Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 95

2.4.3.2 Die Strophenreihe von Bonnus Kommentar

Оглавление

Bonnus stellt konzentriert die wesentlichen Stationen seines Heilskonzeptes dar.

Die Menschen sind dem Tode verfallen aufgrund der Erbsünde, in die sie durch Empfängnis und Geburt hineingeboren sind. Wegen der Übermacht der Sünde im menschlichen Handeln kann allein der Tod des Gottessohnes den Menschen Rettung aus dieser Lage bringen.

Dieser Tod ist notwendig: „es konnt nicht anders sein“. Der einzigmögliche Heilsweg nimmt seinen Lauf: Christus kommt in die Welt, nimmt „unser arm Gestalt“ an und stirbt willentlich für unsere Sünde. Dieses Geschehen hat seinen Grund in Gottes Gnade und Gunst gegenüber der Menschheit. Sie erweist er im Sohn, der sich dahingibt. Um unserer Seligkeit willen stirbt er den Kreuzestod. In diesem Ereignis liegt unser Trost gegen Sünde, Tod und Hölle. Die Rettung ist geschehen, ein abgeschlossenes Ereignis.

Die rechte Antwort von der Seite des Menschen ist Lob, Dank, die Bitte um Bewahrung und darum, „bei seinem heilgen Wort“ zu bleiben. Das Wort, zentraler Begriff der Reformation, steht in dieser Bitte, verstanden als Parallelismus zur vorangehenden Zeile, nicht nur als Träger, sondern als Verkörperung der Gnade und Gunst des dreieinigen Gottes, von dem die Bewahrung ausgeht.

Diese Antwort mündet in einen Lobgesang „Ehre sei dir Christe“ und führt den Singenden so in eine Haltung gegenüber Christus, in der der Mensch sich auf ihn ausrichtet, sich dessen bewußt ist, sein Heil allein von ihm durch dessen Tod empfangen zu haben und in Antwort darauf sich seinem Machtbereich zu unterstellen, in dem er mit dem Vater herrscht, und ihm darin die Ehre zu geben.

In der Dichtung kommen verschiedene Kontexte zusammen:

Sie nimmt ihren Ausgang mit dem affektiven Ausruf „O wir armen Sünder“ bei der Selbstbeweinung, der Beweinung der eigenen Sünden. Darin folgt der Gedankengang Luther, wie er in seinen beiden oben dargestellten sermones ausführt und kurz auch im Sermon andeutet.

Sein Heilskonzept setzt ein bei der Sünde Adams, die durch Empfängnis und Geburt jedem Glied der Gattung Mensch weitergegeben wird und durch die alle Menschen dem Herrschaftsbereich des Todes unterworfen sind. Aufgrund des „vitium originis“ (Tertullian) bedarf die menschliche Natur der Erlösung, um dem Machtbereich von Sünde, Tod und Hölle entrissen zu werden1. Der Blick auf diesen Machtbereich bildet den Rahmen des im Lied ausgebreiteten Heilskonzeptes: Str. 1 begründet das Verhängnis, Str. 5 wirft den Blick zurück auf die Mächte, aus deren Fängen der Mensch nun gerettet ist. Das Lied entwirft so in seinen ersten Strophen ein dualistisches Konzept der widerstreitenden Mächte, die um die Herrschaft über die menschliche Natur ringen.

Die Notwendigkeit des Todes des Gottessohnes, wie sie durch das „es konnt nicht anders sein“ ausgedrückt ist, erinnert an das Konzept Anselms, in dem in gleicher Weise die Notwendigkeit des Sterbens des Gottmenschen Christus konstitutiv ist. Aber auch in ntl Aussagen ist die Rede von der Unausweichlichkeit dieses Sterbens: „Mußte nicht Christus dies erleiden …?“ (Lk 24, 26). Diese Notwendigkeit wird auch in Str. 3 formuliert: „Wäre nicht gekommen …, und hätt angenommen …, so hätten wir müssen …“. Hier wird eine unabdingbare Folge dargestellt, die in Korrespondenz mit dem „es konnt nicht anders sein“ steht.

Ebenso kongruent mit dem Anselmschen Konzept ist die explizite Benennung der Freiwilligkeit des Sterbens des Gottessohnes, wie sie in Str. 3 im „williglich“ ausgedrückt ist: Der Sünde wäre nicht genug getan, wenn nicht der Sohn trotz des Umstandes seiner Sündlosigkeit und über diesen hinausgehend den Tod auf sich genommen hätte.

Andererseits scheint Bonnus das Konzept Anselms nicht in allen Punkten in sein Lied aufzunehmen: Die verletzte Ehre Gottes, die nach Genugtuung verlangt, wird nicht explitzit formuliert, auch nicht, daß aus der Sicht Gottes Gerechtigkeit wiederhergestellt werden müsse.

„Williglich“ starb Christus für unsere Sünde, d.h. er tat es als Teil seines Heilshandelns an uns, im freiwilligen Gehorsam gegenüber dem Vater, der darin den Menschen „Gnad und Gunst“ erzeigen wollte, um damit das Ziel der Zueignung der Seligkeit an den Menschen zu erreichen (vgl. Str.4). Mit der Verwendung des Begriffes „williglich“ hebt Bonnus hervor, daß es sich bei Christi Tod am Kreuz nicht um den willkürlichen Strafakt eines zornigen Gottes handelt, sondern um ein Handeln Christi, mit dem er ein Ziel verfolgt, das seinem Willen entspricht: Die Rettung des Menschengeschlechtes.

Die Verwendung der Wortkonstruktion „gekommen in die Welt“ erinnert an johanneische Präexistenzchristologie. In dieser Begrifflichkeit ist darum festgehalten, daß es sich bei Christi Handeln am Kreuz um das Handeln Gottes gemäß seines vor der Zeit gefaßten Beschlusses zur Rettung der Menschen aus ihrer Sündennot handelt.

Er hat „angenommen unser arm Gestalt“. Das Verständnis der Entäußerung nach Phil 2: „und nahm Knechtsgestalt an“, auf das Luther oft rekurriert, spiegelt sich in dieser Formulierung wider. Er verbindet damit sein soteriologisches Konzept, das auf einem vertieften Verständnis der Menschheit Christi beruht: Der Verzicht auf das Einsetzen seiner göttlichen Eigenschaften gilt besonders in der Situation des Sterbens, weil er auch hier die Verlassenheit des Menschen aufgrund seiner Sünde erleben und durchleben wollte, um den Menschen auch aus dieser letzten Situation befreien zu können.

Darüberhinaus sind im Lied Anlehnungen an Luthers Sprache hörbar: Das Wortpaar „Gnad und Gunst“, in dem der Beweggrund für Gottes Heilshandeln in Christus benannt ist, wird auch von Luther verwendet. Bezeichnend ist diese Formulierung in einem seiner ersten Lieder: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“. Gott erweist darin den Menschen seinen Willen zur Versöhnung: „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben“. Angesichts der weitreichenden und intensiven Verbreitung der ersten Lieder Luthers kann man eine starke prägende Wirkung dieser Lieder annehmen, so daß der Einsatz dieses Wortpaares in Anlehnung an diesen Initiator reformatorischer Lieddichtung geschieht.

Ein weiterführender Aspekt verbirgt sich unter der Verwendung von „Gnad und Gunst“: Indem der Mensch Gott als denjenigen, der Sünden vergibt, anerkennt, und darin sich selber als einen, der in der Position des Sünders vor Gott steht, unterstellt er sich dessen Machtbereich. Der Empfang von Gnade und Gunst ist verbunden mit der Unterwerfung unter den, der diese erweist.2 Gnade und Gunst als Ursache zu Gottes vergebendem Handeln am Menschen findet seine Parallele im weltlichen Bereich: Gnade und Gunst sind die Attribute, die man herrschenden Fürsten beilegt, von denen man eine wohlwollende Haltung einem selber gegenüber erbittet.3

Der eben angeführte Rahmen der altkirchlichen Vorstellung von den Mächten, die um den Menschen ringen, ist an dieser Stelle mit dem Blick auf die Sündenvergebung also wiederaufgenommen: Wer die Sünde vergibt, dessen Herrschaft unterstellt sich der Mensch.

Zielsetzung des göttlichen Handelns ist die Seligkeit des Menschen (Str.4.). Damit ist der schon in der überlieferten deutschen Strophe „Ehre sei dir Christe“ verwendete Begriff aufgenommen, der auch in der reformatorischen Theologie von Bedeutung ist: Nicht mehr der Blick Anselms auf die verletzte Ehre Gottes ist Beweggrund zum Handeln Gottes in Christus, sondern der Mensch selber und seine Verfassung vor Gott steht im Mittelpunkt.

In der Seligkeit begründet sich der Trost gegen die widergöttlichen Mächte „Sünd und Tod und … der Höllen Glut“. Die Singenden rufen sich selbst gegenseitig zu diesem Trost auf, auf den sie sich in den bisher gesungenen Strophen gerichtet haben. Durch das bisher bedachte Geschehen sind sie aus der „Fährlichkeit“ dieses Machtbereiches gerettet. Daß das Geschehen am Kreuz und das Betrachten desselben seinen „Nutz“ getan hat und nun der Vergangenheit angehört, wie es von Luther im Sermon betont wird, kommt in dieser Abgrenzung gegen die Macht von Sünde und Tod zur Sprache

Besonders auch die am Ende stehende Bitte zu „bleiben bei seinem heilgen Wort“ entspricht der Schwerpunktsetzung Luthers in seiner Theologie. Denn das Wort Gottes ist es, das dem Menschen Heilsgewißheit gewährt.

Die Strophenreihe mündet in eine kollektive Selbstaufforderung zu Lob und Dank. Damit entspricht der Verlauf der Betrachtung dem in Luthers Sermon, in dem der Dank für das Leiden Christi aus der in der Betrachtung erweckten Selbst- und Gotteserkenntnis hervorgeht.

Nun wendet sich der Singende Christus zu, unterstellt sich ihm, indem er ihm seine Ehre zuspricht, die ihm aufgrund seines Leidens und Sterbens und ebenso in seiner Herrscherposition, die er in gleicher Weise wie der Vater einnimmt, zukommt.

Das „simul iustus ac peccator“ klingt in der abschließenden Bitte um die Zueignung der Seligkeit an: „Hilf uns armen Sündern“. Die Rettung ist geschehen, dennoch verharrt der Mensch durch sein Menschsein noch vorläufig im Bereich der Sünde und des Todes, der aber unumkehrbar überwunden ist und dem der Mensch in seiner Ausrichtung auf Christus entzogen ist.

Die Passion Jesu im Kirchenlied

Подняться наверх