Читать книгу Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation - Christine Becker - Страница 12

Allgemeindidaktisches Potenzial

Оглавление

Das allgemeindidaktische Potenzial asynchroner Online-Diskussionen wird in der Regel auf der Folie von Face-to-Face-Diskussionen formuliert. Graham (2006, 18) beispielsweise vergleicht unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen, welche Stärken und Schwächen Face-to-Face- und asynchrone Online-Diskussionen allgemein haben, die sich in der Verbindung beider Komponenten, d.h. in Blended Learning, ausgleichen können. Face-to-Face-Diskussionen haben die Stärke der sozialen Komponente: „It is easier to bond and develop a social presence in a face-to-face environment. This makes it easier to develop trust“ (ebd., 8). Zudem könne man in Face-to-Face-Diskussionen spontan Ideen und Assoziationen entwickeln. Diese Vorteile spiegeln wiederum die Schwächen von asynchronen Online-Diskussionen, die aufgrund der Kanalreduktion als unpersönlich empfunden werden können und so zu weniger befriedigenden Diskussionen führen (vgl. ebd., 18).

Nachteilig an Face-to-Face-Diskussionen sei jedoch, zumindest wenn die Gruppe eine bestimmte Anzahl an Teilnehmer/-innen übersteigt, dass sich nicht alle beteiligen können, vor allem nicht, wenn einige Personen die Diskussion dominieren. Dementsprechend gilt natürlich auch für Online-Diskussionen, dass die Überschreitung einer bestimmten Anzahl an Teilnehmer/-innen zu unüberschaubaren und damit nicht ergiebigen Diskussionen führt,1 doch ist davon auszugehen, dass insgesamt mehr Personen an Online-Diskussionen teilnehmen können, vor allem, wenn gleichzeitig mehrere Threads eingerichtet werden.

Ein weiterer Nachteil sei, dass Face-to-Face-Diskussionen in Unterrichtszusammenhängen zeitlich begrenzt sind, so dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen könne (vgl. ebd., 18, O’Dowd 2007, 31). Hier muss angemerkt werden, dass durch die Einbindung von asynchronen Online-Diskussionen in Blended-Learning-Szenarien, in denen beide Komponenten miteinander verzahnt sind, durchaus auch eine zeitliche Begrenzung vorliegt, die dafür sorgen kann, dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen kann. So sei außerdem auf die Ergebnisse von Benbunan-Fich und Hiltz (1999) hingewiesen, die feststellten, dass asynchrone Online-Diskussionen zum Prokrastinieren verführen, dass also die Teilnahme an der Diskussion immer wieder in die Zukunft verschoben wird, was die gewünschte inhaltliche Tiefe negativ beeinträchtigt.

Die Asynchronität führt hingegen dazu, dass alle Lernenden an den Diskussionen teilnehmen können und jeder (der die Technik beherrscht)2 die Möglichkeit besitzt, zu Wort zu kommen, ohne z.B. unterbrochen zu werden: „[T]he social dynamics of CMC have proven to be different from those of face-to-face discussion in regard to turn-taking, interruption, balance, equality, consensus, and decision making“ (Warschauer 1997, 473).

Am wichtigsten ist jedoch, dass die Lernenden mehr Zeit zur Reflexion haben als in Face-to-Face-Diskussionen: „Learners have time to more carefully consider and provide evidence for their claims and provide deeper, more thoughtful reflections“ (Graham 2006, 18).

Die Popularität von asynchronen Online-Diskussionen ist auf dieses Merkmal zurückzuführen, da die Möglichkeit zur Reflexion eine wichtige Rolle für die gemeinsame Wissenskonstruktion spielt. Dass die Lernenden genauer bedenken können – eventuell unter der Zuhilfenahme von weiteren Quellen –, was sie schreiben, dürfte sich positiv auf das Wissen der Beitragenden auswirken, ebenso wie qualitativ hochwertigere Beiträge vorteilhaft sind für den Lernzuwachs der anderen Teilnehmer/-innen. Indem in der Online-Diskussion mehrere Perspektiven und Ideen einander gegenübergestellt werden, kann in der Interaktion multiperspektivisches Wissen konstruiert werden, die Lernenden können neue Perspektiven kennenlernen und ihre Ideen und Perspektiven zur Diskussion stellen und damit testen: „Social interaction and collaboration shapes and tests meaning, thus enriching understanding and knowledge sharing“ (Garrison/Vaughan 2008, 14).

Wichtig ist aber festzuhalten, dass die Möglichkeit zur tieferen Reflexion zunächst nur theoretisch besteht und dass nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass dies auch tatsächlich zu inhaltlich hochwertigen Beiträgen der Teilnehmenden führt. Gleichwohl wird jedoch auch die Annahme vertreten, dass die Tatsache, dass die Beiträge über einen längeren Zeitraum schriftlich fixiert und damit auch zu späteren Zeitpunkten noch zugänglich sind, zu einer höheren extrinsischen Motivation der Lernenden führt, gut reflektierte Beiträge zu verfassen.

Forschung zu asynchroner computervermittelter Kommunikation ist vielfältig und nimmt verschiedene Aspekte in den Fokus (vgl. die überblicksartige Darstellung von Johnson 2006), z.B. wird mit Hilfe von Vergleichsgruppen die Lerneffektivität untersucht: Wang (2004) überprüfte das Verhältnis zwischen der Anzahl geposteter Beiträge und den Abschlussnoten von Studierenden und kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die besonders intensiv teilnahmen, auch die besten Noten erhielten.3 Andere Studien, etwa Walker und Arnold (2004), verwenden die positive Evaluation der Lernform durch die Studierenden als einen Indikator für den Lernerfolg, während Johnson (2005) in seiner Untersuchung keine Korrelation zwischen diesen Faktoren feststellen konnte.

Die Forschung widmet sich zudem der Frage, ob in den Diskussionen gemeinsam Wissen konstruiert wird, wobei dies meistens in qualitativen, inhaltsanalytischen Studien untersucht wird (z.B. Moore/Marra 2005, Gunawardena/Lowe/Anderson 1997, Dysthe 2002, Henri 1995). Verschiedene Modelle liegen vor, anhand derer die Ko-Konstruktion von Wissen analysiert wird: Henris Analytical Model of Interactive Behaviour (1995) ist das erste Modell, mit dessen Hilfe Wissenskonstruktion in Online-Diskussionen untersucht werden kann; Ausgangspunkt ist die Idee, dass Lerner durch Interaktion Wissen aufbauen (vgl. auch Kapitel 2.1.2). Auch Dysthe (2002) verwendet Henris Modell und untermauert die Theorie mit Rückgriff auf Bachtins Dialogizitätsbegriff (vgl. Bachtin 1979, 169–180). Sie führt aus, dass sogenannte genuine Interaktion, d.h. wenn die Person, die die Diskussion initiiert, sich auch später nochmals zu Wort meldet, ein besonders hohes Lernpotenzial habe, da dies zeige, dass sich die Lernenden für die Beiträge der anderen interessierten. Das Lernpotenzial wird hier mit Interaktion gleichgesetzt, was, wie ich in Becker (2016b) gezeigt habe, zumindest im Kontext des Fremdsprachenunterrichts nicht unproblematisch ist. Das am häufigsten verwendete Modell ist das Interaction Analysis Model (IAM) von Gunawardena, Lowe und Anderson (1997, 414): Interaktion ist darin eine Voraussetzung für Wissenskonstruktion; das Modell besteht in der Hauptsache aus fünf Phasen der Wissenskonstruktion: Phase 1 („Sharing and comparing information“) und Phase II („The discovery and exploration of dissonance or inconsistency among ideas, concepts and statements“) zählen dabei nicht zur gemeinsamen Wissenskonstruktion, diese wird erst in den Phasen III bis V erreicht (III: „Negotiation of meaning“, IV: „Testing and modification of proposed synthesis or co-construction“, V: „Agreement statements/Applications of newly constructed meaning“). Lucas, Gunawardena und Moreira (2014) stellen die Funktionalität des IAM in Frage, da Studien, die auf diesem Modell beruhen, keine oder nur wenig gemeinsame Wissenskonstruktion nachweisen konnten, wobei es meines Erachtens fraglich ist, ob Wissenskonstruktion erst dann stattfindet, wenn zu einem Konsens gefunden wird, denn dieser ist nicht unter allen Umständen erwünscht (vgl. Kapitel 2.1.3).

Problematisch an diesen Modellen ist, dass die gemeinsame Wissenskonstruktion auf textueller Ebene festgemacht wird, da so vorausgesetzt wird, dass die Lernenden alle Überlegungen tatsächlich im Diskussionsforum posten. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass durch die Beiträge der anderen in einer Art innerem Dialog das eigene Wissen modifiziert wird. Henri stellt dementsprechend auch fest, dass schon das sogenannte lurking, d.h. das reine Lesen der Beiträge, ein Lernpotenzial besitzt: „And yet in interviews following the experiment, the learners stated that a main source of learning had been the reading of the different solutions offered during teleconferences“ (Henri 1995, 158).

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation

Подняться наверх