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Deckname „Puzzi“
ОглавлениеIm Archiv der tschechoslowakischen Staatssicherheit StB in der Na Struze 3 in Prag findet sich unter Hunderttausenden von Dossiers auch ein schmaler Akt, in dem ein Kapitel Südtiroler Zeitgeschichte gestreift wird, das eigentlich so nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte. In dem Akt liegt die Kopie eines Schreibens eines StB-Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao“, der um die dringende Kontaktaufnahme eines seiner Agenten ersucht. Die Anschrift auf dem Briefumschlag: „Museumstraße 42, Bozen“26
An dieser Adresse befinden zu diesem Zeitpunkt die Redaktion und die Druckerei der Tageszeitung „Dolomiten“ sowie die Direktion des Athesia-Verlages. Der Adressat, an den der Brief geht, gehört zur Familie von Kanonikus Michael Gamper. Franz Flies wird am 19. Mai 1928 in Bozen geboren und muss 1944 als 16-Jähriger einrücken. Er dient rund zehn Monate in Deutschland als Dolmetscher. Anfang der 1950er-Jahre arbeitet er als Vertriebsmitarbeiter im Athesia-Verlag. Flies ist der Neffe von Michael Gamper und damit der Bruder von Martha Flies, in der Südtiroler Öffentlichkeit besser bekannt unter ihrem verheirateten Namen: Martha Ebner. Im StB-Personalakt von Franz Flies heißt es dazu:
Der Informant hat 3 Schwestern. Eine studiert als Lehrerin in Bozen, die andere ist mit einem Abgeordneten verheiratet und lebt in der Nähe von Bozen. Die dritte ist in London verheiratet, wo ihr Ehemann ein Geschäft hat.27
Martha Ebner heiratet 1944 Toni Ebner, der 1948 für die SVP als jüngster Abgeordneter in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt wird und dort für drei Legislaturen sitzen wird. Toni Ebner (1918–1981) wird im Jänner 1951 erstmals SVP-Obmann. Zudem übernimmt Toni Ebner ab 1956 die Leitung des Athesia-Verlages und die Chefredaktion der Tageszeitung „Dolomiten“. Doch davon ist im Prager Akt von Franz Flies kaum etwas zu lesen, denn der Informant, der in der StB-Registratur mit dem Decknamen „Puzzi“ läuft, ist für ein anderes Einsatzgebiet vorgesehen. Franz Flies gehört ab 1951 zum Netz von Hans Morandell. Man kann davon ausgehen, dass Morandell den um nur drei Jahre jüngeren Flies während seiner Arbeit für Friedl Volgger und die SVP kennengelernt hat. Morandell und sein Vetter Edgar Meininger werben Flies gemeinsam für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst an. Als Morandell Franz Flies das erste Mal nach Brünn bringt, notiert der StB-Offizier ins Protokoll:
StB-Akt von Franz Flies (alias „Puzzi“): Neffe von Kanonikus Michael Gamper arbeitet für den Ostblock.
Der Informant spricht mehrere Sprachen, hat eine ausgezeichnete Ausbildung und er verfügt über einen gültigen Reisepass. Man kann davon ausgehen, dass er die ihm gestellten Aufgaben bestens ausführen dürfte.28
Heute kann man darüber nur spekulieren, warum Franz Flies diese Arbeit für einen östlichen Nachrichtendienst übernommen hat. Abenteuerlust? Oder aus finanziellen Gründen? Tatsache ist, dass sich im StB-Akt mehrere von Flies unterzeichnete Erklärungen finden, mit denen er Zahlungen quittiert, die er über Hans Morandell alias „Korsičan“ ausbezahlt bekommt.
Empfangsbestätigung von Franz Flies: Geld vom StB für Jugoslawienreise.
„Ich hören diese Geschichte von Ihnen heute zum ersten Mal“, sagt Martha Ebner fast 70 Jahre später im Gespräch mit dem Autor. Die heute 98-Jährige wundert sich aber nicht wirklich über diese ihr bis dahin unbekannte Seite ihres Bruders: „Franz wurde als junger Mensch durch den Krieg aus der Schule gerissen, er war ein Freigeist und immer etwas unruhig.“ Martha Ebner erklärt auch den Decknamen „Puzzi“: „Das war seit seiner Kindheit sein Spitzname in der Familie, aber auch unter seinen Freunden.“29
Im Herbst 1951 macht Franz Flies eine Reise mit dem Auto nach Jugoslawien. Seine Aufgabe ist es, Flughäfen, Militäranlagen und Industrieanlagen vor allem im heutigen Slowenien und Kroatien auszukundschaften. Am 11. November 1951 liefert Agent „Puzzi“ dem StB einen detaillierten Bericht ab. Er beschreibt darin das große Stahlwerk in Štore, die Industrieanlagen und den Flughafen von Celje, die Flugplätze von Laibach und Zagreb sowie noch eine ganze Reihe weiterer Städte und Flughäfen. Dabei gibt er die Flugzeugtypen genauso wieder wie die Stärke der militärischen Wachmannschaften. Zudem liefert er ein halbes Dutzend Namen und Anschriften, die ihm bei der Informationsbeschaffung behilflich waren und auch in Zukunft zur Verfügung stehen würden.30 Auch hier gibt es einen familiären Hintergrund. Der Vater von Franz und Martha Flies stammt aus einem Dorf in der Nähe von Celje in Slowenien. Er erhielt erst 1937 die italienische Staatsbürgerschaft.31
Am 15. Oktober 1951 bestätigt Franz Flies per Unterschrift in Wien gegenüber Hans Morandell und dem StB den Erhalt von 50.000 Lire, 20.000 Dinar und 700 Schilling. Es dürfte sich um das Geld zur Finanzierung der Jugoslawienreise handeln.32 Eine der Aufgaben, die der StB Franz Flies gibt, ist auch die Beschaffung eines Impfstoffes, der damals in Italien eingeführt wird. Mehrmals hakt der StB-Führungsoffizier bei Agent „Puzzi“ nach, bis er Mitte September 1952 über Hans Morandell eine Charge in die ČSR schickt. „Durch die Bereitstellung und den Versand von 300 Kubikzentimetern Impfstoff wurde unsere Anforderung vollständig erfüllt, es muss kein weiterer Impfstoff mehr angeschafft werden“, notiert der StB in seinem Dienstbericht.33
Anfang 1953 tritt „Puzzi“ eine zweite Auslandreise im Auftrag des kommunistischen Nachrichtendienstes an, diesmal nach Griechenland. Franz Flies hält sich einige Zeit in Kavala und Thessaloniki auf, wo er ebenfalls Militäranlagen ausspioniert und Zuträger anzuwerben versucht. In seinem Bericht an den StB-Verbindungsoffizier heißt es:
Ganz nach den Befehlen habe ich versucht, die Bekanntschaft einiger junger Burschen zu machen. Darunter sind zwei oder drei, die mir in der Zukunft sehr hilfreich sein könnten.34
Flies gelingt es auch, einen namentlich genannten Mechaniker, der während des Kriegs in Wien war und deshalb Deutsch spricht, als Informanten anzuwerben. Vor dieser Reise war Agent „Puzzi“ von seinem Führungsoffizier in die Arbeit des Geheimdienstes eingewiesen worden. Im Akt finden sich ein „Besprechungsplan mit Flies“, mit dem die Griechenlandreise genau vorbereitet wird, und auch klare Anweisungen und Sicherheitsmaßnahmen, an die sich der „Puzzi“ halten soll. So muss er sich die Deckung für seine Reise und auch Erklärungen für seine finanziellen Mittel zurechtlegen:
Er muss sein Arbeitsverhältnis beenden und braucht eine Begründung für die Verwandten. Zudem braucht er auch ein Cover für den Kontakt mit den Personen, an denen er ein Nachrichteninteresse hat.35
Dazu kommen die Standard-Anweisungen, die jeder neue Agent erhält: sich unauffällig zu benehmen, Zuträger erst nach einer gründlichen Prüfung anzuwerben und keine kompromittierenden Materialien oder Notizen bei sich zu haben, vor allem aber auf keinen Fall preiszugeben, für wen man arbeitet. Diese Anleitungen erhält Franz Flies persönlich in der Tschechoslowakei, als Hans Morandell nach monatelangem Drängen vonseiten des StB den jungen Flies am 13. November 1952 nach Brünn bringt. Auf der Rückreise passiert aber etwas, was die gesamte StB-Aktion ernsthaft in Gefahr bringt. Morandell und Flies treffen sich in einer StB-Wohnung mit ihren Führungsoffizieren. Die beiden Südtiroler StB-Agenten übergeben dabei Dokumente und Berichte, gleichzeitig erhalten sie neue Aufträge. In der Nacht des 14. November 1952 überqueren Hans Morandell und Franz Flies in der Gegend von Šatov über einen Schmugglerpfad die grüne Grenze zurück nach Österreich. Im oberösterreichischen Retz nehmen sie den ersten Zug in Richtung Wien. Doch als der Zug gegen 6.23 Uhr in Hollabrunn einfährt, werden sie von der österreichischen Polizei kontrolliert. Weil das Duo sich schlafend stellt und auch vom Aussehen her verdächtig scheint, werden die beiden von den Gendarmen festgesetzt. In einem vertraulichen Bericht der österreichischen Staatspolizei, der Ende 1952 an das römische Innenministerium und an die Quästur Bozen geht, wird die Verhaftung der beiden Bozner detailliert beschrieben. Dort heißt es:
Als man die beiden einer Kontrollvisite unterzog, stellte sich heraus, dass der eine mit einem österreichischen Personalausweis Nr. 441/49, ausgestellt am 28.4.1949 auf den Namen Hans Waldner, Handelsangestellter, geboren in Linz am 25.2.1925, ledig, wohnhaft in Wien 7, Neubaugasse Nr. 72, und der andere mit einem italienischen Reisepass, ausgestellt auf Francesco Flies, geboren in Bozen am 19.6.1928, Nr. 4107299 P., Registernummer 6878, ausgestattet war. […] Bei einer Leibesvisitation und der Durchsuchung des Gepäcks wurden 662.105 italienische Lire, 500 amerikanische Dollar, 1.000 tschechische Kronen, 2.145 österreichische Schilling sowie ein Aktenbündel gefunden, geschrieben mit einer Schreibmaschine und in italienischer Sprache, das ausschließlich militärische Nachrichten zum Inhalt hatte.36
Als die Grenzpolizei die beiden in ihr Büro begleitet, versucht Hans Morandell zu flüchten und in das Gebäude der dortigen sowjetischen Grenztruppen zu gelangen. Der österreichischen Polizei gelingt es aber, diesen Versuch zu vereiteln. Daraufhin legt man Morandell und Flies Handschellen an. Die Haft des Duos dauert aber nur knapp eine Stunde, denn bereits um 8 Uhr desselben Tages muss die österreichische Polizei die beiden Inhaftierten auf Anforderung dem sowjetischen Kommando in Hollabrunn übergeben. Es dürfte sich um einen sogenannten „Bruderdienst“ gehandelt haben, den der sowjetische KGB (Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR) für den StB hier leistet. Unmittelbar danach werden Hans Morandell und Franz Flies freigelassen und kehren nach Wien zurück.
Der Vorfall macht deutlich, wie sehr Hans Morandell längst in der Geheimdienstwelt angekommen ist, denn der damals noch italienische Staatsbürger Giovanni Sostero ist laut Polizeibericht im Besitz einer für die Behörden nicht erkennbaren österreichischen Deckidentität und eines gefälschten österreichischen Personalausweises, der auf jenen Namen lautet, den er für seine StB-Arbeit als Alias benutzt: Hans Waldner. Noch bemerkenswerter ist aber etwas anderes: Sowohl das italienische Innenministerium als auch die Bozner Quästur und der SIFAR sind spätestens Ende 1952 nicht nur über die kurzzeitige Verhaftung des Bozner Duos in Hollabrunn informiert, sondern auch über die Tatsache, dass Morandell und Flies für den StB arbeiten. So heißt es über Hans Morandell in einem der vertraulichen Spitzelberichte, die an das „Ufficio Affari Riservati“ (UAR) im römischen Innenministerium gehen: „Aus einem Hinweis geht hervor, dass der Genannte ein tschechoslowakischer Agent ist.“37
Dass die italienischen Behörden dieser wichtigen Information keinerlei Aufmerksamkeit schenken und Morandell & Co unbekümmert weiterarbeiten lassen, hat einen konkreten Grund, der in diesem Kapitel noch beleuchtet wird. Tatsache ist, dass die Verhaftung in Hollabrunn vor allem für Franz Flies eine klare Mahnung ist. Der Elan des jungen Bozners, für den StB zu arbeiten, nimmt deutlich ab. Flies unternimmt wenig später zwar seine Reise nach Griechenland, auf der er detaillierte Berichte für den StB verfasst, aus seinem Personalakt geht aber hervor, dass das Verhältnis nachhaltig getrübt ist. So sollte Agent „Puzzi“ am 19. Februar 1953 zu einem weiteren Treffen nach Brünn kommen, doch das Pflaster dürfte Franz Flies zu heiß geworden sein. Er erscheint zum Treffen nicht und schickt auch keine Absage. Am 26. Februar 1953 schreibt sein Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao“:
Lieber Freund,
ich habe auf eine Nachricht von dir gewartet, habe aber nichts erhalten. Ich weiß nicht, ob du gesund bist. Du hast mir versprochen, dass du mich am 19. Februar besuchst, bist dann aber nicht gekommen. Sei so freundlich und schreibe mir ein paar Zeilen. […] Meine Eltern laden dich höflich ein und ich erwarte dich voller Ungeduld.38
Der StB-Mann schlägt im Schreiben auch einen neuen Termin für ein Treffen in der Tschechoslowakei vor: den 24. April 1953. Franz Flies meldet sich aber weder brieflich noch erscheint er zum Treffen. Deshalb wird der Agent „Puzzi“ wenig später vom StB formal „abgeschaltet“. Das heißt: Die Zusammenarbeit wird beendet.
Der Informant hat seine Arbeit nicht mit der entsprechenden Verantwortung getragen, seine Berichte haben kaum wirklich interessante Nachrichten enthalten. Die Zusammenarbeit ist für diesen Dienst kaum rentabel. Deshalb ist es besser, wenn die Zusammenarbeit unterbrochen wird.39
Damit endet die Karriere von Franz Flies als StB-Agent Ende Mai 1953.