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Die Scharia – der »Weg zur Tränke« – Gottesrecht nur in der Theorie?

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Im Koran kommt der Begriff »Scharia« nur ein einziges Mal vor (Sure 45,18), wird dort aber nicht zur Bezeichnung eines Rechtssystems verwendet, sondern bedeutet »Ritus« oder »Weg«. Der Begriff meint ursprünglich »Weg zur Tränke«, denn »das Heil, zu dessen Erwerb Gott die Gelegenheit bietet, gleicht einer Tränke in der Wüste.«5 Der Begriff des »Weges« weist auf ein zentrales Motiv des Korans hin: Der Mensch, der zwar nicht grundsätzlich böse oder sündig, aber doch schwach und beeinflussbar ist, muss von Gott den rechten Weg geleitet werden. Diese Formulierung der »Rechtleitung« taucht wieder und wieder im gesamten Korantext auf und wird bereits in Sure 1,6 mit der Wendung benutzt: »Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen du [durch die göttliche Rechtleitung] Gnade erwiesen hast« (1,7). Diese Rechtleitung geschieht durch die Rechtsordnungen Gottes. Wer sie nicht beachtet, wird zu »denen gehören, die deinem Zorn verfallen sind und irrgehen« (1,7). Der Begriff »Islam« meint ja »Unterwerfung«, »Hingabe«: Wer also die Gebote Gottes in ihrer Berechtigung anerkennt und hält, unterwirft sich Gott und wird nun von ihm recht geleitet.

Im Koran selbst besitzt der Begriff »Scharia« also noch nicht die Bedeutung eines ausgefeilten Rechtssystems. Erst im Verlauf einer längeren Entwicklung, die ungefähr mit dem 8. Jahrhundert n. Chr. beginnt und mit dem 10. Jahrhundert ihr vorläufiges Ende findet, wird der Begriff der Scharia zu einem Synonym für »Gottesrecht«.

Weil es sich um Gottes Recht handelt, wird die Scharia als vollkommene Ordnung betrachtet, die jeder Gesellschaft Frieden und Gerechtigkeit bringt, denn Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit. Eine homogene Gesellschaft, die unter seiner vollkommenen Rechtsordnung lebt, wird als Synonym für eine friedliche Gesellschaft betrachtet. Daher kommt die Verbindung von »Islam« und »Frieden«.

Weil die Scharia von Gott selbst gegeben ist, ist sie prinzipiell nicht reformierbar oder hinterfragbar. Eine Kritik der Scharia bedeutete, menschliche Erwägungen über das Gesetz Gottes zu stellen. Dies ist auch deshalb unvernünftig und falsch, weil am Ende aller Zeiten der Islam die einzig existente Religion sein und die Scharia über alle Menschen aufgerichtet werden wird. – So zumindest der offizielle Anspruch konservativer Theologie, dem zwar auch liberale Gegenentwürfe gegenüberstehen, die aber insgesamt wenig einflussreich sind.

Da die Scharia Normen für alle Lebensbereiche enthält, gibt es neben ihr im eigentlichen Sinn keinen säkularen, von der Religion abgetrennten Bereich. Es geht nach dem Selbstverständnis der Scharia, nachdem Gott sein ewiges Gesetz einmal den Menschen offenbart hat, nicht darum, seinen Anspruch zu relativieren oder nur teilweise zu praktizieren, sondern nur darum, die angemessene Anwendung zu finden, um das Leben im Diesseits zur Vorbereitung auf das Paradies im Jenseits gottgefällig zu gestalten. Auch dies ist wiederum nicht als Überzeugung einiger orthodoxer Außenseiter zu betrachten, sondern muss als weithin anerkannte Position innerhalb der Theologie betrachtet werden, auch wenn die Lebenspraxis vieler Menschen anders aussehen mag. Die Scharia gilt als weltliches wie sakrales Recht, ein in seinem Ursprung göttliches Recht, das in seinem Anspruch aber nicht nur den religiösen, sondern auch den weltlichen Bereich reglementiert.

Die Zugehörigkeit zum Islam mit einer fundamentalen Kritik an der Scharia zu verbinden, ist zum einen deshalb problematisch, weil es zumindest in den islamischen Kernländern keine wirkliche Religions- und Meinungsfreiheit gibt, also auch keine kritische öffentliche Diskussion über die Berechtigung des ganzheitlichen Anspruchs der islamischen Religion und ihrer Vertreter. Zum anderen schafft auch die Verknüpfung von Recht und Religion praktische Probleme in Bezug auf eine kritische Reflexion des Anspruchs der Scharia, denn »sich zu dieser Religion bekennen, ohne das Gesetz in seiner Gänze zu bejahen und als unbezweifelbaren und stets gültigen Maßstab für jegliches Tun und Lassen zu befolgen, ist unmöglich; denn das Gesetz ist ein wesentlicher Teil der islamischen Heilsbotschaft.«6

Die Scharia

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