Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 73
Tonführung
ОглавлениеDie Melodie ist geprägt durch ihre erste Zeile: Auf dem höchsten Ton, der auch allein an dieser Stelle vorkommt, setzt sie ein, indem dieser zweifach wiederholt wird und der Melodie Eindringlichkeit verleiht. In diatonischen Schritten mit einer weiteren Tonwiederholung wird die Melodie zur Quart unter dem Einsatzton herabgeführt. Diese erste Zeile prägt das Lied in seiner Gesamtheit und gibt ihm den Charakter eines gleichmäßigen Schreitens, in dem jedem Ton sein eigenes Gewicht gegeben ist. Wie in der ersten Zeile der Ambitus einer Quarte durchschritten wird, durchlaufen auch die anderen Zeilen keine großen Tonskalen, sondern verharren in einem Tonbereich.
Die erste Zeile taucht sequenziert nach unten in Z5 wieder auf. Z5 leitet den zweiten sonst bis auf einen Ton identischen Teil ein, der durch diesen Einsatz im unteren Tonraum einen anderen Charakter bekommt. Es stehen sich so Z1–4 und Z5–8 als zwei Liedteile gegenüber.
Der Beginn auf dem höchsten vorkommenden Ton ist für eine geschlossene Liedform ungewöhnlich, ebenso die Beschränkung des Tonraumes der ersten Zeile auf die obere Quarte des Gesamtambitus. Der Zusammenhang mit dem Text, „Christus, der uns seligmacht“, legt nahe, in dem exaltierten Einsatz und dem Verharren auf dieser Höhe die Symbolisierung des präexistenten, im himmlischen Thronrat zur Erlösung der Menschheit bestimmten Christus zu sehen. In der Symbolik der Musiksprache bilden die Tonräume in ihrer Höhe bzw. Tiefe die Sphären von himmlischer und irdischer Wirklichkeit ab.
Der Blick auf die Tonräume der einzelnen Zeilen innerhalb der beiden Teile zeigt insgesamt eine Bewegung nach unten (Einsatz in Z1 im Bereich der Quarte a’-d’’, Z2: Quintraum f’-c’’, Z3: Sext d’-b’, Z4: b-f’), auch der Verlauf der einzelnen Zeilen stellt zum Ende eine Bewegung nach unten dar. Dies entspricht der Deutung: Das Lied hat die Inkarnation, den Gottessohn im status exinanitionis und sein irdisches Schicksal zum Inhalt.
Der gleichmäßige schreitende Charakter kann darin als Symbol für das δει des gewaltsamen Endes Christi, die Notwendigkeit des Leidens zur Erfüllung des göttlichen Heilsplanes verstanden werden.
Der in der ersten Liedzeile zum Ausdruck gekommene Charakter wird also durch die verschiedenen Parameter musikalischer Liedanalyse unterstützt: