Читать книгу Geheimdienste, Agenten, Spione - Christoph Franceschini - Страница 19

Tragisches Nachspiel

Оглавление

Doch nicht für alle endete die Zusammenarbeit mit dem StB so glimpflich wie für Berger. Erich Bertol arbeitete im Sommer 1953 weiterhin für den StB, nun ist Agent „Sizunk“ vorwiegend in Österreich tätig, da ihn der StB warnte, nach Italien zu fahren. Er würde dort verhaftet werden. Erich Bertol lebt zu dieser Zeit bei seiner österreichischen Verlobten, der Lehrerin Lucia Wittrich im niederösterreichischen Retz direkt an der Grenze zur ČSR. Die beiden bekommen 1953 eine Tochter und werden im August 1955 heiraten.105 Im Herbst 1953 unterbricht der StB aber die Zusammenarbeit mit „Sizunk“. Bertol, der immer noch italienischer Staatsbürger ist, schafft es in Österreich – laut eigener Aussage – nicht, eine geregelte Arbeit zu finden. Weil sein italienischer Pass verfällt, lässt er diesen im Herbst 1953 am italienischen Konsulat in Wien verlängern. Im Dezember desselben Jahres will er nach Bozen fahren und übernachtet dabei in einem Innsbrucker Hotel, wo er allerdings von der österreichischen Polizei festgenommen wird. Der Grund: Seit März 1953 ist Bertols Aufenthaltsgenehmigung in Österreich verfallen. Er wird wegen Verstoßes gegen die Ausländerbestimmungen zu einem Monat Arrest verurteilt. Nach seiner Freilassung wird er der Staatspolizei (Stapo) überstellt, die den Bozner nach Italien ausweisen soll.


Erich Bertol alias „Sizunk“: Foto nach seiner Verhaftung (1956).

Bei seiner Verhaftung hatte die Polizei in einer Aktentasche militärische Landkarten aus Holland und andere Dokumente gefunden, die er für den StB organisiert hatte. Ein Innsbrucker Stapo-Beamter erklärt Bertol, dass die österreichische Polizei über seine Arbeit für die Tschechoslowakei informiert sei und die italienischen Behörden schon sehnsüchtig auf seine Auslieferung warten würden. Er würde in Italien wegen Spionage zu 15 Jahren verurteilt werden. Der Stapo-Beamte macht Bertol daraufhin ein klares Angebot. Er soll auspacken und in Zukunft als Informant der österreichischen Staatspolizei arbeiten, dann würde er freikommen und in Österreich bleiben können. Den Namen des Beamten gibt Bertol drei Jahre später bei den Verhören vor der militärischen Spionageabwehr des StB in Prag mit „Oberpolizeirat Peschel“ an.106 Bertol geht auf das Angebot der Österreicher ein. Sofort erhält er dann auch in Innsbruck eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich und wird auf freien Fuß gesetzt. Peschel begleitet Erich Bertol nach Wien, wo er sich mit zwei Beamten der Stapo trifft, die ihn in eine Wohnung in der Salesianergasse 2/13 bringen. Es handelt sich um Friedrich Jäger und Johann Riedel, beide Beamte in der Abteilung I, Staatspolizei. In der Wohnung nicht unweit vom Sitz der Staatspolizei wird Bertol laut eigenen Angaben verhört. Er gibt bereitwillig Auskunft über seine Arbeit, die illegalen Schleichwege über die Grenze, die toten Briefkästen in Wien und die Aufträge, die er vom StB erhalten habe. Während des Verhörs ist – laut Bertol – auch ein Engländer in der Wohnung anwesend. „Dieser Engländer war vom englischen Nachrichtendienst“, gibt „Sizunk“ später im Verhör in Prag zu Protokoll.107 Nach dem Aufenthalt in Wien kehrt Bertol mit dem Auftrag, sich sofort bei Jäger oder Riedel zu melden, wenn er einen Kontakt zum StB hergestellt habe, nach Retz zurück. Die Stapo-Beamten animieren ihn, auch ohne Einladung in die ČSR zu gehen. Genau das tut „Sizunk“ im Februar 1954 dann auch. Doch sein StB-Führungsoffizier erklärt ihm, dass die Zusammenarbeit mit ihm offiziell unterbrochen sei, und schickt ihn unverrichteter Dinge nach Retz zurück.

Bertol hält weiterhin Kontakt zur Wiener Stapo. Gleichzeitig trifft er sich wieder mit seinem früheren Weggefährten Friedrich Stefaner, der ihm dabei sein Leid klagt. Er sei von den italienischen Behörden des Landes verwiesen worden und müsse sich jetzt in Innsbruck irgendwie durchschlagen. In Wahrheit hat der Bozner StB-Agent „Horalsky“ aber wegen eines kleineren Betrugsdeliktes Südtirol und Italien verlassen und fürchtet eine Haftstrafe, wenn er zurückkommt. Zudem ist Friedrich Stefaner zu diesem Zeitpunkt längst für einen zweiten Nachrichtendienst tätig, die „Organisation Gehlen“ (Org.). Friedrich Stefaner arbeitet in den 1950er-Jahren als bezahlter Informant der Org. In dieser Rolle wurde er auch vom BND übernommen. So ist Stefaner wohl in den 1960er-Jahren in Innsbruck unter dem Decknamen „STAN“ für den deutschen Nachrichtendienst tätig.108

Im Sommer 1954 meldet sich Friedrich Stefaner bei Erich Bertol und lädt diesen nach Innsbruck ein. Beide fahren am nächsten Tag nach Konstanz am Bodensee, wo Stefaner Bertol einen gewissen Herrn „Müller“ vorstellt. Müller ist ein Org.-Mann, der an diesem Tag Bertol für den deutschen Nachrichtendienst anwerben will. Laut der Schilderung Bertols habe der Abgesandte der Org. ihm ein Dossier vorgelegt, in dem die gesamte Arbeit des StB-Netzes rund um „Sizunk“ dokumentiert war, unter anderem mit Aussagen Stefaners. Erich Bertol unterzeichnet am Ende eine Verpflichtungserklärung, doch will er in Wirklichkeit nie für den deutschen Nachrichtendienst tätig geworden sein, sehr wohl aber für die österreichische Staatspolizei. Das Duo Jäger/Riedel lässt nicht locker. Erich Bertol arbeitet nun unter dem Decknamen „Jakob Hansen“ für die Stapo. 1955 wird der Informant in der Wiener Sicherheitsdirektion sogar dem „Chef“ vorgestellt. Die Beschreibung des Treffens und der Person, die Bertol ein Jahr später bei seinen Verhören in Prag wiedergibt, passt perfekt auf den damaligen Leiter der österreichischen Staatspolizei Oswald Peterlunger (1909–1985). Immer wieder versucht „Sizunk“, Kontakt mit dem StB aufzunehmen. So schreibt er unter seinem alten Decknamen „Arnold“ am 25. September 1955 an seinen ehemaligen Führungsoffizier:

Da es Neuigkeiten gibt, ersuche ich Euch, es so zu arrangieren, dass wir uns so schnell wie möglich treffen können. Deshalb bitte ich Euch, ein Treffen zu fixieren. Lasst mich per Post an meine alte Adresse in Retz Tag und Uhrzeit wissen. Es ist überflüssig zu erwähnen, wie wichtig dieses Treffen ist, denn es gibt einige Neuigkeiten, die Euch sicher interessieren.109

Erich Bertol arbeitet im Sommer/Herbst 1955 im Wiener Hotel Wandel und lernt dort einen kanadischen Diplomaten kennen. Er will den StB nun mit diesen Informationen versorgen, doch auch dieses Mal lässt die Antwort aus der ČSR auf sich warten. Erst im Jänner 1956 schreibt ihm sein Führungsoffizier zurück und lädt ihn zu einem Treffen in die ČSR ein. Bertol informiert umgehend seinen Kontaktmann bei der Wiener Stapo. Letztlich kommt es aber erst zu Ostern 1956 zum Treffen. Einmal geht Erich Bertol zwar zum verabredeten Termin illegal über die Grenze, wird dort aber nicht abgeholt. In der Nacht des 13. April 1956 überquert „Sizunk“ erneut die Grenze und wird dann von den StB-Leuten nach Prag gebracht. Dort kommt es zu einer Aussprache und Bertol erhält einige Aufträge. Danach kehrt „Sizunk“ wieder nach Österreich zurück, wo er der Stapo umgehend einen detaillierten Bericht erstattet. Erich Bertol arbeitet zu diesem Zeitpunkt als Elektriker bei den Donaukraftwerken in Persenbeug bei Melk an der Donau. Auch auf Druck der Stapo hält er den Kontakt zum StB aber weiterhin. Mitte Juni schreibt er erneut an den StB:

Da ich mit meiner Arbeit schon fertig bin, möchte ich nachfragen, wann ich heiraten kann. Ich bin soweit bereit. Bitte setzen Sie den Termin an einen Freitag, denn die Zeit ist ja schon bekannt. Der Ort ist immer noch derselbe.110

Eigentlich hätten bei Erich Bertol aufgrund der mehrmaligen Nichtbeachtung längst die Alarmglocken läuten müssen. Doch das tun sie nicht. Der StB weiß nämlich längst, dass Agent „Sizunk“ für die Stapo arbeitet. Darüber hinaus vermutet die tschechoslowakische Staatssicherheit, dass Bertol über die österreichische Staatspolizei auch Informationen an den englischen und amerikanischen Nachrichtendienst weiterleitet. In einem langen Bericht analysiert der StB am 17. September 1956 den gesamten Fall. Der Beamte kommt am Ende zu einem klaren Resümee:

Aus den obigen Befunden geht hervor, dass Bertol ein Agent der Österreichischen Polizei und ein Spion ist. Ich schlage daher vor, Bertol in die Tschechoslowakei einzuladen und ihn dort als Agent einer feindlichen Macht zu verhaften.111

Genau dieser Plan wird dann auch umgesetzt. Agent „Sizunk“ soll am 5. Oktober 1956 in die ČSR kommen. Erich Bertol lässt dieses Treffen aber platzen. Als er dann am 12. Oktober 1956 zum nächsten geplanten Treffen kommt, wird er unmittelbar nach dem Überschreiten der Grenze von der militärischen Spionageabwehr des StB verhaftet und nach Prag gebracht. Zwischen dem 14. Oktober und dem 7. Dezember 1956 wird „Sizunk“ über ein Dutzend Mal verhört. Die Verhöre werden auf Deutsch geführt und sowohl auf Deutsch als auch tschechisch protokolliert. Zudem schreibt Erich Bertol in der Untersuchungshaft eine 30 Seiten lange Sachverhaltsdarstellung, in der die gesamte Geschichte des StB-Netzwerks noch einmal aufgearbeitet wird. Im StB-Akt von Erich Bertol sind auch die Vorgaben enthalten, die die Abteilung Spionageabwehr dem Verhörbeamten macht. Dort heißt es unter anderem:

Stellen Sie Bertol während des Verhörs in Aussicht, in der Tschechoslowakischen Republik bleiben und hier eine Familie gründen zu können. Gleichzeitig erklären Sie ihm, dass er unter keinen Umständen nach Österreich zurückkommen kann. Denn dort werde er festgenommen, verurteilt und dann nach Italien ausgeliefert.112

Die Taktik geht auf. Erich Bertol plaudert in den Verhören mehr oder weniger alles aus, was er weiß. Besonderes Interesse hat der StB dabei an den Vorgängen und den Personen der Stapo. So legt man Bertol zum Beispiel eine Reihe von Fotos von österreichischen Polizeibeamten vor, die er identifizieren soll. Am 22. März 1957 verurteilt das Landesgericht Prag Erich Bertol zu 15 Jahren Haft wegen Spionage. Der langjährige StB-Agent „Sizunk“ verschwindet in einem Prager Gefängnis. Gut eineinhalb Jahre lang kümmert sich niemand um ihn. Am 21. März 1958 spricht Bertols Ehefrau Lucia bei der italienischen Botschaft in Wien vor und erklärt, dass sie seit 1957 keine Nachricht mehr über den Verbleib ihres Mannes habe. Sie habe nur schriftlich eine Postfachadresse in Prag erhalten. Doch niemand antwortet auf ihre Briefe. Am 25. Juli 1958 antwortet die italienische Botschaft aus Prag: Erich Bertol verbüße in Prag eine 15-jährige Haftstrafe wegen Spionage. Die Nachricht wird auch umgehend dem italienischen Nachrichtendienst SIFAR übermittelt.113

Erich Bertol sitzt sieben Jahre Haftstrafe in Prag ab, bevor ihm die Reststrafe erlassen wird. Am 14. September 1964 wird er dann nach Österreich abgeschoben. Danach verliert sich seine Spur bis zum Tod im Jahr 2004.

Geheimdienste, Agenten, Spione

Подняться наверх