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2.2 Soziolinguistische Methoden
ОглавлениеSoziolinguistische Methoden wollen besonders das Verhalten von Sprechern in bestimmten Domänen, d.h. bestimmten Bereichen des täglichen Lebens (wie privater, öffentlicher Bereich, Freundeskreis, Institutionen etc.), erforschen. Dazu sind in der Linguistik verschiedene Methoden entwickelt worden, die entweder aus der Soziologie (Fragebögen, Interviews) oder aus der Ethnologie (teilnehmende Beobachtung) übernommen wurden. Auch schriftliche Quellen können für Analysen des Sprachverhaltens herangezogen werden.
Erhebung durch Fragebögen
Viele Verhaltensweisen von Mehrsprachigen und Faktoren, die dieses Verhalten beeinflussen können, können durch Fragebögen erfasst werden. Der Fragebogen soll die folgenden Aspekte berücksichtigen: Sprachbiographie, Sprachgebrauch in verschiedenen Bereichen, Sprachdominanz und Spracheinstellungen.
Sprachbiographische Daten umfassen neben Einzelheiten zur Biographie des Sprechers wie Alter, Beruf, Schulbildung, vor allem Daten über den Erwerb der Sprachen (wann und in welchem Umfeld). Sprachgebrauch in verschiedenen Bereichen betrifft die private, berufliche und öffentliche Sphäre. Allerdings muss man immer die Möglichkeit ins Auge fassen, dass sich die Bereiche vermischen: Es gibt keine allgemeine Klassifikation von Domänen, da man z.B. auch mit Arbeitskollegen befreundet sein kann oder gerade in dörflichen Gemeinschaften die öffentliche Sphäre nicht von der privaten getrennt werden kann (vgl. Riehl 2014:46ff.).
Um Sprachdominanz abzufragen, kann man zunächst Fragen zur Selbsteinschätzung stellen, etwa wie gut man auf einer Skala (z.B. von 1–6) Lesen, Schreiben, Sprechen und Verstehen in einer gegebenen Sprache kann. Weitere Fragen in diesem Bereich sind etwa, in welcher Sprache man Briefe schreibt, Witze erzählt, rechnet oder träumt, welche Sprache man mit Haustieren verwendet oder in welcher Sprache man flucht. Hier fragt man sozusagen auch die emotionalen Funktionen der Sprachen ab. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, welche Medien der Sprecher in welcher Sprache verwendet, z.B. Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen, Bücher und Internet.
Informationen über die gesellschaftliche Sprachverteilung und individuelle Sprachdominanz lassen Aussagen auf zugrunde liegende Prozesse zu: D.h., wenn eine Sprache/Varietät X nur noch in der privaten Sphäre gesprochen wird, könnte das auf längere Sicht zum Sprachwechsel führen. Es lässt sich aber auch die Art der Mehrsprachigkeit eines einzelnen Sprechers feststellen, z.B. besonders, ob er eine seiner Sprachen in allen Bereichen oder etwa nur im Bereich der Mündlichkeit beherrscht. Daten, die auf Grundlage solcher Fragebögen gewonnen werden, kann man nun dazu verwenden, um die Vitalität von bestimmten Minderheiten- bzw. Migrantensprachen zu bestimmen. So werden in den großangelegten home language surveys diese Daten miteinander korreliert, um den sog. ‚Sprachvitalitätsindex‘ (LIV) zu erstellen (Extra/Yağmur 2004 und u. 4.3.2).
Die Spracheinstellungen kann man u.a. erfahren, wenn man danach fragt, welche Sprache die Sprecher am liebsten sprechen und welche Sprache sie am schönsten finden. Das kann sehr aufschlussreich sein, wie eine Studie, die an Kölner Schulen durchgeführt wurde, zeigte: Von etwa 100 zweisprachig aufgewachsenen Kindern haben 34,2 % zwar angegeben, dass sie Deutsch am liebsten sprechen, aber nur 5,3 %, dass ihnen die Sprache am besten gefällt. Dies lässt darauf schließen, dass die Schüler das Deutsche deshalb am liebsten sprechen, weil sie es am besten beherrschen und nicht, weil sie es mehr schätzen als die Muttersprache (vgl. Riehl 2014:48).
Teilnehmende Beobachtung
Eine weitere wichtige Methode, um Sprachgebrauch und Sprachverhalten zu eruieren, stammt aus der Ethnologie, nämlich die teilnehmende Beobachtung: Hierbei nimmt der Forscher selbst an der Interaktion teil und versucht, ein Teil der Gruppe zu werden (Albert/Marx 2014:45). Dieser Versuch ist zwar zeitaufwändig und gelingt auch nicht immer, hat aber den großen Vorteil, dass man dann das sog. ‚Beobachterparadox‘ überwinden kann. Dieses Paradox bedeutet, dass ein Beobachter, der nicht Teil der Gruppe ist, als Fremdkörper in der Gruppe wahrgenommen wird und die Gruppe sich damit nicht authentisch verhält (vgl. Nortier 2008:44ff.). Die Beobachtungen, die man als teilnehmender Beobachter macht oder auch Äußerungen, die man hört, werden dann protokolliert und können ebenso als Teil der Datenbasis oder zur Interpretation der vorgefundenen Phänomene dienen.
Erhebung von Interviews
Eine sehr zentrale und häufig verwendete Methode ist die Befragung von Gewährspersonen in Form von Interviews: Hierbei unterscheidet man zwischen dem gesteuerten Interview, das sozusagen aus einer Art „Abfragen“ eines vorbereiteten Leitfadens besteht, und dem freien soziolinguistischen Interview, das sich frei entwickeln kann und in dem die Sprecher ein möglichst natürliches Gesprächsverhalten zeigen können. Um eine möglichst objektive Vergleichbarkeit der erhobenen Daten zu erzielen, eignet sich das gesteuerte Interview besser. Außerdem werden hier vor allem nicht-sprachliche Faktoren erhoben, die für die Interpretation von Sprachverhalten notwendig sind. Das ungesteuerte, freie Interview bietet dagegen wesentlich authentischeres Sprachmaterial und lässt so viele Rückschlüsse auf das tatsächliche Sprachverhalten zu. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, beide Erhebungsmethoden miteinander zu verbinden, d.h. etwa mit einem gesteuerten Interview zu beginnen, bei dem die wichtigsten persönlichen Daten abgefragt werden, und dann in einen freien, ungesteuerten Teil überzugehen.
Die gerade beschriebenen Methoden eignen sich besonders, um den Sprachgebrauch und das Sprachverhalten der Sprecher festzustellen. Die Daten geben Auskunft über die Kompetenz der Sprecher in den Sprachen und die Dominanz der einen oder anderen Sprache.
Analyse schriftlicher Quellen
Neben gesprochenen Daten, die man hauptsächlich in einer Interviewsituation gewinnt, kann man auch schriftliche Quellen heranziehen. Dabei sind besonders die Quellen privater Schriftlichkeit wie private Annoncen in Zeitungen, persönliche Briefe u.Ġ. aufschlussreich. Neuerdings hat man auch Zugang zu sehr spontanen schriftsprachlichen Daten im Internet, und zwar in Foren von bilingualen Gruppen bzw. Sprachminderheiten, in Face-book, Blogs etc. (vgl. dazu Androutsopoulos 2013 und die Beiträge in Sebba/Mahootian/Jonsson 2012). Hier kann man sehr schön den Sprachgebrauch bestimmter Gruppen nachzeichnen. Dieses Sprachmaterial ist wesentlich informeller als andere schriftliche Quellen und enthält eine ganze Reihe spontaner Sprachmischungen. Die Daten sind zwar sehr leicht zugänglich und verwertbar, haben aber den großen Nachteil, dass man keinerlei Hintergrundinformationen oder soziolinguistische Informationen über die Schreiber erhält (vgl. dazu Nortier 2008:50). Diese Quelle bietet aber einen sehr guten Einblick in das Sprachverhalten innerhalb sozialer Netzwerke.
Sprachbiographien und Sprachenporträts
Eine Forschungsmethode, die neuerdings immer mehr in den Mittelpunkt rückt, ist die Erhebung von Sprachbiographien und Sprachenporträts. Sprachbiographien entstehen entweder in den bereits erwähnten biographischen Interviews, wobei diese allerdings „als Produktionen zu verstehen [sind], die in ein komplexes Netz von Bezügen eingebunden sind: zu den situativen Kontexten und Bedingungen ihrer Entstehung, zu den lebensgeschichtlichen und lebensweltlichen Erfahrungshorizonten der Erzählenden und zu historisch-gesellschaftlichen Formationen“ (Busch 2013:34).
Sprachbiographische Interviews werden als sog. ‚Tiefeninterviews‘ durchgeführt und sollen Einsichten in den Umgang mehrsprachiger Personen mit mehreren Sprachen nachvollziehen und modellieren. Damit kann exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich Sprachpraxis, Einstellungen und Kompetenzen im Laufe eines Lebens verändern können (vgl. Franceschini 2010). Sprachbiographien können auch als schriftliche Produkte erhoben werden, als Niederschriften von mehrsprachigen Sprechern, die über den Erwerb und Gebrauch ihrer verschiedenen Sprachen reflektieren. Allerdings unterliegen Sprachbiographien in gleichem Maße wie andere biographische Erzählungen den Zugzwängen des Erzählens und müssen als situative Hervorbringung betrachtet werden (Busch 2013:35).
Ein weiterer interessanter Zugang zur Sprachbiographie sind die sog. ‚Sprachenporträts‘. Hierbei handelt es sich um eine kreative Methode, die von Krumm und Mitarbeitern (z.B. Krumm/Jenkins 2001) entwickelt wurde und ursprünglich zum Ziel hatte, die Sprachbewusstheit in multilingualen Schulklassen zu fördern. Mittlerweile etabliert sich diese Methode als eigenständiger sprachbiographischer Zugang. Die Versuchspersonen werden aufgefordert, über ihre sprachlichen Ressourcen und Ausdrucksmöglichkeiten nachzudenken, die in ihrem Leben eine Rolle spielen. Danach sollen sie diese sprachlichen Ressourcen je nach ihrer Bedeutung an bestimmten Stellen in eine vorgegebene Körpersilhouette eintragen.
Abb. 2: Vorlage für ein Sprachenporträt (aus Busch 2013:38)
Dieser Visualisierungsprozess hat den Vorteil, dass das Zeichnen eine gewisse Verzögerung und Distanznahme gegenüber dem Erzählen eröffnet und verschiedene Möglichkeiten der Darstellung eingesetzt werden können. Dadurch können sprachliche Ressourcen eher in Relation zueinander und in ihrer Funktion dargestellt werden und nicht in der chronologischen Reihenfolge des Erwerbs – wie das beim Erzählen üblich ist (vgl. dazu Busch 2013:36ff.).
Linguistic landscaping
Ein relativ junger Forschungszweig der Mehrsprachigkeitsforschung ist das sog. linguistic landscaping. Dabei dokumentiert man (in der Regel durch Fotographien) alle Formen der öffentlich sichtbaren geschriebenen Sprache (sog. linguistic landscape). Meist fallen darunter offizielle Aufschriften (Orts-, Straßenschilder oder Aufschriften an öffentlichen Gebäuden), Werbeplakate oder auch Graffiti. Neuerdings wird dafür plädiert, nicht nur statische, sondern auch bewegliche Zeichen (wie Aufschriften oder Werbeanzeigen auf Bussen, T-Shirts etc.) mit einzubeziehen (Sebba 2010).
Die Studien dazu sind noch relativ heterogen, zum einen gibt es quantitative Arbeiten, welche die öffentliche Präsenz von zwei oder mehr Sprachen erforschen, zum anderen qualitative Studien, die nicht nur das reine Vorkommen von Sprachen betrachten, sondern im Besonderen auch die gewählte sprachliche Form und ihre Einbettung in eine multimodale Umgebung berücksichtigen. Außerdem wird auch der genaue Bezug der Aufschriften zu ihrem Kontext analysiert. Daher wird bei diesen Studien häufig die Bestandsaufnahme der Aufschriften mit weiteren soziolinguistischen Methoden wie teilnehmender Beobachtung und Sprecherbefragungen zur Wahrnehmung der Sprachenlandschaften kombiniert (vgl. dazu den Überblick bei Gorter 2013:198ff.).