Читать книгу Geheimdienste, Agenten, Spione - Christoph Franceschini - Страница 16
Bozner Schlangengrube
ОглавлениеEs fällt auf, dass der Mann, der als „Hrabec“ für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst StB arbeitet und gleichzeitig vom italienischen SIFAR als Agent geführt wird, eine zentrale Frage in dieser Phase nie anschneidet: Wie ist der SIFAR ihm auf die Schliche gekommen? Und warum weiß Eugenio Piccardo über seine Treffen in Bozen, Innsbruck und Wien so genau Bescheid? Die logische Antwort: Massimo Uffreduzzi dürfte davon ausgegangen sein, dass der SIFAR im StB eigene Zuträger hat, die ihn verraten haben.
Doch tatsächlich gibt es eine Erklärung, die näher liegt. Dazu muss man sich die Arbeits- und Vorgangsweise der Nachrichtendienste genauer anschauen. Zu den eisernen Grundregeln, die man jedem Mitarbeiter und Agenten einbläut, zählt das absolute Wahren des Dienstgeheimnisses. Also niemandem zu sagen, dass man als Agent arbeitet und für wen man arbeitet. Das führt zwangsläufig dazu, dass immer wieder Freunde oder gemeinsame Mitstreiter in einer Bewegung gleichzeitig für denselben Arbeitgeber tätig sind, aber nichts voneinander wissen. Auch das meint Silvano Russomanno, wenn er von „mehreren Hunden am selben Knochen“ spricht. Scheint diese Konstellation auf den ersten Blick absurd, erfüllt sie für den Nachrichtendienst eine einfache und effektive Kontrollfunktion. Berichten zwei Zuträger über dieselbe Sache, lässt sich schnell ermitteln, ob die Berichte übereinstimmen und wer als Informant loyal ist und wer nicht. Wird derselbe Sachverhalt zudem noch – wie in vielen Fällen – von einem weiteren Informanten im selben Netz beschrieben, kommt man der objektiven Wahrheit schon sehr nahe. Genau diese Konstellation finden wir im Südtiroler StB-Netzwerk. Denn Massimo Uffreduzzi ist nicht der einzige Doppelagent in diesem Spiel.
Laut den Akten der „Azione Stelio“ wendet sich Uffreduzzi mit seinen Informationen über Erich Bertol erstmals Anfang Mai 1950 an den SIFAR. Damit beginnt seine Arbeit als Doppelagent und seine Einbettung in die besagte Operation. Diese läuft zu diesem Zeitpunkt aber bereits, was auch die Aktenzahl der „Azione Stelio“ deutlich macht: „1949-1.4.29.5.1.“86 Die Geheimdienstoperation wurde demnach 1949 vom SIFAR-Büro Verona gestartet und in Zusammenarbeit mit der römischen Zentralstelle umgesetzt. Geleitet wird sie, wie wir bereits gesehen haben, vom Chef des SIFAR-Büros Verona Tullio Filippo Recchia und seinem römischen Kollegen Eugenio Piccardo. Recchia gelingt die Anwerbung eines Informanten, der von Beginn an in das StB-Netzwerk eingebunden ist, gleichzeitig aber eine Randfigur bleibt: Cesare Premi. Der damals 25-jährige Bozner Geometer, Kindheitsfreund von Hans Morandell, arbeitet bereits ab 1949 unter dem Decknamen „Stelio“ für das „Centro C. S. di Verona“. Die Operation „Stelio“, die ihre Bezeichnung vom Decknamen Premis erhält, zielt auf eine Infiltrierung des tschechoslowakischen Nachrichtendienstes ab. Der SIFAR will wissen, wie der StB funktioniert, was den östlichen Nachrichtendienst in Italien interessiert und auch wer für ihn in Italien arbeitet. Spätestens als Hans Morandell – der in Italien weiterhin Giovanni Sostero heißt – seinen Freund Cesare Premi im Juni 1949 nach Brünn bringt und der StB diesen als Agent „Vandal“ anwirbt, kommt der SIFAR diesem Ziel nahe. Cesare Premi und Hans Morandell verbindet eine enge persönliche Freundschaft, weshalb Morandell alias „Korsičan“ dem SIFAR-Agenten alle Einzelheiten über seine Arbeit erzählt. Damit ist der SIFAR von Beginn an über jeden Schritt des wachsenden StB-Netzes in Italien informiert. Tullio Filippo Recchia beschreibt 1951 in einem Bericht an Eugenio Piccardo die Situation:
Sostero ist sehr auf Draht und er ist gegenüber Stelio sehr gesprächig. Er hat absolutes Vertrauen und erzählt ihm auch die Wahrheit. Was es uns ermöglicht, ihn auch weiterhin über Stelio zu kontrollieren (den ich immer weiter in die Sache hineindränge).87
Während der SIFAR in Rom Massimo Uffreduzzi anwirbt und in das Netzwerk einschleust, macht auch Tullio Filippo Recchia einen entscheidenden Schritt, der der SIFAR-Aktion gegen den StB eine neue Qualität verleiht. Ihm gelingt es nämlich, über seinen Informanten „Stelio“ auch den Kopf des StB-Netzwerks Hans Morandell für den SIFAR anzuwerben. Morandell wird vom SIFAR meist unter seinem italienischen Klarnamen „Sostero“ geführt, erhält aber zusätzlich den Decknamen „Robert“. Heute kann man nur mutmaßen, was „Korsičan“ bewogen hat, zum Doppelagenten zu werden. Sicherlich dürften finanzielle Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Zudem kann man annehmen, dass Recchia wie zuvor schon Uffreduzzi auch Morandell vor die Wahl gestellt hat: entweder wegen Spionage angeklagt zu werden oder für den SIFAR zu arbeiten.
Agent „Robert“ berichtet ab 1951 dem SIFAR-Büro Verona periodisch über alle Vorgänge rund um sein StB-Netz. Dabei wissen weder „Robert“ noch „Stelio“, dass gleichzeitig auch Massimo Uffreduzzi für den SIFAR arbeitet. So listet Hans Morandell dem SIFAR nicht nur detailliert alles auf, was „Hrabec“ nach Brünn liefert, sondern er übergibt dem SIFAR-Büro Verona auch über jedes Treffen mit Uffreduzzi einen genauen Bericht. Das ist dann auch der eigentliche Grund, warum Eugenio Piccardo in Rom schnell merkt, dass Uffreduzzi dem SIFAR gegenüber mit falschen Karten spielt. Als der SIFAR im Jänner 1953 Uffreduzzi in die Zange nimmt, hat man Angst, dass dadurch auch Hans Morandells Rolle als Doppelagent auffliegen und die gesamte Operation „Stelio“ ein abruptes Ende nehmen könnte. Doch als Eugenio Piccardo Ende Jänner Uffreduzzi einem strengen Verhör unterzieht, kann er Entwarnung geben. „Im Laufe des Verhörs gab es keinen Hinweis, dass die Doppelgleisigkeit Sosteros aufgeflogen ist, deshalb kann die Aktion ruhig weiterlaufen“, schreibt der Leiter der römischen SIFAR-Zentrale.88 Eineinhalb Monate später wird Eugenio Piccardo in einem 25 Seiten langen Dienstbericht mit dem bezeichnenden Titel „Massimo Uffreduzzis Gang nach Canossa“ noch deutlicher:
Massimo ignoriert völlig, dass Robert ein Doppelagent sein könnte. Unsere Aktion, die ihn gezwungen hat, sein heimliches Handeln für den tschechoslowakischen Geheimdienst zuzugeben, hat in ihm nicht den leisesten Verdacht erweckt, woher wir unser Wissen haben könnten. […] Die Sachverhaltsdarstellung von Massimo […] liefert uns zudem den klaren Beweis der ehrlichen und lauteren Zusammenarbeit, mit der Robert alle Verpflichtungen eingehalten hat, die er mit unserem Dienst eingegangen ist.89
Grafische Darstellung des Netzwerks im Berger-Akt: StB-Sachbearbeiter schreibt Klarnamen mit Bleistift dazu.
Dass dem italienischen Nachrichtendienst die Operation „Stelio“ wichtig ist, liegt auch daran, dass noch weitere Doppelagenten darin verwickelt sind. Nicht nur Massimo Uffreduzzi, Cesare Premi und Hans Morandell arbeiten sowohl für den SIFAR als auch für den StB, das SIFAR-Büro Verona und die Außenstelle in Bozen haben noch mindestens drei weitere Südtiroler StB-Agenten angeworben: Hermann Larcher, Alfredo Macchia und vor allem Heinrich Berger (Deckname „Biro“) stehen ebenfalls im Soldbuch des SIFAR. Alle drei liefern Anfang der 1950er-Jahre Informationen über ihre Zusammenarbeit mit dem StB.90 Doch weitere Nachrichtendienste schöpfen die Informationen der Bozner StB-Zuträger ab. So ist Alfredo Macchia in Kontakt mit dem amerikanischen Militärgeheimdienst CIC, der – wie wir noch sehen werden – in den 1950er-Jahren in Bozen besonders aktiv ist. Außerdem dürfte Friedrich Stefaner bereits zu diesem Zeitpunkt nebenbei auch für die deutsche „Organisation Gehlen“ (Org.) den Vorgänger des „Bundesnachrichtendienstes“ (BND) gearbeitet haben.
Man kann der Einschätzung des Nachfolgers von Tullio Filippo Recchia in der Leitung des SIFAR-Büros Verona, Carabinieri-Hauptmann Luigi Margiotta, nur zustimmen, wenn er von einem „covo di vipere“ spricht: In einem internen Bericht von 1953 schreibt er wörtlich „Giftschlangennest, das aus jenen Elementen der Stelio besteht, die in Bozen wohnen“91. Besser kann man das Konglomerat von Spitzeln wohl kaum beschreiben.