Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 97
2.4.4 Ergebnis Die Aufrichtung des Sünders im Singen
ОглавлениеDas Lied von Hermann Bonnus hat sich als Darstellung eines heilsgeschichtlichen Entwurfes erwiesen. Der Gedankengang, den der Singende im Verlauf des Singens mit den Strophen mitgeht, stellt ihm vor Augen, in welcher Weise Christus in seinem Handeln den Menschen aus seiner Incurvatio in se ipsum befreit.
Er setzt ein mit dem Beklagen der eigenen Sünde, die ihn zum „armen“ Sünder macht, denn vor seinem Leben steht durch diese Verfaßtheit das negative Vorzeichen des Todes, dem er unterworfen ist und dem er nicht entkommen kann, da die Ursache für seine Todesverfallenheit außerhalb seines Handlungsspielraumes liegt. Durch sein Menschsein ist ihm sein Weg vorgegeben: die vor der Zeit geschehene Sünde hat ihn dem Machtbereich des Todes verschrieben. Dem eigenen Handeln ist nicht das Potential gegeben, dieser Gefangenschaft zu entfliehen.
Doch der Blick wird auf das Handeln eines anderen gelenkt: des Gottessohnes, der unter Einsatz seines eigenen Lebens den Menschen in den Bereich von Gottes Gnadenhandeln geführt hat und die Singenden so der Macht des Todes entzogen und der göttlichen Macht unterstellt hat, die Seligkeit und ewiges Leben verheißt.
Wenn nun im Singen dieser Erkenntnisweg abgeschritten wird, kann der Singende Schritt für Schritt die Rettung innerlich nachvollziehen und darum auch emotional erfassen. Loben und Danken, Ehren und Bitten sind nun Handlungen, die er im Singen der Strophen selber mitvollzieht. Im Singen vollzieht sich an ihm die Aufrichtung aus der Haltung des zum Gottesbezug nicht fähigen Sünders hin zur Haltung des befreiten, aufgerichteten, sich auf Gott ausrichtenden Menschen. Das Singen berührt so seine Haltung Gott gegenüber und zugleich seine Selbstwahrnehmung. Es weckt in ihm Lob und Dank, durch die er sich nicht nur auf Gott ausrichtet, sondern auch im Blick auf sich selbst eine neue Haltung gewinnt: die des aufgerichteten Menschen, der aus dem inneren Verzagen zu einem Leben in Hoffnung erlöst ist. Der Mensch kann vor Christus stehen in der aufrechten Haltung dessen, der aus der Gewißheit lebt, vor ihm Bestand zu haben, der ihn anblickt und ihm die Ehre gibt.