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2.3 Psycholinguistische Methoden
ОглавлениеIm Gegensatz zu den soziolinguistischen Herangehensweisen beruhen psycholinguistische Untersuchungen fast ausschließlich auf empirischen Versuchen. Sie untersuchen Strategien des Sprachverhaltens (z.B. Code-Switching) und des Sprachlernens sowie die mentale Repräsentation von Mehrsprachigkeit und zeigen, wie Sprachen im Gehirn miteinander verknüpft sind. Daraus werden wiederum Hinweise gezogen, wie die wechselseitige Beeinflussung zweier Sprachen im Gehirn vor sich gehen kann.
Versprecheranalysen
Ein sehr beliebtes Mittel, um Prozesse, die sich in unserem Gehirn abspielen, aufzudecken, sind Versprecheranalysen. Diese Methode gehört zu den ältesten Methoden der Sprachproduktionsforschung. Trotz ihrer Mängel (wie subjektive Wahrnehmung, Mehrdeutigkeit, Vernachlässigung der Auftretenshäufigkeit und situativen Umstände) sind sie immer noch ein wichtiges Mittel, um Produktionsprozesse nachzuvollziehen, aber auch, um Grundlagen für experimentelle Tests zu haben (vgl. Poulisse 1999). Bei bilingualen Sprechern kann man nun eine andere Art von „Versprecher“ feststellen: Anstelle eines falschen Wortes wird einfach das Wort in der „falschen“ Sprache artikuliert. Dass es sich hier um ähnliche Phänomene wie Versprecher handelt, kann man daran erkennen, dass sich die Sprecher selbst verbessern (vgl. Riehl 2002):
1. Da hängen dann die drogati ’rum (−) äh die Drogierten (−) oder wie sagt man auf Deutsch (−) Drogenabhängige […] (Sprecherin deutschitalienisch)
In diesem Beispiel nimmt die Sprecherin wahr, dass sie ein Wort in der falschen Sprache gebraucht hat, also statt eines deutschen ein italienisches, und sie verbessert sich. Allerdings braucht sie sogar zwei Anläufe, indem sie zuerst eine an das System der deutschen Sprache völlig angepasste Form präsentiert (Drogierte). Dann erkennt die Sprecherin, dass es dieses Wort in der deutschen Sprache auch nicht gibt. Sie denkt weiter nach, um schließlich nach längerer Pause das richtige Wort zu produzieren (vgl. dazu auch Riehl 2014:29).
Beispiele wie diese lassen uns vermuten, dass die Sprecher über ein Überwachungssystem verfügen, das ihnen diese Abweichungen signalisiert. Andererseits lässt sich aber auch erkennen, dass die Sprachen eng miteinander verbunden sein müssen, da unbewusst Lexeme aus der anderen Sprache „hereinrutschen“ können (vgl. unten 3.2).
Protokolle lauten Denkens
Eine weitere Möglichkeit, Prozesse im Gehirn aufzudecken, sind Protokolle lauten Denkens. Diese werden vor allem bei schriftlicher Textproduktion angewandt. Probanden werden bei dem Verfassen eines schriftlichen Textes, z.B. der Übersetzung eines Textes von einer Sprache in die andere, aufgefordert, alle Gedanken, die ihnen während dieser Tätigkeit in den Kopf kommen, laut zu äußern. Diese Äußerungen werden dann auf Tonträger aufgenommen und analysiert. Ein Beispiel (aus Müller-Lancé 2006:290):
Eine Probandin, die Romanistik studiert, soll folgenden Text aus dem Katalanischen, einer romanischen, aber ihr unbekannten Sprache, übersetzen. Sie kann dabei ihre Kenntnisse aus anderen romanischen Sprachen zu Hilfe nehmen:
Una dona intenta enverinar el marit
Un home de 37 anys, veí de Badajoz, ha denunciat la seva dona, a qui acusa d’intentar enverinar-lo i d’abandonar el domicili conjugal. Pocs dies abans de deixar casa seva, la dona va intentar emmetzinar el marit posant-li un producte químic al menjar
[Textnahe Übersetzung: ‚Eine Ehefrau versucht, ihren Mann zu vergiften. Ein Mann von 37 Jahren aus Badajoz, hat seine Frau angezeigt, der er vorwirft zu versuchen, ihn zu vergiften und das eheliche Zuhause zu verlassen. Wenige Tage vor dem Auszug aus ihrem Haus versuchte die Frau, ihren Mann zu vergiften, indem sie ihm ein chemisches Produkt ins Essen mischte‘] (vgl. Müller-Lancé 2006:290)
Bei der Übersetzung dieses Textes wurde das in Abb. 3 dargestellte Protokoll aufgenommen. Aus diesem lässt sich nun ersehen, dass die Probandin ihr unbekannte Wörter aus anderen romanischen Sprachen ableitet und dass sie auch andere romanische Muster beim Übersetzen zu Hilfe nimmt. Man kann auch alle Pausen, Planungs- und Verbesserungsversuche nachvollziehen. Bei dieser Methode muss man allerdings berücksichtigen, dass die Probanden unter Umständen nur das verbalisieren, was sie für relevant halten. Das Ausmaß der durch die Aufgabe provozierten Artefakte ist daher nicht genau vorherbestimmbar. Die Laut-Denken-Protokolle können allerdings noch durch Fragebögen oder nachträgliche Interviews mit den Probanden ergänzt werden, in denen sie ihre jeweilige Entscheidung (warum sie an welcher Stelle was geschrieben haben) begründen.
Abb. 3: Laut-Denken-Protokoll (aus Müller-Lance 2006:295)
Kontrollierte Elizitation
Neben den gerade erwähnten Methoden, bei denen man die Produktion beobachtet und aus diesen Prozessen Auffälligkeiten herausfiltert, gibt es auch die Möglichkeit, bestimmte Besonderheiten bewusst zu elizitieren, d.h. sie den Probanden zu „entlocken“. Das kann dadurch geschehen, dass man den Probanden Abbildungen von Objekten zeigt und sie diese benennen sollen, oder dass man Buchstabenketten auf einem Computerbildschirm einblendet und die Probanden sollen entscheiden, ob dieses Wort in einer bestimmten Sprache existiert oder nicht (vgl. Kroll/Gerfen/Dussias 2008:110).
Elizitation von Code-Switching
Da bestimmte Konstruktionen in spontanen Kommunikationssituationen nur selten auftreten oder auch Sprachmischungen oft sehr schwierig in spontaner Kommunikation aufgenommen werden können, versucht man auch, diese experimentell zu elizitieren. In diesem Zusammenhang ist ein Experimentdesign besonders interessant, das von Peter Muysken entwickelt wurde, das sog. ‚Partyspiel‘. Bei diesem Experiment treten zwei Mannschaften gegeneinander an und müssen einsprachige und gemischtsprachige geschriebene Beispielsätze möglichst schnell ergänzen: Die Sätze bestehen aus einer Nominalphrase, einer Präpositionalphrase und einem Verb. Auf das Verb folgt ein Bild, das ein direktes Objekt darstellt, z. B:
2. a) Die Frau am Tisch twists [Abbildung von einem grünen Löffel]
b) The woman at the table verbiegt [Abbildung von einem grünen Löffel] (Bsp. adaptiert aus Nortier 2008:48)
In diesen Fällen wird nun untersucht, ob die Probanden in der Sprache des Verbs fortfahren (also in a) the green spoon antworten und in b) den grünen Löffel) oder ob sie den Satz in der Anfangssprache fortsetzen. Durch die Form eines Wettkampfs konzentrieren sich die Sprecher nicht auf die Sprache und man kann daher davon ausgehen, dass die dort auftretenden Beispiele von Code-Switching sehr spontan sind (vgl. Riehl 2014:52).
Priming-Tests
Eines der wichtigsten Verfahren der experimentellen Untersuchung von Sprachverarbeitung ist die sog. ‚Priming-Technik‘ (von engl. to prime ‚schärfen‘). Hier werden Begriffe abgefragt und dabei Zusatzaufgaben oder Störbegriffe eingeblendet. Die Reaktionszeit, die man benötigt, um den Begriff zu benennen, lässt Rückschlüsse darauf zu, ob und wie stark der Begriff durch die Störbegriffe bereits aktiviert war.
Ein Beispiel: Einer Versuchsperson wird die Abbildung eines Objektes, z.B. eines Fahrrads, gezeigt und sie erhält die Aufgabe, dieses Objekt zu benennen. Dieser Stimulus fungiert als Prime. Bei den meisten Durchgängen soll auch nur das Objekt genannt werden. Bei kritischen Durchgängen dagegen wird eine Lautsequenz, die ein Wort oder Pseudowort (also lediglich eine sinnlose Silbenfolge wie quuli) sein kann, eingespielt. Die Testperson wird nun aufgefordert, per Knopfdruck zu entscheiden, ob es sich bei dieser Lautfolge um ein tatsächlich existierendes Wort handelt. Für diese Entscheidung braucht die Testperson weniger Zeit, wenn das Wort bereits durch das Prime-Konzept aktiviert ist (vgl. Schwarz/Chur 2007:75f.). Z.B. wenn der Proband einen See sieht und er danach das Wort Wasser eingeblendet bekommt, kann er schneller entscheiden, dass dieses Wort ein Wort der deutschen Sprache ist, als wenn er zuvor ein Fahrrad gesehen hat.
Der Priming-Effekt wird dadurch erklärt, dass bei der Aktivierung einer Bedeutung auch die miteinander verbundenen Bedeutungen aktiviert werden. In diesem Fall ruft ein Konzept wie ‚See‘ auch Konzepte wie ‚Wasser‘, ‚Schiff‘ oder ‚Fische‘ auf. Diese für Einsprachige entwickelten Tests werden zur Erforschung der mentalen Vernetzung von mehreren Sprachen herangezogen, indem man das Testwort in der Zweitsprache angibt. Also z.B. statt in unserem Fall einen See zu zeigen, wird in einem bilingualen deutschenglischen Experiment das Wort lake eingeblendet.
Mit den Priming-Techniken konnte man beispielsweise nachweisen, dass mit dem Konzept verbundene Lexeme in der Zweitsprache den gleichen Beschleunigungseffekt hatten wie die entsprechenden Wörter in der Erstsprache. Besonders gilt dies für etymologisch verwandte Wörter in beiden Sprachen, sog. cognates (z.B. water – Wasser, sun – Sonne). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Sprachen im Gehirn eng miteinander vernetzt sind und dass, wenn die eine Sprache aktiv ist, die andere nicht völlig ausgeschaltet werden kann (zu den unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von Priming-Tests in der Mehrsprachigkeitsforschung vgl. McDonough/Trofimovich 2009).
Eye tracking
Beim sog. Eye tracking werden die Blickbewegungen, die Versuchspersonen machen, während sie einen Text lesen, oder die sie auf Bilder richten, wenn sie bestimmte Wörter hören, aufgezeichnet. Dabei erfasst ein sog. ‚Eyetracker‘, der aus einer Augenkamera und einer Blickfeldkamera besteht, alle Bewegungen der Augen. In Experimenten mit bilingualen Probanden werden diese vor einen Bildschirm gesetzt, auf dem verschiedene Objekte abgebildet sind. Die Probanden hören dann Wörter in verschiedenen Sprachen und müssen auf das Bild klicken, das das Wort benennt. Die Manipulation besteht nun darin, dass die Versuchspersonen einmal Wörter präsentiert bekommen, die in der gleichen Sprache ähnlich lauten (z.B. Hose – Hase) oder in der anderen Sprache (dt. Dach und engl. dove‚Taube‘). In verschiedenen Experimenten haben Marian u.a. festgestellt, dass die Probanden auch die Bilder fixieren, die ähnlich klingende Wörter in der anderen Sprache bezeichnen, d.h. bei dt. Dach fixiert die Versuchsperson auch die abgebildete Taube (engl. dove) (vgl. dazu Marian/Blumenfeld/Boukrina 2008). Auch durch diese Experimente lassen sich also die Vernetzungen zwischen den Sprachen belegen, die wir in Kap. 3 noch näher beleuchten werden. Darüber hinaus werden Eye tracking-Verfahren in Untersuchungen angewandt, die zeigen, wie mehrsprachige Sprecher Ereignisse unterschiedlich konzeptualisieren (vgl. etwa Flecken 2011 zu deutsch-niederländisch Mehrsprachigen).
Stroop-Tests
Die gerade gezeigten Methoden wie Priming und Eye tracking und andere psycholinguistische Tests zielen hauptsächlich auf Worterkennung, d.h. auf rezeptive Fähigkeiten. Um die Sprachproduktion zu testen, müssen andere Methoden herangezogen werden. Eine dieser Methoden, die in neueren Studien sehr extensiv genutzt wird, ist der sog. ‚Stroop-Test‘ (vgl. Kroll/Gerfen/Dussias 2008:113ff.). Dieses Testverfahren wurde zum ersten Mal von Stroop 1935 angewandt. Die klassische Form besteht darin, dass die Versuchspersonen die Farbe der Tinte benennen müssen, mit der bestimmte Farbwörter geschrieben sind. Dabei ist das Wort einmal mit der Farbe der Tinte identisch (z.B. das Wort rot wird mit roter Farbe geschrieben), ein anderes Mal nicht (z.B. das Wort blau wird mit roter Tinte geschrieben). Stroop stellte fest, dass die Farbe schneller benannt werden kann, wenn Farbe und Wort übereinstimmen, als wenn das Wort eine andere Farbe bezeichnet. Das bedeutet also, dass die Wahrnehmung der Schriftzeichen die Farbwahrnehmung beeinflusst. Auch diese Methode wurde erfolgreich zum Testen mentaler Repräsentation von Mehrsprachigkeit herangezogen: Z.B. das engl. Wort blue war mit roter Tinte geschrieben und man musste auf Deutsch die Farbe der Schrift benennen. Trotzdem führte dies zu den gleichen Verzögerungseffekten, wie wenn das Wort auf Deutsch geschrieben war.
In neueren Forschungen arbeitet man mit Modifikationen des Stroop-Tests, nämlich Bildbenennungen: Bei dieser Versuchsanordnung erscheint ein Bild auf dem Bildschirm, das der Proband so schnell wie möglich benennen muss, z.B. ein Berg. Dann werden auditiv oder visuell Störwörter in der anderen Sprache eingeblendet. Diese sind einmal semantisch verwandt wie valley, einmal nicht (z.B. candle). Man stellt nun fest, dass semantisch verwandte Wörter einen Verzögerungseffekt bewirken, auch wenn sie in der anderen Sprache geäußert oder geschrieben werden. Dies deutet nicht nur darauf hin, dass die Sprachen untereinander vernetzt sind, sondern auch darauf, dass der Zugriff auf das Lexikon zunächst sprachunabhängig ist (vgl. ebd.).
Mit den psycholinguistischen Methoden lässt sich die Vernetzung der Sprachen nachweisen und man kann damit Sprachkontaktphänomene wie nicht-funktionales Code-Switching oder Formen des semantischen Transfers erklären (vgl. dazu Kap. 6).