Читать книгу Nagasaki, ca. 1642 - Christine Wunnicke - Страница 9
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ОглавлениеEs war brütend heiß am Heiligen Abend in Batavia, und brütend heiß auch in der Heiligen Nacht. Die Kanäle stanken zum Himmel. Wenn ein Kind hineinfiele, hieß es, löste sich sein Körper binnen Sekunden auf und schwömme dann oben wie ein Suppenauge. Ob es klug gewesen sei, in der Hitze von Batavia Brackwassergrachten anzulegen oder ob man Ostindien die niederländische Baukunst vielleicht doch besser anders nahegebracht hätte, darüber nachzugrübeln sei es ohnehin wohl zu spät, dachte Abel van Rheenen. Er wälzte sich im Hemd auf dem Dach des Speicherhauses, starrte in den Sternenhimmel und aufs Meer hinaus und sehnte sich nach Schnee.
Überall wimmelte es von Niederländern, in der großen weiten heißen Welt der Barbaren. Es wimmelte auch von Portugiesen. Spanier sah man desgleichen, und Engländer, gewiss, überall Engländer, gar nicht gut fürs Geschäft. Und die breite papistische Schleimspur, die sich hinter den Iberern herzog und partout nicht trocknen wollte, selbst wenn sie längst fort waren, ließ die Heiden ins Schlittern geraten. Sie wurden weinerlich und in Handelsdingen gierig und konfus.
Die Sache mit dem Schleim war nicht auf van Rheenens Mist gewachsen. Sie stammte vom Kapitän. Der Kapitän sagte nicht nur viel Garstiges, er wusste auch viel. Oft lief ihm Abel tagelang hinterher in der Hoffnung, dieser möge ihm etwas beibringen von all seinem Wissen. Da glomm doch ein kleiner Funke im Herzen des nutzlosen Dolmetschs. Hätte ihn doch nur einer angefacht. Aber der Kapitän schäkerte eher mit dem Affen, als dass er sich je umdrehte zu Abel van Rheenen.
Ein einziges Mal hatte er dolmetschen dürfen, als ein Sultan oder Pascha oder Bonze oder Khan oder weiß der Deibel was den Gouverneur van Diemen besuchte, und er wusste noch immer nicht, welche Sprache dieser Mann eigentlich gesprochen hatte.
Er versuchte einzuschlafen. Er wollte von Schnee träumen, er wollte träumen, dass er fünf Jahre alt wäre und ihm jemand etwas beibrächte, etwa Vater, etwa Schlittschuhlaufen, denn einem Fünfjährigen alle Unterrichtung abzuschlagen, wäre schließlich unchristlich und gemein. Doch er konnte nicht einmal ruhig liegen. Er kreiselte auf seinem Hinterteil um und um, und über ihm kreiselten die Sterne.
Abel sprang auf und hüpfte auf der Stelle und begann zu singen, den Nassauer Willem auf Halifurisch. Gestern hatte er begonnen, Japonesisch zu lernen, denn im Frühjahr würde man nach Formosa segeln und von dort mit den Monsunwinden in den japonesischen Archipel. Sein Lehrer war ein alter Portugiese mit nur einer Hand, der sich in Batavia eingenistet hatte. Er habe jahrzehntelang in Japonica gelebt, behauptete er, schiffbrüchig dort angeschwemmt und freundlich aufgenommen, nachdem man ihm im ersten Schreck, als er sich unter einer Planke plötzlich regte, die linke Hand abgeschlagen hatte. Es sei so schnell gegangen, erzählte der Portugiese, dass er es erst bemerkt hatte, als ihn der Täter darauf aufmerksam machte und er schon halb verblutet war. Dann erzählte er naturgemäß lang und breit von dem Wunder der japonesischen Klingen. Das konnte Abel nicht mehr hören. Jeder, der von Japonica kam oder von Japonica hatte reden hören, meistens das letztere, wusste zwei und immer nur zwei Fakten umständlich darzulegen: wie furchtbar scharf dort die Klingen seien und wie furchtbar hübsch die Huren.
»Es werden doch nur wieder verschleimte Papisten sein«, murmelte Abel vor sich hin. Wahrscheinlich hatte ein Haifisch dem Portugiesen die Hand abgebissen. Fort Decima hieß die niederländische Festung auf Japonica, wohl die zehnte Ostindien-Festung des ausgreifenden Königreichs, und das eingeborene Dorf dabei hieß Nangasaqui.
Die japonesische Sprache klang weich, ersterbend, devot. Er musste die Stimme heben und flach atmen, um dem Portugiesen solches nachzumaunzen. Eine Sprache wie geschaffen für Ave Marias. »Puh«, machte Abel van Rheenen. Er war plötzlich den Tränen nah. Und an die hübschen Huren glaubte er auch nicht.