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Die Tage vergehen

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Die Tage vergehen in ihrem eng getakteten Ablauf einer wie der andere. Jeder einzelne Tag verläuft genauso, wie der vorherigen und wie der, der noch kommen wird. Schnell verliert sich mein Gefühl für die Zeit und ich weiß schon bald nicht mehr, ob heute Montag, Dienstag oder irgendein anderer Tag ist. Neben meditativem Fegen bietet das Waschen der eigenen Wäsche eine kleine Abwechslung aus der Monotonie und gibt den zehn Tagen eine nachvollziehbare Struktur. Dass Unterhosen regelmäßig gewaschen werden müssen, versteht sich von selbst. Hier in den Tropen droht den Ungewaschenen eine zusätzliche, bei uns gänzlich unbekannte Gefahr. Kakerlaken fühlen sich von ihnen magisch angezogen. Sie kommen nachts aus ihrem Versteck und knabbern kleine Löcher in den Zwickel. Das ist an sich schon keine angenehme Vorstellung. Wenn man aber die Größe der Kakerlaken hier im Kloster in Betracht zieht, bekommt sie einen gruseligen Anstrich. Ich habe zumindest noch nirgendwo größere gesehen. Huscht eine Kakerlake im dämmrigen Abendlicht vorbei, wirft ihr Körper einen mausgroßen Schatten. Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie mit einer Hand nicht umfassen. Vielleicht ist ja doch etwas dran an dem Mythos, dass es sich mit Kakerlaken ähnlich wie mit Aquariumfischen verhält. Beide Spezies sollen so groß werden, wie ihr Umfeld es ihnen erlaubt. Je tiefer das Wasser, desto größer die Fische. Die Säle im Kloster sind riesig. Die Kakerlaken zum Beispiel, die in den Armlehnen der thailändischen Fernbusse mitfahren und sich nur zeigen, wenn man sein Essen dort abstellt, sind zum Beispiel fingernagelgroß. Aber vielleicht gibt es auch nur eine unendliche Artenvielfalt bei Kakerlaken.

Wie dem auch sei, ich wasche Unterhosen und meine Klosterkluft alle drei Tage. Und um sie ganz weiß zu bekommen, lasse ich sie lange einweichen. Dann warte ich auf einen Moment, wo ich niemanden im Bad wähne und hänge die strahlenden Riesendinger zum Trocknen auf. Ich schäme mich immer noch ein bisschen für diese Teile. Meine stille Hoffnung, dass die Oma-Unterhosen mir nicht zuzuordnen sind, ist wahrscheinlich müßig, denn ich bin mal wieder die Älteste in diesem Retreat. Als meine Wäsche ein drittes Mal, von der tropischen Hitze sanft bewegt auf der Leine trocknet, ist sie auch Zeichen, dass das Ende des Retreats nicht mehr fern sein kann.

Ein Glück! In der letzten Zeit habe ich geradezu zwanghaft angefangen, die Tage zu zählen, die ich schon hier bin und die, die ich noch bleiben muss. Eine Rechenaufgabe, die zu lösen mir unmöglich schien. Mein Körper schmerzt vom vielen Sitzen und meine Konzentration bricht häufiger ab. Am letzten Tag gehe ich sogar duschen, während alle anderen unten in der Buddhahalle auf ihrem Kissen meditieren. Ich bin schon viel zu sehr damit beschäftigt, wie meine Reise mit Greta weitergehen wird und umso mehr bin ich überrascht, als es heißt, dass wir alle für die Schlusszeremonie zusammen kommen sollen.

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