Читать книгу Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht - Christina Konzelmann - Страница 5

Teil 1 Einleitung

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Der EuGH[1] hat durch seine Entscheidungen über die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften für die Praxis die Möglichkeit eröffnet, ohne Verlust der Rechtsfähigkeit den Verwaltungssitz einer europäischen Kapitalgesellschaft grenzüberschreitend nach Deutschland zu verlegen. Die daraus resultierenden weitreichenden Folgen für das Gesellschaftsrecht und im weiteren Sinne auch für das Strafrecht bildeten in der Folge bereits vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Diese Dissertation wird sich der Fremdrechtsanwendung innerhalb deutscher Wirtschaftsstraftatbestände widmen, die nunmehr daraus resultiert, dass für die strafrechtliche Beurteilung akzessorischer Merkmale ausländisches Recht deshalb zur Anwendung gelangt, da zugezogene EU-Auslandsgesellschaften nach ihrem Gründungsrecht anzuerkennen sind. Denn diese „neue“ Art der Fremdrechtsanwendung wirft in ihrer Handhabung immer noch Schwierigkeiten aus strafrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher sowie auch europa- und verfassungsrechtlicher Sicht auf.

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Von einer Fremdrechtsanwendung im Strafrecht wird gesprochen, wenn bei Sachverhalten mit Auslandsbezug zur Vervollständigung ausfüllungsbedürftiger Straftatbestände des nationalen Rechts auf die Rechtsordnung eines anderen Staates zurückgegriffen werden muss. Rechtstechnisch vollzieht sich die Anknüpfung an außerstrafrechtliche Begrifflichkeiten oder Rechtssätze über normative Tatbestandsmerkmale und Blankettgesetze. Kennzeichnend für diese insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht vorherrschende Art der Verweisungstechnik ist, dass das Strafrecht als Sekundärmaterie fungiert und die Bestimmung der strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen akzessorisch aus anderen Rechtsgebieten übernimmt. Die zunächst für eine Fremdrechtsanwendung erforderliche Anwendbarkeit des allein maßgeblichen deutschen Strafrechts bestimmt sich dabei nach den Regelungen des Internationalen Strafrechts. Für zivilrechtsakzessorische Merkmale werden in Bezug auf die Bestimmung der ausländischen Rechtsordnung unterschiedliche Vorgehensweisen favorisiert, die entweder in einer direkten Heranziehung des ausländischen Tatortrechts oder einer Anknüpfung an die international-privatrechtlichen Regelungen bestehen. Dies wird im ersten Teil dieser Untersuchung näher erläutert und durch Beispiele aus der Rechtsprechung ergänzt werden.

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Sodann wird sich die Untersuchung der Einflussnahme der Niederlassungsfreiheit auf das Internationale Gesellschaftsrecht zuwenden. Solange die Mitgliedstaaten zur Bestimmung des international-privatrechtlichen Gesellschaftsstatuts teils der Sitztheorie, teils der Gründungstheorie folgten, scheiterte eine grenzüberschreitende Verwaltungssitzverlegung einer Gesellschaft an der mit einem Statutenwechsel einhergehenden fehlenden Anerkennung im Zuzugsstaat. Seit den Entscheidungen des EuGH über die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften gilt nunmehr, dass EU-Auslandsgesellschaften uneingeschränkt nach ihrem Gründungsrecht anzuerkennen sind, das den Maßstab für alle gesellschaftsrechtlichen Fragen bildet. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass die Niederlassungsfreiheit nach Artt. 49, 54 AEUV selbst als versteckte Kollisionsnorm zu verstehen sei bzw. die Vorgabe der Gründungstheorie durch den EuGH im Sinne eines gesellschaftskollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips folge. Es bleibt daher zu klären, ob die Vorgabe der Gründungstheorie tatsächlich aus der Niederlassungsfreiheit folgt oder das anzuwendende Gründungsrecht auf die EU-Auslandsgesellschaft nicht vielmehr aus dem europarechtlichen Prinzip des Anwendungsvorrangs resultiert.

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Das aus der Niederlassungsfreiheit folgende Beschränkungsverbot muss zudem einer Begrenzung zugeführt werden, um nicht jede nationale Maßnahme der Mitgliedstaaten einer unionsrechtlichen Rechtfertigung zu unterwerfen. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die für die Warenverkehrsfreiheit entwickelte Keck-Formel[2] des EuGH auf die Niederlassungsfreiheit übertragen werden kann und wie sich eine Begrenzung des Beschränkungsverbots sinnvoll gestalten lässt.

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Den weiteren Gegenstand der Untersuchung bildet dann die Auswirkung der Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit auf das deutsche Strafrecht. Denn auch nationale Strafnormen dürfen grundsätzlich weder zu einer Diskriminierung führen, noch unionsrechtliche Grundfreiheiten beschränken. Kollidiert im Einzelfall eine Strafvorschrift mit unmittelbar geltendem Unionsrecht, bewirkt der Anwendungsvorrang eine „Neutralisierung“ der Norm mit der Folge, dass bereits der objektive Tatbestand ausgeschlossen ist. Dies betrifft jene Straftatbestände, die über ihre akzessorische Ausgestaltung über normative Tatbestandsmerkmale oder Blanketttatbestände auf das Gesellschaftsrecht oder gesellschaftsrechtliche Verhaltenspflichten verweisen. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann in diesen Fällen daraus folgen, dass der Straftatbestand an Verhaltenspflichten anknüpft, für die sich im Gründungsrecht der Gesellschaft keine Entsprechung findet oder an die durch die nationale Norm strengere Anforderungen gestellt werden.

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Die Fremdrechtsanwendung wird sodann am Beispiel der spanischen SL als einer in Deutschland ansässigen sogenannten Scheinauslandsgesellschaft verdeutlicht. Die mit einer Fremdrechtsanwendung einhergehenden Probleme zeigen sich besonders deutlich innerhalb der Buchführungsdelikte der §§ 283 I Nr. 5-7, 283b StGB, die auf das Handelsrecht verweisen. Dies betrifft zum einen die Frage, ob eine kollisionsrechtliche Einordnung der handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten zur Bestimmung der maßgeblichen Rechtsordnung vorzunehmen ist oder nur europarechtliche Erwägungen ein anwendungskonformes Ergebnis erzeugen können. Damit einher geht die Frage, ob die §§ 283 ff. StGB überhaupt einen Verweis auf das ausländische Handelsrecht zulassen, der eine Fremdrechtsanwendung ermöglicht. Bei Blankettstrafgesetzen wurde eine Fremdrechtsanwendung – sofern diese nicht auf unionsrechtlich gesetztes Recht verweisen – mangels demokratischer Legitimation im Hinblick auf Art. 103 II GG als verfassungswidrig abgelehnt. Von diesem Verständnis wird vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit durch unterschiedliche Lösungsansätze zum Teil abgerückt. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die durch das Bestimmtheitsgebot und den Parlamentsvorbehalt an die Verweisungen durch Strafblankettgesetze gestellt werden, bedürfen daher einer eingehenden Prüfung, für die auch die Differenzierung normativer Tatbestandsmerkmale von den Blanketttatbeständen von Relevanz ist.

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Für den Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB hat der BGH[3] mittlerweile klar gestellt, dass sich das Merkmal der Pflichtwidrigkeit für den Geschäftsleiter einer EU-Auslandsgesellschaft nach deren Gründungsrecht bestimmt. Gleichwohl werden hierbei unter verfassungsrechtlichen Aspekten der Inbezugnahme der ausländischen gesellschaftsrechtlichen Verhaltenspflichten Bedenken gehegt, die auch die Frage betreffen, ob eine Strafbarkeit wegen Untreue als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ausscheiden muss, wenn ein Vergleich mit Verhaltensanforderungen des Gründungsstaats ein schwächeres Schutzniveau aufweist. Nachgegangen wird hierbei auch der Frage, ob eine Übertragung deutscher Kapitalschutzinstrumente wie der Existenzvernichtungshaftung auf EU-Auslandsgesellschaften möglich ist, die eine Strafbarkeit nach § 266 StGB begründen könnte, oder ob einer solchen Anwendung die Niederlassungsfreiheit entgegensteht. Abschließend werden die vorgebrachten praktischen Bedenken einer Fremdrechtsanwendung sowie die hierzu als Lösungsansatz vertretenen legislativen Möglichkeiten dargestellt.

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Im Folgenden soll zunächst ein kurzer Überblick über die Organisationsverfassung der SL sowie auf diese anzuwendenden Rechtsgrundlagen gegeben werden.

Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht

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