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Interkulturelles und/oder transkulturelles Lernen?

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In vielen Arbeiten, die in der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Landeskunde verortet sind, wird in Abgrenzung zum interkulturellen Landeskundeansatz auf den Fortschritt hingewiesen, der mit der Hinwendung zu einem bedeutungsorientierten Kulturbegriff einhergehe.1 Interkulturellen Ansätzen wird vorgeworfen, dass sie auf einem homogenisierenden Kulturbegriff basieren, der aufgrund der im Zuge der Globalisierung vermehrten Durchlässigkeit und stärkeren Verbindung von Kulturen der Welt nicht mehr angebracht sei. Dieses Urteil ist sicherlich bei einer Reihe hauptsächlich unterrichtspraktischer Ansätze angebracht, vor allem, wenn das Paradigma reduziert wird auf die einfache kulturkontrastive Frage „Und wie ist es bei Ihnen?“ (Hackl/Langner/Simon-Pelanda 1998, 8). Nichtsdestoweniger liegt interkulturellen Ansätzen nicht per se ein homogenisierender Kulturbegriff zugrunde, auch Vertreter des interkulturellen Paradigmas sind sich bewusst, dass „mit der heutigen, von Migration und sprachlich-kulturellem Pluralismus gekennzeichneten Situation in Gesellschaft, Bildungsinstitutionen und somit auch Fremdsprachenunterricht“ (Hu 1999, 278) homogenisierende Vorstellungen von Kultur weder zeitgemäß noch brauchbar sind.

Auch für das Gießener Graduiertenkolleg Didaktik des Fremdverstehens, das sich vor allem auf einer theoretischen Ebene mit kulturellen Verstehensprozessen im Rahmen fremdsprachlichen Lernens auseinandersetzte, gilt, dass trotz der Trennung in Eigen- und Fremdkultur nicht von einem homogenisierenden Kulturbegriff ausgegangen wird:

[Die] Anerkennung unterschiedlicher kollektiver Identitäten [bedeutet nicht], dass sie in jeder Hinsicht gleich seien. Sie umfasst ferner die Einsicht, dass ein und dieselben Menschen mehreren kollektiven Identitäten angehören können […]. Es liegt somit der Didaktik des Fremdverstehens ein Kulturbegriff zugrunde, der weitaus komplexer ist, als Vertreter der Transkulturalität annehmen. (Bredella 2010, 25f)2

Und auch Bechtel betont:

Auch wenn eine Kultur durch ‚einen mehr oder weniger gemeinsamen Kern an Weltbildern, Wertvorstellungen, Denkweisen, Normen und Konventionen‘ bestimmt ist, so wie es Knapp & Knapp-Potthoff […] hervorheben, darf nicht vergessen werden, dass eine fremde Kultur genauso wenig wie die eigene Kultur homogen, sondern vielmehr gerade durch ihre innere Heterogenität, ihre Divergenzen, ihre Widersprüche und Konflikte gekennzeichnet ist. (Bechtel 2003, 52f)

Bechtel führt die kulturtheoretischen Grundlagen interkulturellen Lernens aus; er verbindet dabei Thomas’ Kulturstandards mit Knapp und Knapp-Potthoffs Vorstellung von Kultur als „ein zwischen Gesellschaftsmitgliedern geteiltes Wissen an Standards des Wahrnehmens, Glaubens, Bewertens und Handelns“ (Knapp/Knapp-Potthoff 1990, 65), wobei die Formulierungen „Standards“ bzw. dass es sich um „Normalitätserwartung“ (Bechtel 2003, 52) handle, von normativen und homogenisierenden Vorstellungen zeugt. Für Vertreter des interkulturellen Paradigmas ist somit zwar ein Kulturbegriff grundlegend, der den jeweils größten gemeinsamen Nenner einer Gemeinschaft beschreibt, dennoch werden Unterschiede und Widersprüche mitgedacht.

Die Auffassung, dass interkulturelle Landeskundeansätze auf der Vorstellung beruhten, dass es sich bei Kulturen um mehr oder weniger geschlossene Entitäten handle, rührt u.a. von einer Trennung in Eigen- und Fremdkultur her, wie sie auch in der Didaktik des Fremdverstehens beschrieben wird. Das Ziel landeskundlichen Unterrichts ist im Zuge dessen vor allem die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen und Gesellschaften. Besonders die Perspektivenübernahme spielt dahingehend eine wichtige Rolle (vgl. Kapitel 6.5), genauer gesagt das Wechselspiel zwischen der Übernahme einer Innen- und einer Außenperspektive. Durch die Einnahme einer Innenperspektive wird der Versuch unternommen, „die Dinge mit den Augen der Mitglieder der fremden Kultur zu sehen“ (Bredella/Christ 1994, 65), durch die Einnahme einer Außenperspektive kann „die fremde Kultur mit unseren eigenen Augen“ (Bredella/Christ 1994, 69) gesehen werden. Dies soll ermöglichen, dass man die Phänomene in der fremden Kultur aus einer kritisch-distanzierten Haltung beurteilen kann.

Für die Auffassung, dass ein Unterricht mit dieser Zielsetzung den Verhältnissen in der globalisierten Welt nicht gerecht wird, werden Konzepte wie Hybridität oder Transkulturalität belegend herangezogen,3 wobei im Kontext des Faches Deutsch als Fremdsprache vor allem Welschs Konzept der Transkulturalität einflussreich ist (vgl. Welsch 2000). Vermehrt finden sich Begriffe wie „transkulturelle Landeskunde“ (Laurien 2010, Roche 2005), „transkulturelles Lernen“ (Eckerth/Wendt 2003, Freitag 2010) oder „transkulturelle Deutschlandstudien“ (Martinson/Schulz 2008).

Dem Begriff der Transkulturalität liegt die Beobachtung zugrunde, dass der herkömmliche essentialistische Kulturbegriff der heutigen Situation in der Welt aufgrund der „externen Vernetzung der Kulturen“ (Welsch 2000, 336, Hervorhebung im Original) nicht mehr gerecht werde: „Zeitgenössische Kulturen sind generell durch Hybridisierung gekennzeichnet. Für jede einzelne Kultur sind tendenziell alle anderen Kulturen zu Binnengehalten oder Trabanten geworden“ (ebd., 337, Hervorhebung im Original). Dabei handelt es sich bei Welschs Konzept der Transkulturalität, dies stellt auch Bredella fest, um eine normative Kategorie (vgl. Bredella 2010). Da alle Kulturen rassistisch seien (vgl. Welsch 1994, 152f), solle eine transkulturelle Welt angestrebt werden und es gelte, diesen Zustand, der auch in der Interkulturalität bestehe, zu überwinden.

Für den Fremdsprachenunterricht kann es – unabhängig davon, ob es sich bei Transkulturalität um eine normative oder eine deskriptive Kategorie handelt – nicht gewinnbringend sein, von theoretischen Prämissen auszugehen, die „einer empirischen Überprüfung der bestehenden Verhältnisse“ (Bredella 2010, 23) nicht standhalten. Hu schreibt beispielsweise:

Die Frage ist nun, ob man das Konzept Interkulturalität für den Kontext des Fremdsprachenunterrichts wegfallen lassen kann. Ich denke, man kann dies aus dem Grunde nicht tun, weil die traditionelle Vorstellung von abgrenzbaren und objektiv beschreibbaren Kulturen und das Bedürfnis nach kultureller Verortung und kultureller Identität alltagssprachlich verankert und zumindest zurzeit unhintergehbar sind. Gerade auch der Fremdsprachenunterricht kann diese Aspekte nicht ausblenden. (Hu 1999, 297, vgl. dazu auch Hu 1995, 27f)

Ebenso weist auch Delanoy darauf hin, dass das Konzept der Transkulturalität „may stand in stark contrast to real people’s experiences“ (Delanoy 2006, 234). Auf einer unterrichtspraktischen Ebene ist es hingegen problematisch, das Bestehen von unterschiedlichen Kulturen zu negieren. Gerade im Zusammenhang mit der Feststellung, dass Kultur und Sprache untrennbar miteinander verbunden sind, stellt sich die Frage, was Lernende eigentlich im Klassenzimmer machen und wie mit den Wünschen der Lernenden umgegangen wird, die meist gern etwas über die Kultur des Zielsprachenlandes lernen möchten und die möglicherweise vereinfachte Vorstellungen der Zielsprachenkultur haben.4 Als normative Kategorie zielt sie somit an den Bedingungen des Fremdsprachenunterrichts vorbei. Zu beantworten bleibt außerdem, wie man unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch von einem Gegenstand wie ,deutsche Kultur‘ sprechen kann (vgl. Altmayer 2008, 31), geschweige denn, wie man diesen unterrichten soll.

In letzter Zeit entstehen, vor allem auch in der Literaturdidaktik, Ansätze, in denen ausdrücklich das interkulturelle und das transkulturelle Paradigma nicht als zwei unvereinbare Enden eines Kontinuums betrachten werden. Transkulturalität lässt sich als deskriptive Kategorie verstehen, mit deren Hilfe sich die Heterogenität der Lebenswelt besser beschreiben lässt. Delanoy etwa entwickelt eine Theorie des dialogic cultural learning, in dem es u.a. um einen interkulturellen Kontakt zwischen Nationalstaaten geht:

I see my approach as compatible with a transcultural agenda, since I do not treat territory as a monolith or wish to keep its boundaries intact. In fact, I view territories as historically grown, discursively constructed, culturally heterogeneous and politically contested entities, which are implicated in further reaching networks and open to change. (Delanoy 2006, 241)

Diese Verbindung inter- und transkultureller Annahmen wird dem fremdsprachlichen Unterricht, so wie er in der Praxis vorgefunden wird, am ehesten gerecht. In dieser Arbeit wird daher an Hansen angeschlossen, der bemerkt, dass sowohl die kohärente Stabilität im Inneren einer Kultur als auch die Abgeschlossenheit nach außen zurückgefahren, aber nicht abgeschafft werden können:

Die Stabilität basiert auf einem gemeinsamen Nenner, der bei aller Heterogenität vorhanden ist. Dieser kleine gemeinsame Nenner genügt, um Stabilität und Abgrenzung zu gewährleisten. Die Homogenität des alten Kulturbegriffs, das folgt daraus, kann man weitgehend, aber keinesfalls ganz aufgeben. Das Gleiche gilt für die Grenzen, die man sich zwar durchlässig vorstellen darf, die aber weiterhin die Funktion der Abgrenzung erfüllen müssen. (Hansen 2000, 298)

Das Konzept des interkulturellen Lernens, in dem die Befähigung zur Begegnung mit anderen Kulturen im Mittelpunkt steht, lässt sich so auf der inhaltlichen Ebene mit transkulturellen Inhalten füllen, um die Vernetzung und Durchlässigkeit von Kulturen zu thematisieren. Das transkulturelle Paradigma erweist sich für den Landeskundeunterricht also insofern als fruchtbar, als dadurch die von Heterogenität geprägte fremdsprachliche Lebenswelt stärker im Unterricht berücksichtigt wird. Eben dies ist auch das Ziel kulturwissenschaftlich orientierter Landeskundeansätze, die im Folgenden präsentiert werden. Deutlich wird dabei aber auch, dass nationalstaatliche Grenzen weiterhin eine große Rolle spielen, auch in Arbeiten, die die Vernetzung der Kulturen ausdrücklich thematisieren (vgl. z.B. Clemens 2006).

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation

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