Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 96
Zusammenfassung
ОглавлениеIn seinem Lied ist sichtbar, daß Bonnus im Geiste der Reformation in der Nachfolge Martin Luthers dichtet. Er führt in seiner Dichtung den Singenden durch eine konzentrierte, prägnante Darstellung des reformatorischen Konzeptes von dem Heilshandeln Gottes am Menschen im Werk Christi. Er stellt dar, wie von der ersten Erkenntnis „O wir armen Sünder“ sich die Erkenntnis Bahn bricht, daß das eigene Sündersein nicht – wie in der Judasstrophe – unweigerlich den Tod bzw. ewige Höllenstrafe nach sich zieht, sondern durch die Wendung des eigenen Blickes auf Christus der Weg von der Verlorenheit in die Rettung durch das Leiden Christi führt.
Damit nimmt er die Kritik Luthers an der Judasstrophe in seine Strophenreihe auf, beginnend mit dem verfremdeten Zitat der Judasstrophe, und führt in seinem Lied an einer Betrachtungsweise entlang, die der Luthers in seinem Sermon entspricht und auch in den beiden sermones de passione anklingen läßt.
Wie Luther es auch tut, nimmt er Bilder aus der Tradition der Kirche auf, die nicht systematisch miteinander verknüpft sind, aber dennoch in die eine Richtung weisen, auf die er hinausführen will.
Trotz des Weges von der Selbstbeweinung zur Befreiung, den er gemäß der Ausführungen Luthers im Sermon verfolgt, unterscheidet dieser sich in Einzelheiten von dem Weg Luthers.
Anders als bei Luther, bei dem in dem Moment des Blickens auf den Leidenden das Erschrecken über sich selbst den Menschen ergreift und ihm die Beziehung offenbart wird, in die er durch das Handeln Christi gerufen ist, findet im Lied Bonnus’ eine Beziehungsstiftung zwischen Mensch und Christus erst spät statt. Eine Begegnung mit dem leidenden Christus, aus der die Selbsterkenntnis herrührt, geschieht nicht, denn bei Bonnus liegt das Geschehen in der Vergangenheit.
Bei Luther vereinen sich in dem Betrachten Christi am Kreuz aufgrund der Gegenwärtigkeit der Sünde und des sich am gegenwärtigen Menschen vollziehenden Heilswerkes Christi Vergangenheit und Gegenwart1, dagegen führt Bonnus in seinem Lied den Singenden an dem Kreuzesgeschehen als einem in der Vergangenheit abgeschlossenen Heilskonzept entlang. Die Begegnung des Singenden mit Christus findet erst in der letzten Strophe statt: „Ehre sei dir, Christe“. Eine Begegnung mit dem Leidenden ist nicht konstitutiv für die Heilszueignung. Sondern der Kontakt Mensch-Christus wird erst im Loben geknüpft. Der Mensch bittet Christus aufgrund seines in der Vergangenheit geschehen Leidens und seiner Herrschereigenschaften um die Zueignung der im Kreuz erworbenen Seligkeit: „Hilf uns armen Sündern zu der Seligkeit“.
Wenngleich diese Unterschiede in der Frage nach dem Ort und dem Zeitpunkt der Heilszueignung nicht unwesentlich sind, kann man aber mit Blick auf den Weg, den der Singende im Laufe des Liedes geführt wird, sagen, daß hier das Grundanliegen Luthers von Bonnus voll und ganz aufgenommen worden ist: Aus der „incurvatio in se ipsum“ aufgrund der Sünde, aus der Heillosigkeit seines Daseins, das unter der Herrschaft des Todes steht und darum in den Machtbereich von Sünde, Tod und Hölle unausweichlich verfallen ist, aus dieser Verlorenheit wird der Singende hin zu Lob, Dank und damit in ein neues Herrschaftsverhältnis geführt, das aber für den Menschen nicht mehr Tod, sondern Seligkeit bedeutet. Er kann sich dankbar zu Christus aufrichten, der im Himmel zur Rechten des Vaters herrscht, also in der genauen Gegenwelt zur Hölle, und der seine Rettung vor den Verderbensmächten vollbracht hat: „Denn wir sind gerettet aus aller Fährlichkeit“ durch Christus. Er ist „gelobt in Ewigkeit“, denn er hat diesen Sieg in ewiger Gültigkeit für die Menschheit errungen.