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Im Zickzack nach Bangkok

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Schon morgen sind wir mit Gretas Freund Finn in Bangkok verabredet. Es ist sein erster Besuch in Asien und da eine asiatische Großstadt ein ganz schöner Kulturschock sein kann, möchte Greta ihm das Ankommen mit ein paar gemeinsamen Tagen versüssen. Im Anschluß will er weiter in den Norden und eine Zeit im Mindfulness Project verbringen. Um seinem schmalen Reisebudget gerecht zu werden, buche ich für uns alle ein sehr günstiges Hotel in der Nähe der Koa Sun Road. Dort wollen wir uns treffen. Die Koa Sun ist die berühmteste Backpackerstraße der Welt und nicht zu verfehlen.

Heute am späten Nachmittag werden wir Chiang Mai mit dem Nachtzug verlassen. Ein letztes Mail streifen wir, die Rucksäcke geschultert, durch die Stadt und versorgen uns mit Proviant für die Reise. Einer meiner absoluten Lieblings-Snacks sind unfreife, grüne Mangos, die an jeder Straßenecke angeboten werden. Sie sind knackig und sauer, wie ein Norddeutscher Apfel. Mit unzähligen Tütchen beladen nehmen wir unsere Zugtickets an der Rezeption eines Hotels vis-a-vis des Bahnhofs in Empfang und finden uns schon eine Stunde vor Abfahrt auf unserem Bahngleis wieder. Beide neigen wir zur Überpünktlichkeit und zu unserer freudigen Überraschung dieses Mal auch unser Zug. Verheißungsvoll steht er in seinem Gleisbett. Eine Nachtfahrt im thailändischen Zug! Für mich immer wieder ein Erlebnis.

Bei der Reservierung von Plätzen im Schlafwagen gibt es ein paar Feinheiten, die bei Beachtung für uns lange Nordeuropäer sehr zum Komfort beitragen. Den oberen Betten fehlen nicht nur die entscheidenden zehn Zentimeter, um sich nachts auszustrecken, sondern auch ein Fenster, durch das man in schlaflosen Stunden die vorbeiziehende Landschaft beobachten könnte. Außerdem, und das ist das Gemeinste, scheint die Deckenbeleuchtung des Mittelgangs gnadenlos und ohne Unterbrechung die ganze Nacht ihr grelles Licht vorbei an dem Trennvorhang, dem ebenfalls ein paar Zentimeter fehlen. Wider diesen Wissens buche ich uns zwei Kojen übereinander, denn wir wollen bis zur Schlafenszeit zusammen in einem Abteil sitzen. Als Chiang Mai langsam vor unserem Fenster verschwindet, haben wir einen Großteil unseres Proviants vernascht. Schon eine weitere Stunde später kommt die Schaffnerin und macht die Betten. Ich überlasse Greta das untere Bett. Es macht für mich keinen Unterschied, da ich in Zügen meist sowieso kein Auge zu bekomme.

So sehr ich das Zugfahren auch liebe, ich freue mich überhaupt nicht darauf, in Bangkok anzukommen. Bangkok ist ein Moloch. Die Stadt ist mir zu groß, zu unübersichtlich, zu laut, zu voll, zu dreckig. So gut wie nichts ist fußläufig zu erreichen und mit Bus und Taxi steht man stundenlang im Stau. Mir fallen unendlich viele Gründe ein, meine Abneigung zu begründen. Die wahre Wurzel meiner Bangkok-Phobie liegt aber in einer Dengue-Infektion aus 2014. Anja und ich machten damals für ein paar Tage Zwischenstopp in Bangkok. Ich hatte das Virus aus dem Mindfulness Project mitgebracht, das damals noch nicht da war, wo es heute ist. Aber da ich keine eindeutigen Symptome hatte, wußte ich nicht, dass ich krank war. Dengue ist eine Virus-Infektion, die von der Tigermücke übertragen wird. Sie verläuft typisch in zwei Wellen. Die erste Welle traf mich in Bangkok. Ich fühlte mich schlapp und hatte starke Körperschmerzen. Das Knochenbrecherfieber, wie die Krankheit auch genannt wird, breitete sich in meinem Körper aus, so dass ich schon morgens vor Schmerzen weinend auf meiner Matte lag, festen Glaubens, ich sei zu alt, um auf dem Boden zu schlafen. Anjas Idee, dass eine Thaimassage mir Linderung verschaffen würde, kehrte sich ins Gegenteil. Ich litt so sehr an dem wenig sanften Umgang mit meinem Körper, dass ich der Massagetherapeutin beinahe Gewalt angetan hätte. Halb wimmernd, hab lachend, denn ich fand meine Überempfindlichkeit selbst so albern, liess ich die Anwendung dennoch über mich ergehen. Am Abend bei unserem Bummel über den Nachtmarkt, waberte die grelle, lärmende Stadtatmosphäre wie das Gemisch aus einer Lavalampe auf mich zu, um sich gleich wieder von mir zu entfernen. Ganz so, als wäre ich auf einer psychoaktiven Droge. Ich hatte Wahrnehmungsstörungen, einen merkwürdigen Schwindel und war mir unsicher, ob ich hier wirklich rumlief oder in einem Traum gefangen war. Ich fühlte mich damals dieser Riesenstadt schutzlos ausgeliefert. Mein Gehirn scheint zwischen Bangkok und diesem Gefühl eine neuronale Verknüpfung hergestellt zu haben, die mit jeden Besuch aktiviert wird.

Während sich die Häuser und Straßen vor unserem Zugfenster rasant zu einer Stadt verdichten, beobachte ich, wie dieses alte Unwohlsein in mir hochkriecht. Von Norden kommend, fahren wir im Zickzack nach Bangkok ein. Ich glaube, ich war noch nie im Norden der Stadt und ich bin überrascht, dass mir gefällt, was ich sehe. Bangkok hat viel mehr Gesichter, als ich ihr nach meiner gemachten Erfahrung zugestehen wollte. Auf einmal spüre ich eine Freiheit, mich zwischen zwei Gefühlen entscheiden zu können. Abneigung versus Neugier. Anatta: alle Dinge existieren ohne einen unveränderlichen Wesenskern. Alles besteht abhängig von anderem. Wenn ich es bin, die unangenehme Gefühle auf Bangkok projiziert, bin ich auch die einzige, die daran etwas ändern kann. Mit dieser Erkenntnis wendet sich meine Ablehnung in Sekundenschnelle und in mir öffnet sich die Bereitschaft, Bangkok neu zu entdecken. Vor allem aber freue ich mich auf Anja. Sie hat Swami Atma zum Flughafen gebracht und bevor sie morgen zurück in den Norden fährt, hat sie sich für eine Nacht in einem Hotel nicht weit von unserem eingebucht.

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