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Kulturbegriff

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Wird in der Landeskundedidaktik von Kultur als Ausdruck homogener Einheiten gesprochen, ist damit meist die Vorstellung von Kultur als Orientierungssystem gemeint, das die Mitglieder einer Gemeinschaft determiniert. Diese Auffassung von Kultur wurde schon von Tylor vertreten, der im Jahr 1871 Kultur wie folgt definiert:

Culture or Civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society. (Tylor 1871, 1)

Angelegt ist darin die Vorstellung von Kultur als einer geschlossenen Einheit von Wissen, Vorstellungen und Verhaltensweisen, die Mitglieder einer Gemeinschaft gemein haben bzw. im Laufe ihres Lebens erwerben und die sie von anderen Gruppen unterscheiden. In der Fremdsprachendidaktik spielen Annahmen dieser Art, beeinflusst etwa durch die Arbeiten des Kulturpsychologen Thomas, „bis heute eine herausragende Rolle“ (Altmayer 2010, 1407, siehe z.B. Bechtel 2003, 50f), vor allem aufgrund des von Thomas geprägten Begriffs des Kulturstandards. Dabei handelt es sich

um alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. (Thomas 1993, 380f)

Problematisch ist an dieser und ähnlichen Auffassungen von ‚Kultur‘, dass sie, wenn beispielsweise von der „Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur“ die Rede ist, Heterogenitäten und Brüche innerhalb von Gesellschaften nicht berücksichtigen. Ein Individuum wird, sofern es wie die Mehrzahl der Mitglieder seiner Kultur handelt und denkt, zum Angehörigen einer Kultur; diejenigen, die nicht zu dieser Gruppe gehören, erhalten die Rolle der ,Andersdenkenden und Andershandelnden‘ und werden nicht als der Kultur zugehörig betrachtet. Fremdsprachenunterricht, der an einem solchen Kulturbegriff ausgerichtet ist, fördert wohlmöglich auf dieser Grundlage die stereotype Wahrnehmung der Lernenden, die er eigentlich aufbrechen sollte. Dennoch ist dieser Kulturbegriff, im Sinne eines Orientierungssystems, relevant als wissenschaftliche Kategorie, weil es sich dabei, im Gegensatz zu normativen Kulturbegriffen, um eine deskriptive Kategorie handelt, über die theoretisch die Beschreibung von Kultur(en) erst möglich ist (vgl. Altmayer 2010, 1405). Für die Fremdsprachendidaktik ist die Frage nach der Beschreibung insofern relevant, da sie schließlich die Voraussetzung dafür ist, dass Kultur(en) lehr- und lernbar gemacht werden können. Ein Kulturbegriff, der lediglich ‚normale‘ und ‚typische‘ Arten des Wahrnehmens und Handelns berücksichtigt, ist jedoch nicht geeignet, die Brüche und Unvereinbarkeiten zu beschreiben, die in der Lebenswelt erfahren werden. Die Hinwendung zu einer Auffassung von „Kultur als Text“ (Geertz 1983, 253f) im Zuge des cultural turn eröffnet dahingehend einen Lösungsansatz: Zwar wird bei Geertz, insbesondere im Essay „,Deep Play‘: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf“ (ebd., 202–260), der Hahnenkampf als ein homogenes Ereignis beschrieben, bei dem es nicht zu Widersprüchlichkeiten z.B. im Verhalten der Beteiligten kommt, dennoch legt die Auffassung, dass es sich bei Kultur um ein „Ensemble aus Texten“ (ebd., 259) handelt, theoretisch den Grundstein für folgende wichtige Vorannahme: Da Kultur aus einer Vielzahl von Texten besteht, manifestieren sich darin zugleich, Bachtins Konzept der Dialogizität entsprechend (vgl. Bachtin 1979, 169–180), Vielstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten. Die Vorstellung von der textuellen Verfasstheit von Kultur legt somit eine Grundlage für die Annahme, dass Kultur kein homogenes, funktionales Gesamtgefüge ist, das sich durch eine Summe aus Normen, Überzeugungen und kollektiven Vorstellungen und Praktiken auszeichnet.

Die Kultur-als-Text-Metapher bedeutet jedoch nicht, dass Kultur und Text gleichzusetzen sind (vgl. Bachmann-Medick 2010, 72); vielmehr geht es um die Lesbarkeit von Kultur, die wiederum ein Bedeutungszusammenhang ist, den der Mensch selbst herstellt. Geertz beschreibt dies wie folgt:

Der Kulturbegriff, den ich vertrete […] ist wesentlich ein semiotischer. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. (Geertz 1995, 9)

Ausgehend von diesem von Geertz im Jahre 1973 formulierten bedeutungsorientierten Kulturbegriff und anderen Theorietraditionen wie u.a. aus den Bereichen der Phänomenologie, der Verstehenden Soziologie und des Sozialkonstruktivismus, wird in aktuellen kulturwissenschaftlichen Forschungsansätzen davon ausgegangen, „dass die (soziale) Wirklichkeit nicht unmittelbar gegeben ist, sondern in Akten diskursiver Deutung- und Sinnzuschreibung von den Akteuren selbst konstruiert wird“ (Altmayer 2010, 1408).

Für das Fach Deutsch als Fremdsprache, d.h. vor allem für die Forschungspraxis, versucht Altmayer diese Vorstellungen fruchtbar zu machen: Kultur wird dabei als ein sozial festgelegtes Phänomen betrachtet (vgl. Altmayer 2002, 9); sie manifestiert sich in einem „gemeinsam unterstellten Vorrat an selbstverständlichem Hintergrundwissen“ (Altmayer 2002, 9), das der Lebenswelt im Sinne Habermas’ entspricht, also einem Wissensvorrat an Deutungs- und Wertmustern, mit

unproblematischen, gemeinsam als garantiert unterstellten Hintergrund-überzeugungen; und aus diesen bildet sich jeweils der Kontext von Verständigungsprozessen, in denen die Beteiligten bewährte Situationsdefinitionen benutzen oder neue aushandeln. Die Kommunikationsteilnehmer finden den Zusammenhang zwischen objektiver, sozialer und subjektiver Welt, dem sie jeweils gegenüberstehen, bereits inhaltlich interpretiert vor. (Habermas 1981, 191)

Die Kultur einer Kommunikationsgemeinschaft, so Altmayer, befinde sich in Texten und mache die „Gesamtheit des als selbstverständlich gültig und allgemein bekannt angenommenen und vorausgesetzten Wissens [aus], das von Texten präsupponiert wird“ und das sich in kulturellen Deutungsmustern zeige:

Wir deuten und schaffen die gemeinsame Welt und Wirklichkeit auf der Basis von Mustern, die wir im Verlauf unserer Sozialisation erlebt haben, die wir in der Regel in Diskursen als allgemein bekannt und selbstverständlich voraussetzen, die aber auch selbst jederzeit zum Gegenstand diskursiver und kontroverser Deutungsprozesse werden können. Soweit es sich bei diesen Mustern um überlieferte, im kulturellen Gedächtnis einer Gruppe gespeicherte und abrufbare Muster von einer gewissen Stabilität handelt, spreche ich von ‚kulturellen‘ Deutungsmustern, und den Bestand an ‚kulturellen Deutungsmustern‘, der einer Gruppe als gemeinsamer Wissensvorrat für die gemeinsame diskursive Wirklichkeitsdeutung zur Verfügung steht, nenne ich die ‚Kultur‘ dieser Gruppe. (Altmayer 2006, 51)

Im Anschluss daran versteht Altmayer unter ‚deutschen Deutungsmustern‘, um deren Vermittlung es im Landeskundeunterricht gehen solle, solche, „die in deutschsprachigen Diskursen zur deutenden Konstruktion von Wirklichkeit verwendet werden, und zwar unabhängig von ihrer ‚ursprünglichen‘ Herkunft“ (ebd., 52).

Für die Forschungspraxis im Fach Deutsch als Fremdsprache ist die Metapher „Kultur als Hypertext“ (Altmayer 2004) wichtig; der Hypertext wird als „Netzwerk vielfältig untereinander verknüpfter Texte“ betrachtet, „die jeweils bestimmte Aspekte eines komplexen und in sich vielfach differenzierten Teilbereichs des kulturellen Wissens repräsentieren“ (ebd., 261). Das Ziel einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Forschungspraxis im Bereich Deutsch als Fremdsprache sei daher die Analyse von kulturellen Deutungsmustern in sich aufeinander beziehenden Texten, so dass die Muster lehr- und lernbar würden (ebd., 263).

Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach den Auswahlkriterien der Deutungsmuster und Texte und der daraus entstehenden Relevanz. In der Praxis würden einzelne Wissenschaftler/-innen, möglichweise in der Zusammenarbeit mit anderen, eine Auswahl an in ihren Augen relevanten Deutungsmustern treffen, die dann aber wiederum eine subjektive Auswahl darstellt, der die Forschungspraxis eigentlich entgegenwirken will. Da Landeskundeunterricht immer auch eine regionale Perspektive hat1 und Deutungsmuster ständigem Wandeln unterworfen sind, kann es eine global und überzeitlich gültige Auswahl gar nicht geben. Eine kulturwissenschaftliche Forschungspraxis im Fach Deutsch als Fremdsprache, die Lehr- und Lerninhalte auf diese Weise wissenschaftlich verankert, ist somit forschungspraktisch eigentlich nicht durchführbar.

Trotzdem bedeutet der Ansatz, über kulturelle Deutungsmuster den Lernenden einer Fremdsprache Zugang zu der fremdsprachlichen Lebenswelt zu vermitteln, einen Fortschritt in der Landeskundedidaktik, denn Kenntnisse von geteiltem Wissen sind für die Teilhabe an der fremdsprachlichen Lebenswelt Voraussetzung. Gewisses Sach- bzw. Faktenwissen und Wissen über Alltagskommunikation gehören dabei natürlich ebenso dazu.

Indem Kultur als geteiltes Wissen definiert wird, besteht außerdem die Möglichkeit, Brüche, Widersprüche und Unvereinbarkeiten in der fremdsprachlichen Lebenswelt zu berücksichtigen. In der Landeskundedidaktik gehen dabei die Vorstellungen davon, welche Auswirkungen diese Heterogenitäten auf den Landeskundeunterricht haben, auseinander. Im Folgenden werden verschiedene Positionen einander gegenübergestellt; Ziel ist es, den interkulturellen und den transkulturellen Landeskundeansatz zusammenzuführen, da die Annahme besteht, dass zugrundeliegende Vorstellungen nicht so unterschiedlich sind, wie von einigen Vertretern und Vertreterinnen argumentiert wird.

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation

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