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3.2 | Verhaltensökologie

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Die Verhaltensökologie untersucht die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten und den Umweltbedingungen (Nahrung, Feinde, unbelebte Umwelt) und wie sich dieses Verhalten im Laufe der Evolution entwickelt hat. Dabei werden oft ökonomische Modelle eingesetzt, die auf individuelle «Entscheidungen» angewendet werden. Im Rahmen von solchen Optimierungsmodellen werden die evolutiven Kosten eines Verhaltens dem evolutiven Nutzen gegenübergestellt und diese gegeneinander abgewogen. Für dieses Abwägen wird der Begriff «trade-off» verwendet. Am Beispiel eines fliehenden Tieres lässt sich dieser Trade-off veranschaulichen: Viele Tierarten flüchten vor einem angreifenden Raubtier. Die Entfernung, bei der ein Beutetier vor seinem Prädator flieht, wird als Fluchtdistanz bezeichnet. Flieht eine Amsel immer früh vor einem Räuber (z.B. einer Katze), verbraucht sie vergleichsweise mehr Energie als eine später fliehende. Flieht die Amsel allerdings zu spät, wird sie Opfer des Beutegreifers. Durch den Tod kann sich das betroffene Tier nicht mehr fortpflanzen, der Anteil seiner Gene am allgemeinen Genpool sich nicht mehr erhöhen. Eine optimale Fluchtdistanz wäre also einerseits möglichst gering (um möglichst wenig Energie zu vergeuden), andererseits aber gerade groß genug, um dem Prädator noch entkommen zu können. Die konkrete Entscheidung zur Flucht hängt allerdings von den jeweiligen Umständen ab, d.h., sie fällt von Fall zu Fall unterschiedlich aus (Kontextfaktoren → Kap. 6). Die Berücksichtigung dieser kontextbezogenen individuellen Entscheidungen unterscheidet die Verhaltensökologie deutlich von den stereotypen Reaktionen, die die Ethologie untersucht.

Merksatz

Verhaltensökologie untersucht die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten und den Umweltbedingungen mit Blick auf den Überlebenswert des Verhaltens (und die Fitness/Reproduktion).

Ökonomische Modelle wie das oben gerade diskutierte Flucht distanz-Modell stehen mit dem zentralen Paradigma der Verhaltensökologie in Zusammenhang: Das Verhalten eines Tieres sollte so ausgeprägt sein, dass ein maximaler Fitnessgewinn entsteht («Lebenszeitfitness»). Fitness bezieht sich dabei auf den Fortpflanzungserfolg während der gesamten Lebenszeit: Je mehr Nachkommen ein Individuum hat, desto «fitter» ist es, da sich seine Gene optimal fortpflanzen. Das Individuum mit den meisten Nachkommen wird so die Häufigkeit der eigenen Gene innerhalb der Population maximieren und damit überdurchschnittlich zum Genpool der folgenden Generationen beitragen. Im Vordergrund steht also die Lebenszeitfitness, d.h. der gesamte Beitrag, den ein Individuum an Nachwuchs zur kommenden Generation beiträgt. Dieser Beitrag kann absolut betrachtet werden – jedes Individuum sollte zwei überlebende Nachkommen beisteuern, um sich selbst zu 100 % zu reproduzieren – die Fitness kann auch relativ betrachtet und zum Mittelwert der Population in Beziehung gesetzt werden. Wenn in einer bestimmten Population jedes Individuum durchschnittlich fünf Nachkommen produziert, die bis in ihr eigenes reproduktives Alter überleben, wären zwei Nachkommen nur ein unterdurchschnittlicher relativer Beitrag.

Merksatz

Als Fitness (genetische Eignung) bezeichnet man den Gesamtbeitrag, den ein Individuum zum Genpool der folgenden Generationen beisteuert.

Box 3.1

Evolutionär stabile Strategie (ESS)

Das Bestehen der sogenannten evolutionär stabilen Strategie (ESS) wurde mit der Spieltheorie begründet. Ein klassisches Beispiel ist das Falken-Tauben-Spiel (Weber 2003). Dabei steht die Frage im Vordergrund, warum nicht jeder Konflikt bei Tieren eskaliert, sondern oft recht zügig durch Ritualisierung beigelegt wird. Beim Falken-Tauben-Spiel gibt es zwei Gegenspieler, Falken und Tauben. Sie nutzen unterschiedliche Strategien: Falken kämpfen, bis sie verletzt sind oder sich der Gegner zurückzieht. Tauben stellen sich dem Gegner entgegen, ziehen sich aber zurück, wenn dieser angreift. Dies lässt sich in einer 2×2 Matrix (→ Tab. 3-1) verdeutlichen.

Jeder Kampf kann zu einem Gewinn (W = Wert) führen, der mit Kosten (K) verbunden ist. Treffen zwei Falken aufeinander, beträgt die Gewinnchance 50 %. Der Nettogewinn – Wert minus Kosten – beträgt 50 %. Trifft ein Falke auf eine Taube, streicht der Falke den gesamten Wert ein. Trifft eine Taube auf einen Falken, geht sie leer aus (Wert = 0). Treffen zwei Tauben aufeinander, wird die Ressource fair geteilt. Nun kann man mathematisch testen, wie eine Population optimal zusammengesetzt sein müsste. Eine reine Taubenpopulation sollte problemlos überleben, da die Tauben beim Aufeinandertreffen Ressourcen teilen. Sobald einzelne Falken auftreten, sind diese im Vorteil, da sie gegen die Tauben jeden Konflikt gewinnen. Reine Falkenpopulationen dagegen würden generell kämpfen. Evolutionär stabil wäre eine Population mit einem Drittel Falken und zwei Dritteln Tauben.

Tab. 3-1 |

Falken und Tauben kämpfen um eine hypothetische Ressource. Falken kämpfen bis zur Verletzung oder bis sich der Gegner zurückzieht, Tauben stellen sich dem Gegner entgegen, ziehen sich aber bei Angriff zurück. In diesem Beispiel trifft die Spalte auf die Zeile. W steht für Wert, K für Kosten.

Falke Taube
Falke (W–K)/2 W
Taube 0 W/2

Die Attraktivität der Verhaltensökologie besteht darin, dass sich leicht Hypothesen aufstellen lassen, die dann durch Beobachtung oder Experimente überprüft werden können. Geht man bei der Nahrungswahl davon aus, dass ein Raubfisch eher eine größere statt eine kleinere Beute bevorzugt, kann man dies durch ein Wahlexperiment überprüfen. Der Energieaufwand, einen größeren Fisch zu jagen, sollte sich kaum davon unterscheiden, einen kleineren zu jagen, aber die Ausbeute mag bei einem größeren Fisch höher sein. Sollte die Erfolgsquote jedoch beim Jagen größerer Fische deutlich geringer sein als beim Jagen kleinerer Fische, wäre es besser, die kleineren Fische zu bevorzugen. Solche Hypothesen werden oft mit mathematischen Modellen vorhergesagt und lassen sich relativ leicht in der Realität überprüfen. Da allerdings der Fortpflanzungserfolg bzw. der Beitrag zum Genpool relativ schwierig zu operationalisieren ist, werden als Ersatzwährung in der Verhaltensbiologie oft Zeit- und Energiebilanzen verwendet.

Merksatz

Zeit- und Energiebilanzen werden in der Verhaltensökologie als «Währung» verwendet, da sie sich leichter messen und berechnen lassen als der Beitrag zum Genpool.

Verhaltensbiologie

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