Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 43

2.2.3.1 Die Melodie Luthers Tonführung und Tonraum als Korrespondenz zwischen Ton und Wort

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Das Lied hat in seiner musikalischen Form zwei Teile, die sich in ihren Verläufen durch ihren gestischen Ausdruck unterscheiden.

Der erste Teil zeichnet sich durch einen schweifenden Charakter in der Tonführung aus.

Zwei Bewegungen charakterisieren diesen ersten Teil, der aus vier Zeilen besteht.

Die eine gestaltet die erste Zeile: Der Anfangston a’ wird in schweifender Tonführung durch eine Figur umspielt. Diese Figur ist eine Bewegung hin zum d’’ als Maximum, als oberster Ton der Oberquarte des Tonraumes, in dem das Lied steht. Die Figur hat den Ausdruck des Sich-Erhebens oder des Aufstehens. Die Unterschreitung des oberen Tonraumes zum g’ leitet dabei den Gestus ein und intensiviert die Bewegung des Aufstehens.

Die Rückkehr zum a’ verleiht diesem Ton nun einen neuen Inhalt: Er ist nicht mehr nur ein einzelnes a’, steht nicht mehr nur für sich selber, sondern ist charakterisiert dadurch, daß er Träger und Basis dieser Figur und dieses Tonraumes der Oberquarte ist. Der Tonraum klingt quasi in ihm mit.

Die andere Bewegung findet sich in der zweiten Zeile: Sie ist durch einen fallenden Gestus bestimmt: Er führt vom a’ zum d’, zum Minimum, dem tiefsten Ton in der Unterquinte der dem Lied zugrundeliegenden Skala. Auch dieser Gestus wird intensiviert durch eine einleitende Bewegung. Die fallende Bewegung ist eine Gegenbewegung zur Bewegung des Aufstehens.

Die Bewegungen treten mit dem unterlegten Text in Dialog: Die Bewegung des Aufstehens steht im Gegensatz zu den unterlegten Worten: „Christ lag in Todesbanden“. Das Tempus der Worte korrespondiert jedoch mit der Bewegung: Es wird der Bande des Todes als einer Gefangenschaft gedacht, die der Vergangenheit angehört.

Die Worte der zweiten Zeile entsprechen der Bewegung: Der Fall zur Basis der Unterquinte bildet die Gefangenschaft Christi in den Banden des Todes als Bewegung in den Bereich des Menschen dar, als Bewegung Christi in die Situation des Menschen in seiner Todesverfallenheit.

Symbolhaft kann man dem oberen Tonbereich die göttlichen Sphäre und den menschlichen, todesverfallenen Bereich dem unteren Tonbereich zuordnen. So läßt sich in der fallenden Bewegung der Abstieg Christi in menschliche Todesbande erkennen; die Todesbanden Christi werden erkennbar als diejenígen, die eigentlich den Menschen umfangen. Die Bewegung herab kann man als Abbildung der Grablegung Christi ansehen, die eigentlich den Menschen zugekommen wäre.

Nun wird wiederum in der dritten Zeile die Auferstehungsbewegung der ersten Zeile verbunden mit den Worten „Er ist wieder erstanden“. Hier entsprechen sich Gestus der Musik und der Worte. Die Grablegungsgeste wird in der vierten Zeile verbunden mit „und hat uns bracht das Leben“. Damit ist der Zielort des Handelns Christi bestimmt: der aufgrund der Sünde dem Tod verfallene Bereich des Menschen wird von der Todeszone zum Ort, der durch Christus mit neuem Leben erfüllt ist.

Hier wird durch die Rhythmisierung der Bewegung nach unten durch eine Halbierung der Notenwerte in „bracht das Leben“, wie auch zuvor in „Sünd gegeben“ diese intensiviert und die Zielrichtung des Handelns Christi, der Bereich der Sünde und des Todes, hervorgehoben.

Das a’ ist Tonzentrum der ersten Bewegung. Er ist umspielter Bezugston, ihm ist durch eine Semibrevis (im EG als eine Halbe notiert) auf „Christ“ Gewicht verliehen. Er wird so dem Inhalt, den er trägt, zugeordnet: das Tonzentrum a’ steht für Christus, ist der Sitz des Namens Christi.

Daneben kann man das d’ als Ort menschlicher Todesverfallenheit begreifen.

In diesem Gefüge bildet das a’ die Verbindungsstelle.

Das Spiel mit den beiden Bewegungen, Auferstehen und Grablegung, stellt das Handeln Christi im Bild des wunderlichen Wechsels oder auch der Inkarnation, des Kommens des Göttlichen in das Menschliche, dar: Er kommt in meine Tiefe, er bringt das Leben in die Todeszone.

Die Gegenbewegung, die das menschliche Handeln in diesem wunderlichen Wechsel darstellt, kann man im zweiten Teil sehen: nicht ausgehend vom Tonzentrum a’, sondern vom d’.

Der zweite Teil des Liedes, bestehend aus den folgenden vier Zeilen, hat eine andere musikalische Diktion. Statt im schweifenden Umspielen von Tonzentren bewegt sich die musikalische Linie in zielgerichteten Bewegungen.

Ein zweifacher Aufschwung, durch Terzaufgänge energetisch aufgeladen, bewegt sich vom d’ zum a’, er wird überhöht von dem durch einen Quartaufgang direkt erreichten oberen Ton der Oberquarte, d’’, der wiederum in einer Überschreitung des Tonraumes zum e’’ gesteigert wird. So bilden diese beiden Zeilen eine große, nach oben gerichtete Bewegung, die Unterquinte und Oberquarte durchschreitet.

In der siebenten Zeile bleibt der obere Bereich zunächst das Zentrum, bis in einer durch eine fallende Quart und eine Terz intensivierten Abwärtsbewegung wieder die finalis, der Basiston d’, erreicht wird.

Auch hier wird die fallende Bewegung jeweils im „Halleluja“ durch Achtel intensiviert und ihre Zielrichtung nach unten in den Bereich des Menschen und des Todes betont. Die Textierung dieser Bewegung „Halleluja“ weist so auf den Ort hin, an dem das Gotteslob seinen Ort hat: das menschliche Leben.

Die textliche Unterlegung und die musikalische Bewegung dieser drei Zeilen deuten einander:

„Des wir sollen fröhlich sein, Gott loben und dankbar sein und singen Halleluja.“ Die energetische Bewegung aus der Zone des Menschlichen, die nun durch das Leben in Christus neu belebt ist, in den oberen Bereich bildet ab, wie im Loben der Mensch, aus seiner Todesverfallenheit befreit, sich dem göttlichen Bereich öffnet. Ebenso wird sichtbar, wie das Gotteslob im „Halleluja“ sein Ziel wiederum im unteren Bereich, dem tiefsten Ton der Skala, dem Bereich des menschlichen Lebens findet. Das Gotteslob findet Gott in der menschlichen Wirklichkeit vor, die er zu seiner göttlichen Wirklichkeit gemacht hat.

In der letzten Zeile wird diese Bewegung, das an den bei den Menschen wohnenden Gott gerichtete Lob, das man mit dem Vers „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!“ (Apk 21,3) beschreiben könnte, noch einmal aufgenommen und verstärkt. Es bietet gleichsam ein Summarium des musikalischen Gehaltes der gesamten Strophe: die zielgerichtete Bewegung vom als Christus-Sitz definierten a’ zum d’, der menschlichen Wirklichkeit.

Es ist sichtbar geworden, daß in der Gestalt des Liedes das musikalische Fortschreiten und die theologische Aussage miteinander korrespondieren.

Die beiden Bewegungen, die des Aufstehens und die des Herabkommens sind dabei bestimmend. Aus der Sphäre des Göttlichen kommt Christus herab in die Wirklichkeit der Menschen, die durch den Tod beherrscht wird. Sein Auferstehen wird zu unserem Auferstehen, das an Gott in der Höhe gerichtete Loben wird zum Halleluja, das sein Ziel an dem tiefsten Punkt des unteren, des menschlichen Bereiches findet, der durch Christi Gegenwart von der Todeszone zum Bereich des Lebens und der Wirklichkeit Gottes geworden ist. Das Halleluja ist nun christologisch gedeutet: Der inkarnierte Gott ist es, der dieses Loben empfängt.

Die Passion Jesu im Kirchenlied

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