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Vorgeschichte und Werden des Liedes

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Das vorliegende Lied entstammt einer vielfältigen Überlieferungsgeschichte: die Quellen bieten die Einzelstrophe „Ehre sei dir Christe“, die lat Fassung „Laus tibi christe“, eine Einzelstrophe „O du armer Judas“ auf dieselbe Melodie, dazu verschiedene Strophenreihen, in denen diese vorkommen.1

Aus dem 14. und 15. Jh liegen Quellen so zeitnaher Entstehung vor, daß es nicht einfach íst, die literarischen Abhängigkeiten bzw. die mündlichen oder nicht mehr vorliegenden schriftlichen Traditionsstränge zu eruieren. Die Literatur bietet verschiedene Theorien an, die letztlich nicht lückenlos beweisbar sind.

Eindeutig ist sein liturgischer Ort: Die Strophe „Ehre sei dir Christe“ wurde in der Passionszeit als Strophe der Gemeinde am Schluß der Trauermetten am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag, alternierend zu den Strophen des Hymnus Rex christe factor omnium gesungen. Zu dieser Strophe entstanden später längere Strophenreihen, die sich ihr inhaltlich anschließen und Dank für das Leiden Christi formulieren und Momente des Leidens bedenken.

Der früheste Beleg für „Ehre sei dir Christe“ findet sich bei dem Mönch von Salzburg, was aber kein Hinweis auf seine Verfasserschaft sein muß.

Aufgrund dieser und anderer Quellen im 14. Jh. kann man auf die Entstehung der Leise laus tibi christe / Ehre sei dir, Christe spätestens in der Mitte des 14. Jh., evtl. in Salzburg2 schließen.

Vielfältige Versuche, zu erkennen, ob die deutsche oder die lateinische Fassung die ursprüngliche ist, haben keine eindeutigen und unwiderlegbaren Ergebnisse erbracht.

Nach Lipphardt legt ein Vergleich der lateinischen und der deutschen Fassung nahe, daß die deutsche Fassung die ältere ist, die vermutl. von böhmischen Klerikern latinisiert wurde. Argumente für den deutschen Ursprung sind das Versmaß deutscher Lamentationen, die Tatsache, daß die Musik gegen den lateinischen Wortrhythmus und Reim steht. Für eine Rückübersetzung sprechen auch Verordnungen der Diözese Prag, die im Nachklang der hussititschen Bewegung volkssprachlichen Gesang verboten. Andere vermuten aufgrund der rhythmischen Komponenten einen böhmischer Einfluß oder eine slawische Melodiebildung.

Ich meine, daß die reiche Tradition volkssprachlicher Gemeindegesänge im MA das Primat der Strophe in deutscher Sprache unterstützt3, ebenso die Übereinstimmung von Wortakzent und musikalischem Akzent in der Strophe „Ehre sei dir, Christe“. Dagegen aber spricht für eine ursprünglich lateinische Fassung, daß sich die Existenz verschiedener deutscher ma Fassungen nur schwerlich begründen läßt, wenn sie nicht Übersetzungen aus dem lateinischen Vers sind.4 Es wird unklar bleiben müssen, welche Fassung zuerst da war, aber die Entstehungszeitpunkte können nicht weit auseinanderliegen, da die Verbreitung beider Versionen groß ist.

Neben der Strophe „Ehre sei dir, Christe“ hat eine andere Strophe aus einer längeren Strophenreihe aus der von ihr gezeugten Tradition einen eigenen Traditionsstrang eröffnet: „O du falscher Judas, was hast du getan“, auch: „O du armer Judas“, das ursprünglich die letzte Strophe des „Eya der grossen liewe“5 bildete, das evtl aus ma Passionsspielen stammt, erstmals 1392 bezeugt ist6 und sich dann verselbständigte.

Die breite Rezeption dieser Einzelstrophe zeigt sich in verschiedener Hinsicht: Die „Judasstrophe“ wurde seit dem 15. Jh. oft kontrafiziert und zum Spottlied auf weltliche Herren umgedichtet.7 So z.B. in Luthers Dichtung „O du arger Heintze“ gegen Herzog Heinrich von Braunschweig in seiner Schrift gegen den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel „Wider Hans Worst“, 1541.8 Die Judasstrophe dient bis weit ins 16. Jh. als Melodieangabe über Liedern, die sich von dieser Strophe oder dem „Ehre sei dir Christe“ herleiten. Es entstand eine große Zahl von Tenorliedsätzen in der ersten Hälfte des 16. Jh. über diese Weise. Auch hierzu gab es Rückübersetzungen, so in Böhmen9 oder „o tu miser juda“10.

Beide Einzelstrophen sind in das reformatorische Singen vielfältig aufgenommen worden:

Als früheste reformatorische Dichtung liegt das Lied „Ach wir armen Menschen“ aus dem Gesangbuch von Königsberg 1527 vor, als dessen Verfasser Herzog Albrecht von Preußen vermutet wird.11 Der Text ist eine Paraphrase auf die Judasstrophe, in der aber nicht mehr dieser, sondern die Sünder thematisiert sind. Martin Luther nahm sie für sein Lied „Unsre große Sünde“12 zum Anlaß.

In dieser Reihe steht schließlich auch Hermann Bonnus mit seinem Lied: „Och wy armen Sünders“ Magdeburg 1543, vermutlich auf der Basis einer vorreformatorischen Dichtung, bzw. hochdeutsch „Ach wir armen Sünder“ in „Psalmodia“ von Lucas Lossius 1561. Dabei steht es unter der Überschrift „… up de wyse, Och du arme Judas“. Auch in dieser Dichtung bildet demnach die Judasstrophe die musikalische und inhaltliche Bezugsgröße.

Trotz seiner weltlichen Verwendung als Spottlied bleibt das Lied seiner liturgischen Herkunft verbunden. Nach 1550 werden vermehrt Texte gedichtet, die den Dankcharakter des „Ehre sei dir Christe“ aufnehmen; die Judas-Paraphrasen treten zurück.

Zudem versuchen einzelne eine Rückführung des Liedes in seine ursprüngliche liturgische Verwendung in der Mette, indem der Zusammenhang mit dem Hymnus Rex Christe factor omnium, der sich einer ebenso breiten Rezeption erfreute wie das hier besprochene Lied, wiederherzustellen.

Nikolaus Herman hat in seinen „Cantica sacra Evangelia Dominicalia“, Joachimsthal 1558, zu den sechs lateinischen Strophen des Rex christe einen lateinisch-deutschen Mischtext als alternierenden Gesang zugesetzt, der formal die Verwendung im römischen Gottesdienst aufnimmt, dazu auch die urspr. römische Fassung mit einem einfachen Kyrieleison wiederaufgenommen. Eine weitere Fassung mit einem deutschen Text des Rex christe ist angefügt.

Der Kyrie-Ruf hat zwar immer in den Zusammenhang gehört, doch in wechselnder Anzahl der Rufe und in verschiedenen musikalischen Formen.

Das urspr. Ende der Leise hatte nur ein Kyrieleison. In weltlichen Sätzen des 16. Jh. wie in ma liturgischen Versionen, z.B. Neumarkt 1480 waren fünf Rufe angefügt (Kyrieleison – Christe eleison – Kyrieleison – Christe audi nos – salva nos). So geschah es auch z.T. bei der Wiederherstellung des liturgischen Kontextes mit Rex christe. Hermann Bonnus schließlich reduzierte es auf drei Kyrie-Rufe.13

Die vielfältige Aufnahme und Bearbeitung der Strophe weist darauf hin, daß reformatorisches Dichten Tradiertes aufnahm und umgestaltete, und stellt so vor Augen, daß wie in anderen Fragen auch im Dichten nicht das Beseitigen von Traditionen, sondern Bewahren und Umgestalten im Vordergrund stand. Die Tatsache der vielen noch belegbaren Neudichtungen läßt zudem den Schluß zu, daß eine noch größere Vielfalt vorhanden gewesen sein muß, da in der Regel sich nie alle Versuche durchsetzen.

Die Passion Jesu im Kirchenlied

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