekunden später hatte sie schmunzeln müssen, als ihr eingefallen war, dass die Australier die Weihnachtstage immer im Hochsommer verbrachten. Sie hatte sich mit diesem Gedanken an ein womöglich gutes Omen getröstet und gemeinsam mit Tom, Marie und Sophie zu Abend gegessen. Doch mit fortschreitender Zeit war das zermürbende Warten zur Qual geworden. Mit brennenden Wangen war sie später vom Telefon zu Tom ins Wohnzimmer zurückgekehrt, nachdem sie Niklas’ Klassenkameraden angerufen hatte. Neben aller Sorge hatte sie sich obendrein beschämt gefühlt. Eine Mutter, die keine Ahnung hatte, wo ihr zwölfjähriger Sohn steckte … Für einen kurzen Moment war ihr der Gedanke gekommen, was wohl Max dazu sagen würde, und sie hatte sogar darum gebetet, dass Niklas wieder auftauchen würde, ehe sie gezwungen wäre, Max über sein Verschwinden zu informieren. Vorwürfe von Niklas’ Vater waren das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte.
Während sie mit Tom beratschlagte, was sie als Nächstes tun könnten, hatte das Telefon geklingelt, und Nora hatte aufsteigende Panik unterdrücken müssen und sich atemlos gemeldet. Sekunden später wich ihre Panik dem Gefühl der Überraschung, als ihr alter Freund Alexander ihr mitteilte, dass Niklas bei ihm und seinem Sohn Patrick in Hannover eingetroffen sei. Obwohl sie erleichtert war, dass es Niklas offenbar gut ging, war sie zugleich entsetzt darüber, dass der Junge über hundertsechzig Kilometer allein per Bahn zwischen seine Mutter und sich gebracht hatte. Obendrein hatte sie im Gespräch mit Alexander wieder einmal das Gefühl, sich vor jemandem für ihre Beziehung zu Tom rechtfertigen zu müssen, denn natürlich hatte Niklas von ihm erzählt.
Nach dem Telefonat war Nora zu Tom ins Wohnzimmer zurückgekehrt. Er vernahm mit einem erfreuten Lächeln, dass Niklas wieder aufgetaucht war, und strich ihr zärtlich über die Wange. Sein aufmunterndes »Na siehst du, es wird schon werden!«, hatte Nora entgeistert aufschauen lassen.
»Ist das dein Ernst? Was wird schon werden? Unser gemeinsames Leben? Niklas tickt ja jetzt schon nicht mehr richtig, und das, obwohl wir das Thema Australien noch gar nicht ausdrücklich angesprochen haben. An Max mag ich da überhaupt nicht denken.«
Bemerkte er denn nicht, wie aussichtslos alle Pläne und Hoffnungen waren? Vielleicht bekam er manche Feindseligkeit nicht mit, weil er kaum Deutsch sprach. Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Tom hatte doch sonst so feine Antennen, wenn es um die zwischenmenschlichen Töne ging. Wieso blieb er so gelassen? Sie taxierte sein Gesicht, dann senkte sie den Kopf und sah auf ihre Hände.
»Ich halte das nicht mehr lange aus, Tom. Dieses ewige Hin und Her. Die Angst, dass ich meine Kinder nicht nur verlieren kann, sondern auch, dass ich sie unglücklich mache, indem ich mein eigenes Glück durchsetzen will.« Sie hatte bitter aufgelacht. »Im Grunde sitzen wir noch genau da, wo wir uns nach unserer ersten gemeinsamen Nacht auf der Farm der Harpers befunden haben. Eigentlich lachhaft, dass wir immer noch an diesem Punkt sind, obwohl ich inzwischen tatsächlich geschieden bin. Findest du nicht?«
»Niemand hat uns versprochen, dass es leicht wird, Nora. Deine Kinder sind lebhaft und intelligent, ihnen steht eine eigene Meinung zu. Und wenn ich Max wäre, würde ich auch nicht hurra schreien, wenn man mich mit dieser Situation konfrontieren würde. Aber, was auch geschieht, ich liebe dich. Und wir gehören zusammen. Nora, ich kann dich nicht noch einmal verlieren.«
Sie sah in seine Augen. Wieder einmal war sie nicht in der Lage, seinem intensiven Blick auszuweichen. Ja, sie liebte Tom mit jeder Faser ihres Herzens. Sie konnte sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen und spürte schon seinen Atem, als er sich zu ihr hinunterbeugte. Sein Kuss ließ die eben noch ausgestandenen Sorgen wegen ihres Sohnes in den Hintergrund treten. In diesem Moment fühlte sie nur noch Tom.