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Swami Atmas Kernkompetenz

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Unser Retreat ist gleichzeitig auch Startschuss für die neue Projektsaison und es gibt eine Menge zu tun. Die offene Küche, die durch nichts geschützt wochenlang der Natur ausgeliefert war, ist Gretas und meine erste Aufgabe. In Hochzeiten wird hier für über vierzig Menschen gekocht. Wir schrubben, waschen und fegen, bis uns der Schweiß in bräunlichen Rinnsalen die Stirn hinunter läuft. Neben dem ganz normalen Naturschmutz, müssen wir leider auch den einen oder anderen Bewohner entfernen. Unter ihnen eine extrem große, fleischige Spinne ohne Haare mit glatter Haut. Sie trägt einen Kokon mit ihrer Brut unterm Bauch und hat sich tief in einem Faß eingenistet, das demnächst wieder eine Mülltonne sein wird. Allein sie anzuschauen, kostet Überwindung. Es ist eine Mischung aus urwüchsigem Ekel und Faszination. Niemand wagt es, sie in die Freiheit zu setzen und so legen wir die Tonne in die Begrünung des kleinen Sees, gleich neben der Küche und warten bis sie von allein einsieht, dass es Zeit ist umzuziehen. Nachdem das wenige Stunden später dann auch geschehen ist, landet die Tonne wieder als Müllplatz in der Küche. Wäre die Küche aus Edelstahl und nicht aus Spanplatten gebaut, würde sie jetzt blitzen und blinken. Nicht nur die Küche, auch wir sind fix und fertig. In der Nacht nutze ich den Garten, um mein Bedürfnis zu verrichten. Das erhoffte Wunder tritt leider nicht mehr ein. Ich habe wirklich eine Blasenentzündung und leihe mir ein Antibiotikum von Anja, dass der Entzündung die Spitze nimmt. Aber nur die Spitze. Das Gefühl bleibt, dass mit meiner Blase etwas nicht in Ordnung ist.

Dann ist es soweit und Christian fährt mit den Retreatteilnehmern vor. Das Projektland hat sich unter geeinter Kraft in ein wildes Paradies verwandelt. Es ist bereit, Heim für die auf der Ladefläche des Pick-ups sitzenden, eng aneinander geschmiegten jungen Menschen zu werden. Neun Frauen, ein Mann. Alle sehen von der Fahrt über die Autobahn zerzaust, aber voller Erwartung glücklich aus. Die nächsten acht Tage werden wir alle zusammen im sogenannten Dorm schlafen, einer großen Halle mit Lehmboden und halbhohen Wänden zu allen vier Seiten. Sie ist aus Baumstämmen konstruiert und zum Himmel hin mit einem Wellblechdach geschützt. Ihr Lehmboden ist jetzt mit Bastmatten bedeckt und von einer Taubespannung unter der Decke hängen bunte Moskitonetze, die die Schlafplätze voneinander trennen. Einen kurzen Fußweg durchs frisch geschorene Gras, runden zwei Toiletten und ein paar Eimerduschen das Hygienekonzept ab.

Am nächsten Morgen fahre ich mit Anja und Greta nach Khon Kaen, um Swami Atma am Flughafen abzuholen. Er kommt aus Rishikesh in Nordindien, der Hochburg des Yogas, um uns in der Lehre der Chakren und des Klangs zu unterrichten. Swami Atma sieht aus wie einem Bilderbuch indischer Mythen entstiegen. Er bringt äußerlich alles mit, was man sich von einem Guru, einem Lehrer der Yogaphilosophie, erhofft. Lockiges, langes Haar, dass ihm schwarz mit silbrigen Strähnen durchwirkt auf die Schultern fließt. Eine Haut, die schimmert wie karamellfarbene Seide und in einer beeindruckenden Farbharmonie zu seiner orangefarbenen Swamirobe steht. In seinen tiefdunklen Augen liegt eine Mystik, die man nur bei Menschen indischer Herkunft zu finden vermag. Aber über all seinem Glanz liegt auch ein feiner grauen Schleier. Swami Atma hat fast 40 Grad Fieber. Der Norden Indiens ist in diesem Jahr stark mit dem tropischen Dengue Fieber kontaminiert. Auch hier in Khon Kaen soll es einige Fälle geben. Das könnte die Ursache für sein Unwohlsein sein. Wir hoffen, dass es nur ein grippaler Infekt ist und bringen ihn erst einmal in Pedros Haus, wo er die nächsten acht Tage wohnen wird.

In einem späteren Gespräch erzählt Swami Atma mir, dass er im Gurukulam bei Swami Veda gelernt hat. Das Gurukulam ist die Schule des Himalayan Institute in Rishikesh, dem Mutterashram der Yogatradition, in der ich initiiert bin. Wir müssten uns also schon einmal begegnet sein. 2007 gab es dort zum fünfzigsten Jubiläum von Swami Veda ein großes Get-together mit mehr als 300 Menschen aus aller Welt. Vier Wochen lernten und feierten wir damals im Sadhaka Grama Ashram. Swami Atma war als Ansprechpartner einer holländischen Gruppe zugeteilt, für die er jeden Abend Yoga Nidra anleiten sollte. Yoga Nidra ist eine Tiefenentspannung, die auch der yogische Schlaf genannt wird. Alle körperlichen, geistigen und seelischen Aktivitäten sollen dabei zur Ruhe kommen und man verweilt für die Dauer der Übung in einem Zustand zwischen schlafen und wachen. Swami Atma war recht frisch in seiner Ausbildung und hatte noch keine Routine im Anleiten dieser Übung. Aber er wußte sich zu helfen. Kaum lagen die Teilnehmer seiner Gruppe auf dem Boden, den Scheitelpunkt ihrer Köpfe ihm zugewandt und die Augen geschlossen, nahm er die Kopfhörer seines Discmans und sprach Wort für Wort nach, was Swami Veda ihm auf seiner Yoga Nidra CD vorsagte. Auch die extrem langgezogenen Betonungen einiger Silben übernahm er eins zu eins. Alle waren begeistert und eine Probandin sagte sogar, dass sie noch nie eine so tiefe Erfahrung aus dem Yoga Nidra hatte mitnehmen können. Als Swami Atma uns diese Anekdote erzählt, will er gar nicht aufhören zu lachen. Überhaupt hat er die wunderbare Gabe, weder sich, noch irgendetwas anderes zu ernst zu nehmen.

Swami Atma praktiziert den Nada Yoga. Den Yoga des Klangs. Er ist einer der ältesten Yogawege und fußt auf der Annahme, dass die gesamte Schöpfung aus Schwingung besteht und dass alles mit allem über Schwingung verbunden ist. Dass es der Urton (Anahat-Nad) war, der sich als erste Schwingung manifestierte, ihm weitere Schwingungen folgten, woraus sich dann das gesamte Universum entfaltete. Im Yoga ist es die Ursilbe OM, die sich als Schwingung aus dem Urton entwickelte. Sie ist der Urklang. Noch heute soll dieser Ton gemäß der Lehre die Schöpfung durchdringen und sie am Leben erhalten. Ihm wird eine heilende Kraft zugesprochen und so wird Nada Yoga seit Jahrtausenden praktiziert, um Harmonie und Einklang zu erfahren. Swami Atmas Kernkompetenz liegt in der Aktivierung der Chakren, der feinstofflichen Energiezentren im Körper durch Klänge. Dazu benutzt er Klangschalen, eine Cosmic Drum und Mantren. Er kombiniert Yoga Nidra mit diesen Schwingungen und singt mit schöner Stimme. Und obwohl es ihm nicht immer gelingt, die rundesten Töne aus den Instrumenten zu zaubern, führt mich sein erstes angeleitetes Yoga Nidra in einen hypnotischen Zustand. Es ist, als würde ich meinen Körper verlassen und über ihm schweben. Ich sehe mich da unten liegen, in tiefem Frieden mit mir selbst, aber unfähig mich zu bewegen. Davon möchte ich mehr! Doch Swami Atma ist richtig krank und sehr geschwächt. Er schafft es gerade noch am nächsten Morgen zu unterrichten, dann verschwindet er für ein paar Tage im Bett.

Ich bin immer noch ein bisschen angestrengt von dem engen Klosterrhythmus und gar nicht böse über ein wenig frei verfügbare Zeit. Doch Anja und Christian wissen sehr gut, diese zwei Swami-freien Tage zu füllen und so geht es auch ohne ihn stramm getaktet zwischen Yogaeinheiten, Meditationen und Vorträgen weiter. Meine absoluten Highlights dieser Tage sind das hervorragende Essen und der Moment, in dem die Klingel des Eis-Mopeds ertönt. Eine alte Thai Dame aus einem nahen Dorf bietet ihr selbstgemachtes Cocos-Eis in unserer Mittagspause zum Verkauf an. Es ist köstlich und für wenige Baht zu haben.

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