Читать книгу Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen - Christoph Keller - Страница 63
3. Adressatenregelung
ОглавлениеGrundsätzlich hat die Polizei ihre Maßnahmen gegen den Störer zu richten. Das ergibt sich aus dem Prinzip, dass der auch für die Beseitigung herangezogen werden soll, dem dieser Gefahrenzustand zuzurechnen ist. Die Gefahr kann durch sein vorausgegangenes Handeln hervorgerufen worden sein (Handlungsstörer, § 4 Abs. 1 PolG NRW). Es kann auch „nur“ sein, dass allein seine Verantwortlichkeit für den Zustand einer Sache den Bezug bringt (§ 5 PolG NRW). Auf ein Verschulden des Betreffenden kommt es nicht an. Nur im Ausnahmefall darf die Polizei auch andere Personen zur Beseitigung einer Gefahr heranziehen. Sind Maßnahmen gegen den Verhaltens- oder Zustandsstörer nicht oder nicht rechtzeitig möglich, z. B. weil dieser nicht mehr vor Ort ist, kann die Polizei unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 PolG NRW auch nicht verantwortliche Personen (Nichtstörer/Dritte) in Anspruch nehmen (sog. Polizeilicher Notstand):
– Nr. 1: Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr
– Nr. 2: Maßnahmen gegen die nach den §§ 4 oder 5 Verantwortlichen sind nicht oder nicht rechtzeitig möglich oder versprechen keinen Erfolg
– Nr. 3: die Polizei kann die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch die Beauftragung Dritter im Rahmen des Abschlusses eines Vertrages abwehren und
– Nr. 4: die nicht verantwortliche Person kann ohne erhebliche Eigengefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 PolG NRW müssen kumulativ erfüllt sein. Erforderlich ist insbesondere, dass die Gefahr durch die Polizei auf andere Weise – insbesondere durch Inanspruchnahme von Störern – nicht hätte abgewehrt werden können. Dieses Tatbestandsmerkmal ist die entscheidende Sperre gegen die durchaus verständliche Versuchung, den Weg des geringsten Widerstandes zu beschreiten. Grundsätzlich ist die Polizei verpflichtet, alle ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden eigenen und alle ihrer Verfügung zu unterstellenden fremden Kräfte einzusetzen, ehe sie sich für das Einschreiten gegen Nichtstörer entscheiden darf. Vorliegend ist bei dem Brand der Nachbar weder für den Zustand der Sache verantwortlich, noch war sein vorausgehendes Handeln die Ursache für den Brand. Wenn ihm aber dennoch ein Mitwirken an der Brandbekämpfung abverlangt wird (Leiter zur Verfügung stellen), dann wird er als „nichtverantwortlicher Dritter“ (§ 6 PolG NRW) in Anspruch genommen. Auch eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr (Lebensgefahr) liegt vor. Bei der gegenwärtigen Gefahr steht das schädigende Ereignis unmittelbar bevor oder hat bereits begonnen. Soweit ein Schaden schon eingetreten ist (realisierte Gefahr, Störung der öffentlichen Sicherheit) und durch den eingetretenen Zustand weiterhin Schäden drohen (Schadensausweitung), besteht die Gefahr weiterhin. Bei der gegenwärtigen erheblichen Gefahr wird dem Zeitfaktor ein qualitatives Element hinzugefügt. Gefahr droht einem bedeutsamen Rechtsgut, insbesondere Leben, Gesundheit oder wichtigem Gemeinschaftsgut. Der Nachbar ist, da er weder durch sein Handeln noch für den Zustand der Sache verantwortlich zeichnet, unbeteiligter Dritter im Sinne des § 6 PolG NRW.
Auch wenn die drei erstgenannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind, scheidet die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen aus, wenn bei ihm eine erhebliche eigene Gefährdung oder eine Verletzung höherwertiger Pflichten zu besorgen ist. Diese Opfergrenze ist Ausdruck des Übermaßverbots und gilt deshalb auch dort, wo sie das positive Recht nicht ausdrücklich normiert. Eine erhebliche Selbstgefährdung bei Hilfeleistungen darf nicht gefordert werden.
Die wesentlichste Voraussetzung ist der Ausschluss seiner eigenen Gefährdung. Polizeiliche Maßnahmen dürfen nicht die durch § 6 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW markierte Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Durch die Verfügung, die Leiter herauszugeben, wird der Nachbar weder in seiner Gesundheit noch in einem anderen wesentlichen Rechtsgut gefährdet. Überdies dürfen die Maßnahmen nach Absatz 1 nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist. Daher durfte die Verfügung gem. § 6 PolG NRW rechtmäßig sein.