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Abschiedsritual

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Der letzte Retreattag fällt auf den sogenannten Buddha Day. An diesen besonderen Sonntagen zu bestimmten Mondphasen findet sich die ganze Gemeinde schon frühmorgens im Kloster ein. Den ganzen Tag über gibt es Dhamma Talks, Klatsch und Tratsch und jede Menge Essen. Natürlich werden auch die Bettelschalen der Mönche gefüllt, die heute dafür nicht auf die Straße müssen.

Nach dem offiziellen Programmteil für die Sangha beginnt unsere Verabschiedung. Wir versammeln uns um ein mehrstöckiges Blumenbukett, das mit einem langen Baumwollfaden geschmückt ist. In handgelenklange Stücke geschnitten wird er sich später in die begehrten Sai Sins wandeln, die wir im Westen als Glücksbändchen kennen. Aus einem Knäuel windet sich der weiße Baumwollfaden von der Buddhastatue durch die Hände eines jeden Mönchs, umrundet mehrmals das Gesteck in unserer Mitte und berührt auf seinem Weg zurück zum Buddha die vielen Hände unserer Gruppe. Er steht symbolisch für einen Faden aus einer heiligen Mönchsrobe und verbindet uns nicht nur untereinander, sondern auch mit unserer Buddhanatur. Den Faden so haltend wird er von den Mönchen mit einem Chant gesegnet, damit er seine volle Kraft entfalten kann. Danach wird er eingeholt und geteilt.

Das Abschiedsritual beginnt mit einem Chant. Unser Zeremonienmeister, ein alter Mann aus der Gemeinde, kitzelt an einigen Stellen so schräge Obertöne aus seiner Kehle, dass die Gemeinde laut johlt und lacht. Die ganze Buddhahalle scheint überhaupt angefüllt zu sein mit glücklichen Gesichtern. Dann darf der Sänger seine stark strapazierten Stimmbänder schonen und unsere Gruppe vor dem Podest, auf dem die Mönche sitzen, Platz nehmen. Nacheinander rutschen Gemeindemitglieder jeden Alters auf Knien zu uns heran und bedanken sich bei jedem einzelnen von uns mit einem Sai Sin für den Mut und für die Arbeit, die wir mit unserer Meditation für die Welt geleistet haben. Den jungen Mädchen werden dabei Versprechungen von einer blühenden Zukunft mit tollem Ehemann und vielen Babies gemacht. Und immer wieder höre ich die Frage: “Where are you from?” sowie die begeisterten Reaktionen der Thais auf die unterschiedlichen Antworten unserer aus fünfzehn Nationen stammenden Gruppe. Sie sind entzückt, dass wir, diese merkwürdigen Langnasen, aus der ganzen Welt in ihr kleines Khon Kaen zum Meditieren kommen. Wieder rührt mich die Wärme und das Mitgefühl dieser Menschen so sehr, dass mir Tränen über das Gesicht laufen. Am Ende zähle ich mehr als vierzig Bändchen an meinem Arm. Jedes davon werde ich solange tragen, bis es von allein abfällt. Auch danach gehört es nicht in den Müll, sondern auf einen erhöhten Platz, um von dort weiter und auf ewig an die in mir liegende Buddhanatur zu erinnern.

In dem Moment, wo wir das Schweigen brechen, verändert sich die Geräuschkulisse augenblicklich in den Dezibelbereich eines tosenden Applauses. Ich kann kaum mein eigenes Wort und schon gar nicht das eines anderen verstehen. Es ist schwer zu glauben, dass dies die Normalität ist. Unser erster Gang in Freiheit und der letzte gemeinsame mit der Gruppe führt hinunter zum See von Khon Kaen. Fern vom Kloster ist Körperkontakt wieder erlaubt und ich umarme jeden in unserer Gruppe innig. Auch wenn wir uns gar nicht kennen, sind wir durch die außergewöhnliche Erfahrung, die wir geteilt haben, verbunden. Danach trennen sich unsere Wege. Vielleicht für immer.

Für die Teammitglieder des Mindfulness Projects, zu denen auch Greta und ich für die nächsten anderthalb Wochen gehören, geht es in ein nahegelegenes Café. Es hat Tradition, sich hier nach einem Retreat mit Lava Cake, heißer Schokolade mit Sahne und riesigen Eisportionen zu verwöhnen.

Von der Freiheit, ich zu sein

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