Читать книгу Am Ende jener Tage - Clare Clark - Страница 13
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ОглавлениеNach Ansicht von Mr Beckers gab es keinen Äther. Zumindest nicht in der Art, wie Newton und andere Naturwissenschaftler bis ins 19. Jahrhundert hinein ihn sich vorgestellt hatten: als unsichtbare Essenz, aus der alle Körper zusammengesetzt seien. Die Fragen, die einst zu den wichtigsten der Physik gezählt hatten – Wie dicht ist der Äther? Ist er flüssig wie Wasser oder fest wie Stahl? Wie schwingen die Ätherteilchen, wenn sie von einer elektromagnetischen Welle erfasst werden? –, seien nie beantwortet worden. Allerdings nicht aus Unwissenheit, sondern aus Wissen. Diese Fragen konnten nicht beantwortet werden, weil sie von vornherein die falschen waren.
Der Äther war keine Art von Materie. Er besaß keine der Eigenschaften von Materie, wie Masse oder Festigkeit. Die Frage nach den materiellen Eigenschaften des Äthers war ebenso sinnlos wie die nach den materiellen Eigenschaften der Zeit. Einige Physiker hatten sogar behauptet, für die modernen Theorien sei die Existenz eines Äthers nicht mehr erforderlich, er könne gänzlich ad acta gelegt werden. Nach Ansicht von Mr Beckers war dies ein logischer Fehlschluss. Diese Physiker, sagte er, mochten einfach nur den Begriff nicht, weil man den Äther stets als eine Art materielles Gelee angesehen hatte, während er tatsächlich etwas ganz anderes war.
Der Äther, sagte er, sei nur ein anderer Begriff für Raum.
Oscar legte sich ins Zeug, weil er sich um ein Stipendium für ein naturwissenschaftliches Studium in Cambridge bewerben wollte. Mr Beckers meinte, wenn Oscar sich in Mathematik verbessern würde, hätte er gute Chancen. Er bot an, ihm nach dem Mittagessen Nachhilfe zu geben, wenn die anderen Jungen im Aufenthaltsraum Unfug trieben. Nach anfänglichem Zögern willigte Oscar ein, hauptsächlich weil er es als eine Erlösung empfand, von den anderen wegzukommen.
Unter der sanften und ermutigenden Anleitung von Mr Beckers begannen sich die Zahlen wieder ein wenig zu regen wie Grashalme im Wind. Einerseits war Oscar froh über die Hilfe, andererseits fürchtete er, nur Mr Beckers’ Zeit zu verschwenden. Die Aussichten auf Cambridge waren verschwindend gering, nicht allein wegen des Geldes. Am Ende des Herbsttrimesters 1917 hatte sich durch das Scheitern der Sommeroffensiven die Hoffnung zerschlagen, die Amerikaner könnten ein Ende des Krieges herbeiführen. Was die Lage noch verschlimmerte, war der Triumph der Bolschewiken, der praktisch das Ausscheiden der Russen aus dem Krieg bedeutete. Mit der Aussicht auf einen Sieg an der Ostfront schien Deutschland stärker dazustehen denn je.
In diesem und dem darauffolgenden Wintertrimester mit seinen kurzen dunklen Tagen wurden die Schüler aus Oscars Jahrgang zu den Waffen gerufen. Der eine oder andere beantragte eine zeitweilige Zurückstellung, um die Abschlussprüfungen ablegen zu können, aber das wurde nicht bewilligt. Der Bedarf an Soldaten war dringender als jemals zuvor. Walker, ein stiller Junge aus Oscars Physikklasse, erhielt die Mitteilung, er könne seine Studien in der Armee fortsetzen und werde im Juni für die Dauer der Prüfungen Urlaub bekommen. Vier Wochen später wurde Walker getötet, als in seinem Ausbildungslager ein Panzer explodierte.
Oscar war der Jüngste seines Jahrgangs. Im August würde auch er eingezogen werden. All die Jahre hatte er auf die Gelegenheit gewartet, seinen Patriotismus demonstrieren und beweisen zu können, dass er bis ins Mark britisch war. Aber jetzt, da diese Gelegenheit zum Greifen nah war, erschien ihm die Aussicht, in den Krieg zu ziehen, so, als würde man ihm ein Messer an die Kehle setzen. Das lag nicht so sehr an den Zeitungsnachrichten, obwohl sie schlimm genug waren, oder an der Verlesung der Toten vor Beginn der Schulferien mit immer denselben Nachnamen, die wiederholt wurden wie von einer hängengebliebenen Schallplatte. Was Oscar am meisten zusetzte, waren die Gerüchte, die wie Giftgas durch die Schule waberten – Gerüchte über Exekutionen aufgrund von Feigheit und Fahnenflucht, Gerüchte über die Soldaten, die von ihren eigenen Offizieren erschossen wurden, um den Rest der Einheit zu zwingen, aus dem Schützengraben zu stürmen und anzugreifen. Tagsüber konnte er seine Ängste im Zaum halten, aber nachts in der Dunkelheit packte ihn das Grauen, und die Erinnerung an den Gestank von Theos Uniform stieg ihm wie Galle in die Kehle.
Um dieses Gefühl in Schach zu halten, dachte er an Jessica. Er konnte sich ihr Gesicht nicht mehr so recht in Erinnerung rufen, aber ihren Körper hatte er umso klarer vor Augen. Im Lauf der Monate war Oscar in seiner Vorstellung ihr gegenüber immer kühner geworden. Sie sträubte sich nicht, wenn er ihr die Strickjacke von den Schultern streifte und langsam ihre Seidenbluse aufknöpfte. Manchmal setzte sie sich rittlings auf seinen Schoß. Nie trug sie Unterwäsche. Ihre vollen Brüste waren straff wie die Brüste der Mädchen auf den Ansichtskarten, die die Jungen reihum gehen ließen, nachdem das Licht gelöscht war. Ihre weißen Schenkel spreizten sich bereitwillig. Wenn er sie streichelte, streckte sie sich wie eine Katze und legte den Kopf zurück, sodass ihr das honiggoldene Haar über die Schultern fiel. Hinterher, wenn sein Herz wieder ruhiger schlug, schlief er ein. Gleichwohl träumte er nachts von Sandsäcken, die in seinem Gesicht barsten, von scharlachroten zersplitternden Knochen.
Ende März, während das Land unter dem Erfolg der deutschen Offensive an der Westfront taumelte, fuhr Oscar zum Trinity College in Cambridge, um die Prüfungen für das Stipendium abzulegen. Jenseits des Zugfensters war der Himmel über den Fens weißgrau und klumpig wie Tapetenkleister. In der Jackentasche hatte er einen Brief seines Schuldirektors, der ihm am Abend zuvor übergeben worden war.
Es steht außer Frage, hatte Mr Harrington geschrieben, dass die drei größten Physiker der Geschichte Archimedes, Newton und Maxwell waren. Von diesen dreien hatte nur Archimedes das Pech, kein Schüler des Trinity College gewesen zu sein. Sie tun gut daran, sich stets zu vergegenwärtigen, dass der jetzige Rektor des College kein Geringerer ist als der große Sir John Joseph Thomson, Inhaber der Cavendish-Professur und Nobelpreisträger. Was könnte es bei Ihren ersten Schritten zur Erforschung unseres rätselhaften Universums für einen besseren Führer geben?
Oscar betastete die Ecken des zusammengefalteten Briefs und dachte an Pierre Curie, der einmal geistesabwesend ein paar Milligramm Radium in einem Glasfläschchen in seiner Jackentasche vergessen hatte. Das Radium brannte sich durch den dicken Tweed seiner Weste und hinterließ eine Narbe auf seiner Brust. Oscar schien es, als würde auch der Brief in seiner Tasche über eine Strahlungsenergie verfügen, Strahlen der Möglichkeiten, die in seine Fingerspitzen eindrangen und sie erwartungsvoll kribbeln ließen.
Vor Thomson galt das Atom als unteilbar, als die grundlegende Einheit der Materie. Thomson hatte einen tieferen Blick eröffnet und mit seiner Entdeckung der Elektronen die Arbeiten von Rutherford und Bohr inspiriert. Die Vorstellung, dieselbe Luft zu atmen wie J.J. Thomson, dieselben Flure entlangzugehen wie er, in derselben Mensa zu essen und in denselben Labors zu arbeiten, vielleicht sogar mit eigenen Augen den Apparat zu sehen, den Thomson bei seinen allerersten Experimenten mit Kathodenstrahlröhren verwendet hatte – diese Vorstellung machte Oscar regelrecht schwindelig.
Als Oscar über den Great Court eilte, den weitläufigen rechteckigen Innenhof, exerzierten Kadetten auf dem Platz, und unter dem Bogen, der zum Nevile’s Court führte, stand eine Gruppe von Offizieren zusammen.
Tags darauf bei der Rückfahrt nach London war er umringt von Soldaten. Ihre Seesäcke lagen wie Leichen kreuz und quer auf dem Boden des Waggons. Die Soldaten waren betrunken. Sie ließen einen Flachmann kreisen und kniffen beim Trinken die Augen zusammen. In Baldock übergab sich einer aus dem Fenster. Oscar saß in der Ecke und beobachtete, wie die grauen Felder vorbeizogen, als würde man einen Stoffballen abrollen. Er konnte an nichts anderes denken als daran, dass er womöglich bald schon wieder dieselbe Reise antreten würde. Die mündlichen Prüfungen waren gut gelaufen, dessen war er sich sicher. Selbst wenn sein Abschneiden für ein Stipendium nicht reichen sollte, würde man ihm den Studienplatz gewiss nicht verwehren. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass es womöglich gar nicht so schlecht wäre, wenn die Deutschen den Sieg davontrügen und der Krieg endlich vorbei wäre. Dann würde die Physik wieder zum Leben erwachen.
Physiker seien keine Politiker, hatte Mr Beckers gesagt. Wie könnten sie auch? Die Physik sei universell. Das lehre uns die spezielle Relativitätstheorie. Die Gesetze, denen das Licht und die Schwerkraft unterlägen, gälten im entlegensten Winkel des Universums genauso wie auf der Erde. Und angesichts der Universalität der Physik sei die Geschichte der Erde provinziell. Was für uns eine Million Jahre sei, oder auch vier Millionen, sei für jemand, der mit Lichtgeschwindigkeit reisen könnte, nicht mehr als ein Wimpernschlag.
Oskar wusste fast nichts über Einsteins Theorien, aber er kannte seinen Werdegang: ein deutscher Wissenschaftler, der seine Staatsbürgerschaft aufgegeben hatte, um nicht zum Kriegsdienst eingezogen zu werden, und der, während der blutigste Krieg der Weltgeschichte tobte, sich nicht damit begnügte, in ein Mikroskop oder durch eine Kathodenröhre zu starren, sondern sich mit der gesamten natürlichen Welt beschäftigte – mit Raum und Zeit, der Einheit und Harmonie des ganzen Universums – und in deren unvorstellbaren Komplexität das universellste der universellen Gesetze entdeckte.
Zumindest behauptete er das.
Je schneller sich ein Objekt bewegt, desto mehr dehnt es sich aus. Wohin raste der Krieg, während er sich immer weiter ausdehnte und die Sonne verdunkelte? Oscar kümmerte es nicht mehr. Es kümmerte ihn nicht mehr, ob er Deutscher war oder Engländer oder Chinese. In eben diesem Augenblick gab es in Berlin einen Jungen wie ihn, mit vom Lesen geröteten Augen, dem sich bei der entsetzlichen Aussicht, in den Krieg zu ziehen, der Magen umdrehte. In ein paar Monaten würde einer der beiden den anderen umbringen. Und warum? Weil sie einander zufällig gegenüberstehen würden.
Oscar schloss die Augen, lehnte den Kopf an die gepolsterte Rückenlehne und dachte an Jessica. Küss mich, sagte er. Küss mich und lass mich leben.
Zwei Tage vor Beginn der Osterferien platzte im Dachgeschoss von Oscars Wohnheim ein Wassertank. Die Sturzflut ergoss sich durchs ganze Haus und brachte in den oberen Stockwerken mehrere Decken zum Einsturz. Die Jungen mussten evakuiert werden, sie waren dort nicht mehr sicher. Für die Jüngeren stellte man in anderen Häusern rasch Feldbetten auf, und da das Lehrplanpensum so gut wie erreicht war, forderte man die Schüler der sechsten Klasse auf, nach Hause zu fahren.
Daraufhin telegrafierten die Jungen ihren Müttern und baten sie, sie abzuholen oder den Chauffeur zu schicken. Oscar wollte kein solches Aufheben davon machen. Der Anblick eines Telegrafenjungen mit einem Umschlag in der Hand würde jeder Mutter in seiner Straße einen fürchterlichen Schrecken einjagen. Außerdem fuhr er immer mit dem Zug nach Hause.
Kurz vor sieben traf er in Clapham ein. Am dunklen Himmel funkelten die Sterne, und jenseits der zinnenähnlichen Schornsteinreihen hing eine phosphorleuchtende Mondsichel. Durch die Verdunkelungsjalousien drang kein Licht aus dem Haus, aber als er durch die Haustür trat, sah er hinten im Wohnzimmer eine Lampe brennen. Nachdem die Gotha-Bomber monatelang bei Tag angegriffen hatten, kamen sie jetzt nachts. Oscar schloss rasch die Tür hinter sich.
»Mutter?« Er stellte den Koffer ab und öffnete die Wohnzimmertür. Seine Mutter erhob sich von ihrem Sessel am Kamin und stieß dabei versehentlich ein Buch von der Armlehne. Sichtlich nervös bückte sie sich, um es aufzuheben. Ihre Wangen waren gerötet. Ihr gegenüber, in Oscars Sessel, saß Sir Aubrey Melville.
»Oscar, mein Schatz, was machst du denn hier?«, fragte sie und umarmte ihn. »Sag bloß nicht, sie haben dich der Schule verwiesen.«
»Es gab eine Überschwemmung, deshalb haben sie uns früher nach Hause geschickt. Sir Aubrey. Bitte bleiben Sie sitzen.«
»Oscar, alter Junge. Was für eine freudige Überraschung.«
Sir Aubreys Händedruck war fest, aber Oscar traute noch immer seinen Augen nicht. Sir Aubrey gehörte nicht in ihr bescheidenes Wohnzimmer in Clapham. Er gehörte wie die anderen Melvilles in ihren vergoldeten Rahmen nach Ellinghurst, in die Burg mit ihren steinernen Wappenschilden und Gewölbedecken und der Ritterrüstung, die der Schwarze Prinz bei Poitiers getragen hatte. Oscar schämte sich, weil Sir Aubrey jetzt wusste, dass sie keine Bediensteten hatten, kein Billardzimmer und keine Buntglasfenster mit Familienwappen. Und als ihm bewusst wurde, wie sehr er sich schämte, schämte er sich noch mehr. In der Vitrine hinter der Tür standen eine Flasche Whisky und eine Flasche Ingwerwein. Vermutlich hatte Sir Aubrey sie mitgebracht. Auf Ellinghurst war von Rationierung nie etwas zu spüren gewesen.
»Lass dich ansehen«, sagte Sir Aubrey. »Es ist schon so lange her, seit du zuletzt bei uns warst.«
»Aubrey war so freundlich, mir bei einigen geschäftlichen Angelegenheiten behilflich zu sein«, sagte Oscars Mutter. Sie lächelte Sir Aubrey vage an. Dieser nickte und warf einen Blick auf die Uhr.
»Ich muss los«, sagte er. »Bin schon zu spät dran.« Er schüttelte Oscar abermals die Hand. »Freut mich, dich wiedergesehen zu haben, alter Junge.«
»Mich auch, Sir.«
Seine Mutter ging Sir Aubreys Mantel und Hut holen. Als er beides angezogen hatte, streifte sie mit der Wange kurz die seine.
»Ich werde schreiben«, sagte sie. »Liebe Grüße an Eleanor und die Mädchen.«
Nachdem sie die Tür hinter ihm zugemacht hatte, lehnte sich Oscars Mutter dagegen und schloss die Augen. Dann blickte sie Oscar an.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte sie.
Sie habe es ihm längst schon erzählen wollen, sagte sie. Es sei nie ihre Absicht gewesen, ein Geheimnis daraus zu machen. Aber dann sei der Krieg gekommen und die Einberufung, und sie habe ihn nicht noch zusätzlich verängstigen wollen. Das ganze lange letzte Jahr habe sie wider alle Hoffnung gehofft, etwas würde geschehen, das Grauen würde ein Ende nehmen und sie könnte es ihm endlich gestehen – nicht, dass es ihr dann leicht gefallen wäre, aber wenigstens hätte diese entsetzliche Bedrohung nicht länger über ihnen geschwebt. Doch es sei kein Ende gekommen. Der Krieg sei weitergegangen, erbittert, blutig, die Fronten seien weder vor- noch zurückgerückt und hätten sich immer tiefer in die zerbombte Erde eingegraben. Und der Krieg würde auch in sechs Wochen noch nicht vorbei sein.
Es tue ihr so furchtbar leid.
Er schüttelte den Kopf. Ihm war schwindelig. Sie schenkte ihm Whisky ein, den er aber nicht anrührte. Sie hingegen trank ein Glas. Es sei ihre Entscheidung gewesen, sagte sie. Sie habe es getan, um Joachim zu schützen. Im Grunde habe sie es getan, um ihre Eltern zu beschwichtigen. Sie seien schon unglücklich genug gewesen, dass sie entschlossen war, einen mittellosen Komponisten zu heiraten, aber ein solcher Moralverstoß, das wäre zu viel für sie gewesen, dann hätten sie den Kontakt zu ihnen abgebrochen. Das wäre zwar zu verkraften gewesen, aber ohne die Unterstützung ihrer Eltern hätten sie nicht überleben können. Sie hatten rasch und in aller Heimlichkeit geheiratet, gegen den Willen ihres Vaters, und waren nach Frankreich gezogen. Bei ihrer Rückkehr waren sie zu dritt, eine Familie.
Sie schlug einen kartonierten Ordner auf und reichte ihm ein dünnes Blatt Papier. Seine Geburtsurkunde, ausgestellt vom britischen Konsulat in Paris. Oskar Julius Grunewald, geboren am 23. April 1900, Sohn von Joachim Otto Grunewald und Sylvia Margaret Grunewald, geborene Carey. Sein Einberufungsbescheid würde in vier Wochen eintreffen. Sie hatte Sir Aubrey um Hilfe gebeten, weil ihr eingefallen sei, dass er einmal von einem befreundeten Rechtsanwalt gesprochen hatte, der laufend solche Fälle vor Gericht vertrat. Sir Aubrey habe sich bereits an ihn gewandt. Die Prüfungen standen in wenigen Monaten bevor, aber Sir Aubrey war sich sicher, dass man bis zu ihrem Abschluss eine Zurückstellung erwirken könne. Er habe versprochen, persönlich ans Gericht zu schreiben und sich für Oscar einzusetzen.
»Warum sollte er das tun?«
»Weil er es kann. Weil er dich mag und du Eleanors Patenkind bist und ich ihn darum gebeten habe und er wie wir alle genug hat von diesem blutigen, schrecklichen Krieg. Ach, mein Schatz, was spielt das Warum für eine Rolle? Er will helfen. Und er wird helfen.«
Oscar ging nach oben. Er zog die Verdunkelungsjalousie nicht herunter, sondern legte sich im Finstern ins Bett. Der Himmel war voller Sterne, der Mond so hell, dass die Schatten der Fenstersprossen ein schwarzes Kreuz auf seinen Bauch warfen. Ein gezeichneter Mann, dachte er. Regungslos lag er da. Der Spiegel an der Wand über der Schubladenkommode funkelte wie Öl und warf einen Lichtfleck auf das polierte Holz. Licht ist keine kontinuierliche Welle, sondern bewegt sich in Teilchen, die man Quanten nennt. Der Äther ist nur ein anderes Wort für das Nichts. Und Oscar Greenwood? Ein Junge mit falschem Namen und falschem Alter und siebzehn sonnigen Geburtstagen im August, einem Datum, an dem es für ihn in Wahrheit gar nichts zu feiern gab.