Читать книгу Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation - Christine Becker - Страница 6

1 Einleitung

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Digitale Medien haben heute einen immensen Einfluss auf alle Bereiche des privaten, beruflichen und schulischen Alltags und werden auch herangezogen, um das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu unterstützen. Die Fremdsprachendidaktik erforscht daher, welchen didaktisch sinnvollen Beitrag digitale Medien für Sprachlehr- und -lernprozesse leisten können. Ein Teil dieser Forschungsbeiträge nimmt den Nutzen für den Erwerb sprachlicher Fertigkeiten in den Blick und fragt beispielsweise, welche Rolle didaktisierte Chaträume für die Entwicklung der Sprechfertigkeit spielen. Das Potenzial für landeskundliches Lernen wurde bislang in erster Linie im Rahmen von interkultureller Telekollaboration untersucht, wobei E-Mail und Online-Diskussionsforen den Austausch zwischen Fremdsprachenlernern und L1-Sprechern oft erst ermöglichen. Landeskundliches Lernen wird in diesem Zusammenhang häufig als interkulturelles Lernen verstanden, das mit Zielen wie Fremdverstehen und interkultureller Kommunikationsfähigkeit verbunden ist.

Ein Desiderat stellt die Auseinandersetzung mit dem Potenzial digitaler Medien für kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht dar. Seitdem der cultural turn, d.h. die Hinwendung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu einem semiotisch und konstruktivistisch geprägten Kulturbegriff, auch die Fremdsprachendidaktik erreicht hat, sind einige kulturwissenschaftlich orientierte Ansätze entstanden, deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie auf die Vermittlung von Kultur im Sinne geteilter Wissensbestände abzielen (vgl. vor allem Altmayer 2004). So ist festzustellen, dass aufgrund der Orientierung der Fremdsprachendidaktik an den Kulturwissenschaften eine Trendwende im Hinblick auf die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde stattgefunden hat: Für die Unterrichtspraxis liegt eine Reihe von konzeptuellen Arbeiten vor, die an kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Ergebnisse anknüpfen und die Frage nach ‚sinnvollen‘ Unterrichtsinhalten vor allem mit einem Rückgriff auf erinnerungs- und gedächtniswissenschaftliche Forschung zu beantworten versuchen. Mit Recht wird argumentiert, dass das kulturelle Gedächtnis einen Zugang zu sozial geteiltem Wissen darstellt (vgl. Bärenfänger 2008, 49). Zugleich mangelt es aber an empirisch gesicherten Erkenntnissen über landeskundliche bzw. kulturbezogene1 Lehr- und Lernprozesse; diese sind jedoch unerlässlich, um die Praxis des Landeskundeunterrichts optimieren zu können.

Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu einem besseren Verständnis landeskundlicher Lehr- und Lernprozesse und untersucht zum einen die Rolle von konkreten Kontextfaktoren, indem gefragt wird, welches Potenzial asynchrone computervermittelte Kommunikation für landeskundliches Lernen besitzt. Diese Arbeit ist somit an der Schnittstelle der Forschungsbereiche Landeskundedidaktik und Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien verortet. Während die Frage, warum der Einsatz von asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht sinnvoll ist, dank einer aktiven Forschungstätigkeit relativ univok beantwortet werden kann, liegen im Bereich der Landeskundedidaktik erst in jüngster Zeit Forschungsergebnisse vor, an die mit dieser Arbeit angeknüpft werden soll. Indem diese Arbeit auf den Einfluss des Mediums und die konkreten Unterrichtsbedingungen fokussiert, soll aufgezeigt werden, wie Landeskundeunterricht gestaltet werden kann, um kulturbezogene Lernprozesse zu initiieren. Zum anderen wird untersucht, inwiefern bestimmte Aufgabenstellungen zu gewissen Strategien der Aufgabenbearbeitung führen können und wie diese im Hinblick auf das landeskundliche Lernen einzuschätzen sind. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise, in Anknüpfung an gedächtniswissenschaftliche und geschichtsdidaktische Forschung, die Frage aufgeworfen, welche Rolle das (Weiter-)Erzählen von Erinnerungen für landeskundliches Lernen spielt und welche Funktion kreatives Schreiben übernehmen kann.

Untersucht werden dazu asynchrone Online-Diskussionen, die Teil eines Blended-Learning-Seminars zur Landeskunde der deutschsprachigen Länder sind und in denen die Studierenden sich mit geteilten Wissenbeständen auseinandersetzen. Dies geschieht in den meisten Fällen in der Beschäftigung mit zeitgeschichtlichen Themen, da mit ihrer Hilfe die Genese geteilter Wissensbestände aufgezeigt werden kann. Das hier untersuchte Seminar ist Teil des Germanistik-Studiums an der Universität Stockholm; aus den Sommersemestern 2013 und 2014 stammen die Produktdaten der Online-Diskussionen, die qualitativ und partiell auch quantitativ ausgewertet wurden. Zudem wurden mit einem Teil der Studierenden semistrukturierte Leitfadeninterviews zu ihren Erfahrungen mit den Online-Diskussionen durchgeführt. Mit Hilfe der Interviews konnten die Ergebnisse der Produktdatenanalyse trianguliert werden. Auch von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgefüllte Hintergrundfragebogen, Prozessdaten, die mit Hilfe der verwendeten Lernplattform gewonnen wurden, sowie anonyme Kursevaluationen wurden, sofern sinnvoll, mit in die Analyse einbezogen.

Es handelt sich bei dem untersuchten Unterricht also um universitären Landeskundeunterricht, wie er im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen häufig zu finden ist und in dem Fremdsprachenunterricht mit der Vermittlung von Fachinhalten verbunden wird. Anders als der schulische integrierte Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht stellt die universitäre Lehre noch kein etabliertes Forschungsgebiet dar. In diesem Kontext können die in dieser Arbeit vorgelegten Forschungsergebnisse Impulse für die Unterrichtspraxis in Fremdsprachenstudiengängen geben.

In dem auf diese Einleitung folgenden Kapitel 2 wird der theoretische Hintergrund skizziert; das Unterkapitel zu Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien (2.1) ist, nach einleitenden Kapiteln zu Blended Learning und computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht, dem Potenzial von asynchroner computervermittelter Kommunikation gewidmet. Dabei wird zwischen einer allgemeindidaktischen und einer fachdidaktischen Perspektive unterschieden. So wird asynchrone computervermittelte Kommunikation beispielsweise allgemein dann eingesetzt, wenn die Lerner mehr Zeit für Reflexion bekommen sollen, was für den Fremdsprachenunterricht bedeutet, dass die Beiträge der Lerner vor allem sprachlich besser ausgearbeitet werden können bzw. für den Landeskundeunterricht, dass auch inhaltlich mehr Reflexion stattfinden kann.

Zwei Komponenten, die Unterricht maßgeblich beeinflussen (und zwar unabhängig davon, ob er im Präsenz- oder Online-Modus stattfindet), rücken sodann in das Blickfeld: Lernaufgaben und die Rolle der Lehrenden. Der Fokus liegt hier auf der Frage, welche Besonderheiten sich für diese beiden Einflussfaktoren im Kontext asynchroner computervermittelter Diskussionen feststellen lassen. Insgesamt werden die theoretischen Ausführungen, sofern sie sich in der Analyse als besonders relevant zeigen, in den Kapiteln der Datenauswertung (Kapitel 5 und 6) näher erläutert.

Das Unterkapitel zu landeskundlichem Lernen (Kapitel 2.2) skizziert die Geschichte sowie den aktuellen Stand der Landeskundedidaktik und führt in die kulturwissenschaftlichen Landeskundeansätze ein, an die mit dem hier untersuchten Unterricht angeknüpft wird.

Auf diese Kapitel zu den theoretischen Hintergründen folgen zwei kürzere theoretische Kapitel, deren Inhalte für die Datenanalysen relevant sind: Kapitel 2.3 behandelt das Thema integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht und zeigt auf, in welcher Situation sich der universitäre Fachunterricht befindet, der im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen stattfindet. Kapitel 2.4 ist der epistemischen Funktion des Schreibens gewidmet; da die Studierenden ihre Beiträge in der asynchronen Online-Diskussion verschriftlichen, ist davon auszugehen, dass dies einen Einfluss auf das Lernpotenzial der Diskussionen hat.

In Kapitel 3 der Arbeit wird der spezifische Untersuchungskontext zusammengefasst, d.h. auf das Fach Germanistik an der Universität Stockholm eingegangen, sowie die Didaktik des Landeskundeunterrichts erläutert und somit an Kapitel 2.2 angeknüpft.

Daran schließt in Kapitel 4 die Präsentation der Forschungsmethode an: Nach einigen Vorüberlegungen zu Erkenntnisinteresse und Forschungsverständnis wird das Forschungsdesign beschrieben, d.h. die Methoden der Datenerhebung und -auswertung. Die Methode der Datenauswertung folgt hauptsächlich der qualitativen Inhaltsanalyse. Abgeschlossen wird das Kapitel mit Reflexionen über das Forschungsdesign aus forschungsethischer Perspektive.

Es folgt der Teil der Arbeit, in dem die Analyseergebnisse präsentiert werden: Zunächst werden in Kapitel 5 die Ergebnisse der Detailanalyse einer Online-Diskussion zusammengefasst; Ziel ist es, Faktoren zu identifizieren, die das Geschehen während einer asynchronen Online-Diskussion beeinflussen, sowie Merkmale der Diskussionen zu beschreiben. Die Erkenntnisse stellen die Grundlage für die weitere Datenanalyse dar, denn das Potenzial asynchroner computervermittelter Diskussion für landeskundliches Lernen kann in seiner Komplexität nur beschrieben werden, wenn Aspekte wie beispielsweise Zeitpunkte der Bearbeitung, Beitragslänge, studentische Interaktion, Lehrerrolle und die Rolle von Studierenden mit Deutsch als L1 berücksichtigt werden. Zudem zeigen diese ausgewählten Einflussfaktoren, wie Lernprozesse initiiert werden können.

In Kapitel 6 wird schließlich das Lernpotenzial der Diskussionen für kulturbezogenes Lernen herausgearbeitet. Ausgangspunkt der Analyse sind die im Diskussionsforum gestellten Aufgaben und die Vorgehensweisen der Studierenden bei der Aufgabenbearbeitung. So kann aufgezeigt werden, dass die Studierenden verschiedene Modi der Aufgabenbearbeitung wählen, beispielsweise das Zusammenfassen von Sachwissen oder das Erzählen von persönlichen Erlebnissen. Eine Auswahl der identifizierten Modi (Zusammenfassung von Sachwissen, Gegenwartsbezüge, Begriffs- und Deutungsreflexionen, Perspektivenübernahme und narrative Zugänge) wird ab Kapitel 6.2 im Hinblick auf Vor- und Nachteile für landeskundliches Lernen hin untersucht. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse und Implikationen für die Gestaltung der Unterrichtspraxis zusammengefasst.

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation

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