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Sie waren über das Fallreep gekommen, zehn Mann, und da standen sie nun an Deck. Drei trugen kaum einen Faden am Leib, die anderen sieben eine Art Mönchsornat, schwarzgraue Kutten.

Der Kapitän hatte Abel vor sich hingestellt als Sprachbollwerk, und so verneigte er sich in erster Reihe. Die Japonesen waren fertig mit Verneigen, bevor die Holländer überhaupt die Hüte gezogen hatten, und warteten dann stumm und regungslos und mit nicht sehr verbindlichen Mienen, bis das Gewedel beendet war. Nur die drei Nackten verbeugten sich weiter, allerdings nicht vor den Holländern, sondern vor ihren Genossen, und zwar mindestens zwanzig Mal, und sahen dabei aus, stellte Abel fest, als wären sie gern über Bord gesprungen. Wohl waren die Nackten die Knechte der Schwarzgrauen.

Nun sah sich Abel einem jungen Mann gegenüber, der bei den Japonesen in erster Reihe stand. Er hatte einen recht kahlen Kopf und obenauf eine Verzierung, ein gelacktes Schweinsschwänzchen, vielleicht ein Haarzopf, vielleicht auch etwas Angeleimtes, es war unkleidsam. Er starrte an Abel vorbei und schluckte.

»Nun sagt schon, was man eben sagt«, zischte der Kapitän von hinten in Abels Ohr. Der schluckende Jüngling wurde von einem Mann angebellt, dem wohl die japonesische Truppe unterstand. Die Sprache, in welcher er bellte, hatte Abel noch nie gehört. Da verneigte sich der Jüngling, schluckte dreimal und würgte etwas sehr Langes und Mühsames und Kehliges hervor. Dies war eine andere Sprache, und sie war Abel ebenfalls neu.

»Der Kapitän entbietet im Namen der siebzehn Herren der Ostindien-Kompanie seinen Gruß und seine Verehrung und dankt ergebenst für die gastfreundliche Aufnahme«, zirpte Abel in seinem schönsten ersterbenden Japonesisch.

Da stieß der Jüngling vor dem japonesischen Kommandeur plötzlich mehrfach dieselben bitteren Laute aus, und plötzlich begriff Abel, das war ›freudiger Tag‹ auf Holländisch, und das war der japonesische Dolmetsch. Er lächelte ihm aufmunternd zu. Der Dolmetsch lächelte nicht zurück. Kurz von hinten angebellt, eilte er davon, weit davon, bis zu den Nackten, und nahm dort eine degradierte Haltung ein. Er hatte verloren. Abel hatte gewonnen. Der japonesische Kommandeur stand jetzt dicht vor ihm. Abel wich zurück. Der Kapitän hinter ihm wich ebenfalls zurück, und auch die Besatzung hinter dem Kapitän, der vor sich hinflüsterte: »Ich bin auf dem Weg nach Formosa, noch ehe die Nacht blaut, pfui Teufel, wer hat sich das ausgedacht?«

»Der Kapitän der Middelburg entbietet im Namen der siebzehn Herren der Ostindien-Kompanie seinen Gruß und seine Verehrung …«, begann Abel seinen Spruch zum zweiten Mal.

Der Kommandeur betrachtete das Schiff, dann betrachtete er die Besatzung, dann betrachtete er den Affen in seiner kleinen spanischen Uniform, dann Abel van Rheenen. Er begutachtete gemächlich und mit deutlich verschobener Unterlippe Abel van Rheenens langes blondes Haar.

»… und dankt ergebenst für die gastfreundliche Aufnahme!«

Der Kommandeur furchte ein wenig die Brauen, und dann sagte er »Alte-Frau-vom-Berg-Sprache« zu Abel van Rheenen.

Abel atmete auf. Das war in der Tat Japonesisch gewesen. Er hatte es verstanden. Wahrscheinlich falsch. Aber er hatte es verstanden. Alte Frau vom Berg?

»Willkommen in Japonica«, dolmetschte Abel für den Kapitän.

Die japonesische Truppe drängte sich bei den Nackten und dem degradierten Dolmetsch, ihr Kommandeur stand jetzt allein. Er war ein Mann unklaren Alters, mittlerer Größe, annähernd sinesischer Machart. Wie alle trug er den Schweinskringel auf dem Haupt, doch weil er nicht kahl war, steckte dieser halb verborgen in einem dichten Haarnest. Er hatte wohl den Barbier versäumt, der die Lackschwänzchen wöchentlich freilegen musste, wie wenn man Unkraut jätet im Tulpenbeet.

Das Schwarzgraue, verstand Abel nun, war keine Kutte, sondern unten ein Weiberrock und oben ein Schlafrock, in diesen hineingesteckt, und darüber eine Kreuzung zwischen Kragen und Weste, über den Schultern spitz. Um den Bauch war alles mehrfach verknotet, und in dem Verknoteten steckten zwei Waffen, ein großer Dolch oder Ähnliches und dazu passend ein Säbel, dessen langer Griff weit hochgerutscht war, fast bis unter den Arm.

Der Kommandeur stand und studierte wortlos den Affen, den Dolmetsch und aus dem Augenwinkel die schlechte Laune des Kapitäns. Er stand anders als andere Leute. Abel hätte es nicht recht beschreiben können, doch dieser Barbar stand in einer Weise auf den Beinen, wie er noch nie einen hatte stehen sehen, noch nie in seinem Leben. Er stand, als würde er noch immer so stehen, wenn das Schiff an einer Klippe zerschollen, vom Kraken zerschlagen, im Sturm gekentert und zerborsten wäre, immer noch stehen, zur Not auch auf Treibholz, und zwar genau so, in seinem Weiberrock und den windigen Strohpantinen, mit seinen drollig gepaarten Waffen und dem im Haarnest versunkenen Zöpflein, dort stehen und höchstens ein wenig die Lippen kräuseln, während die Welt um ihn zuschanden ging; stehen wie eingewurzelt, keinen Fingerbreit bewegt.

Abel merkte, er gaffte die Hüften des Japonesen an, als wäre das ein Gewürzinsel-Mädchen im Bastrock. Er sitzt in seinem Beckenknochen wie in einem Lehnstuhl. Wie macht er das? Das möchte ich auch können.

»Alte Frau vom Berg?«, fragte er leise.

Der Japonese blickte ihm ins Gesicht. Seine Augen waren schwarz, die Brauen nicht symmetrisch. Abels Zehen krümmten sich in den Stiefeln, so musste er sich zügeln, nicht auf ihnen zu wippen.

»Mein Lehrer hat, erlaube ich mir zu erraten, die Japonica-Sprache bei einer alten Bergfrau erlernt, ich weiß nicht, halten zu Ehren«, sagte Abel, so gut er es vermochte. Er hauchte nicht und maunzte nicht und versuchte gar ein wenig zu bellen.

Er wartete sehr auf eine Antwort. Der Kommandeur ließ ihn warten.

»Dummer Lehrer«, meinte er endlich. »Schönes Schiff.« Er sprach langsam und deutlich, fast sanft.

Nagasaki, ca. 1642

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