Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 30
2.1.2.2 Lieder in den Anfängen der Wittenberger Reformation „Ein neues Lied wir heben an“
ОглавлениеAls erstes evangelisches Lied gilt das Lied Luthers von 1523: „ein Lied von den zween Marterern Christi / zu Brüssel von den Sophisten von löuen verbrant“1.
Zwei Mönche waren der Anlaß: Sie waren auf dem Brüsseler Marktplatz verbrannt worden, nachdem die Inquisition das Kloster der Augustinereremiten in Antwerpen, die sich der Lehre Luthers zugewandt hatten, zerstört und Widerruf gefordert hatte. Diese beiden mußten ihre Weigerung mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bezahlen.
Dieses Lied kann man exemplarisch für die ersten evangelischen Lieder betrachten:
Es transportiert antirömische Polemik, indem die den beiden abgesprochene römische Priesterweihe als „des teufels larvenspil und spott“ bezeichnet wird oder indem mit dem Vers „Der höchste irrtum dieser war: man muß allein Gott glauben“ römische Theologie lächerlich gemacht wird.
Die Funktion der Lieder als Selbstvergewisserung im neuen Glauben, wenn man singt: „Sie han die kron erworben, recht wie die frommen Gotteskind für sein wort sind gestorben“ oder wenn ihr Martyrertod als Gnade und „rechte“ Priesterweihe bezeichnet wird: „Sich selbs im mußten opfern da und gen im Christen orden“.
Die Funktion der Verkündigung des Wirkens Gottes in der Gegenwart: im Sterben der beiden hat Gott „sein wundermacht bekannt“, denn sie gingen ins Feuer „mit Gottes lob und singen; der Mut ward den sophisten klein für disen neuen dingen, daß sich Gott ließ so merken“. Der Tod der Martyrer wird als Beginn der erneuerten Offenbarung Gottes verstanden: „Wir sollen danken Gott darin, sein wort ist wider kommen. Der sommer ist hart vor der tür, der winter ist vergangen, die zarte blümlin gen herfür: der das hat angefangen, der wird es wol vollenden.“ Hier zeigt sich in Ansätzen die Perspektive, unter der die reformatorische Bewegung schon im 16. Jh. betrachtet werden wird: Reformation als eschatologisches Ereignis, als Anbruch der Gottesherrschaft, die sich u.a. im letzten Aufbäumen des Antichristen zeigt. An das eschatologische Singen erinnert auch die erste Zeile des Liedes „Ein neues Lied wir heben an“, indem es mit dem Begriff des „neuen Liedes“ aus den Psalmen 96, 98, 149 das reformatorische Singen mit dem des zum Heil befreiten Gottesvolkes identifiziert.