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Das Evangelium als tragender Grund der Musik

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Über die an das Wort gebundene Musik hinaus legt Luther der Musik an sich theologische Qualität bei. Er nimmt die traditionelle Unterscheidung von musica naturalis und artificialis auf: „naturalis“ als die Musik, die als Harmonie des Kosmos a priori existent ist und „artificialis“ als die vom Menschen erzeugte Musik, die später mit der musica instrumentalis, also der durch Instrumente hörbar umgesetzten Musik gleichgesetzt wird. Diese bezeichnen keine unterschiedliche Wertstufe, sondern sind deskriptive Begriffe.

Luther nimmt die Begriffe auf und bewertet sie neu: „Wo aber die natürliche Musica durch die Kunst gescherfft und polirt wird, da sihet und erkennet man erst … mit grosser verwunderung die grosse und volkomene weisheit Gottes in seinem wunderbarlichen werck der Musica“1.

Die musica artificialis als Erkenntnisgrund der göttlichen Vollkommenheit findet zu seiner Zeit in der Musik des Komponisten Josqin dés Pres (1440–1521) ihren Höhepunkt, dessen Kunst als vollkommene Erfüllung des Anspruches der Musik als klingender Kosmos angesehen wird.

Anhand der Musik Josquins führt Luther sein theologisches Anliegen in den Diskurs ein. Er versteht seine Musik als Abbild des Evangeliums: „Was lex ist, geht nicht von stad, was evangelium ist, das gett von stad. Sic deus praedicavit evangelium etiam per musicam, ut videtur in Josquin, des alles composition frölich, willig, milde (freigebig) heraus fleust, ist nitt gezwungen und gnedigt (genötigt) per regulas sicut des fincken Gesang.“2

In seinem Verständnis ist die Musik Josquins, die sich von den einengenden Banden der kompositorischen Regeln befreit hat, Gleichnis für das Evangelium.

Josquin ist bei Luther „Der Noten Meister“ im Gegensatz zu anderen, die er als Diener der Tonsetzungsregeln versteht.

Die interne Stimmigkeit der Musik hängt nicht allein an einer dem Wortsinn angemessenen auslegenden Darstellung eines Textes mithilfe musikalischer Symbole, sondern darin, daß sie diesen „mit den Eigenansprüchen genuin musikalischer Gestaltung paaren kann, (so) gelingt ihr eine artifizielle Dichte, die mehr ist als die Erfüllung reiner Satzregeln“3

Aus der Perspektive der Musikwissenschaft wird die musikgeschichtlich weitreichende Wirkung der Werke Josquins damit begründet, daß er der Musik als Musik, als ästhetisches Kunstwerk, nicht nur als Dienerin eines Textes, eine eigene Ausdrucksmöglichkeiten verschaffte. In der Freiheit der Kunst vom Gesetz, „darin, daß Josquins Musik nicht „per regulas“ konstruiert ist, entdeckt also Luther die Parallelität zum Evangelium.“ Und er sieht in der Faktur der Musik das Evangelium selber verwirklicht.

Die Passion Jesu im Kirchenlied

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