Читать книгу Mehrsprachigkeit - Claudia Maria Riehl - Страница 20
2.4 Neurophysiologische Methoden
ОглавлениеMit den modernen Techniken der Hirnstrommessungen und Computer-Tomographie wurden ebenfalls Methoden entwickelt, die für die Untersuchung von Sprachverarbeitungs- und -produktionsprozessen interessant sind, vor allem die neuen bildgebenden Verfahren wie die Magnetresonanz, Positronenemissionstomographie, aber auch andere Verfahren wie MEG, EEG etc. (vgl. Abutalebi/della Rosa 2008).
fMRI-Studien
Eine der am häufigsten angewandeten Methoden ist das sog. functional Magnetic Resonance Imaging (fMRI). Bei diesem Verfahren werden Probanden in einen Computer-Tomographen geschoben und müssen verschiedene Aufgaben lösen. Die Aufgaben umfassen einmal die gesamte Sprachproduktion, wie das Erzählen des Tagesablaufs in ihrer ersten, zweiten und dritten Sprache (vgl. Wattendorf et al. 2001) oder aber Aufgaben wie die Beurteilung der grammatikalischen oder semantischen Korrektheit von Sätzen (vgl. Wartenburger et al. 2003). Während die Versuchspersonen diese Aufgaben bewerkstelligen, misst die MRI-Maschine den Gehalt von sauerstoffhaltigem und nicht-sauerstoffhaltigem Hämoglobin im Blut. Das sauerstoffhaltige Hämoglobin ist vor allem da zu finden, wo Nervenzellen besonders viel Energie verbrauchen und so kann man rückschließen, welche Regionen im Gehirn bei einer bestimmten Aufgabe besonders aktiviert werden. Die jeweiligen Aktivierungszentren im Gehirn werden aufgezeichnet und miteinander verglichen. Dadurch kann man feststellen, wo genau im Gehirn Aktivitäten in L1, L2 oder auch L3 stattfinden und ob dieser Grad der Aktivierung mit Faktoren wie Erwerbsalter oder Sprachkompetenz korreliert (als Beispiel für einen fMRI-Scan s. Abb. 5).
Ereigniskorrelierte Potentiale
Viele Forschungen zur Mehrsprachigkeit werden mittels Hirnstrommessungen durchgeführt: Dabei werden mit Hilfe von Elektroden am Schädel elektrische Signale gemessen (je nach Untersuchung werden 32, 64 oder 128 Elektroden angebracht). Diese werden zeitlich mit einem Stimulus (z.B. der visuellen Präsentation eines Wortes) verknüpft und es werden dabei sog. ‚ereigniskorrelierte Potentiale‘, d.h. Gehirnströme, die mit diesem Stimulus in Zusammenhang gebracht werden, herausgefiltert (EKPs). Die EKP-Komponenten variieren in Anzahl, Polarität (positiver oder negativer Ausschlag), Latenz (d.h. Zeitspanne zwischen Stimulus und entsprechender Reaktion), der Stärke des Ausschlags (Amplitude) und auch der topographischen Verteilung im Gehirn. Die Potentiale werden in der Regel nach der Polarität und dem Zeitpunkt benannt, an dem die Amplitude am stärksten ist. Die wichtigsten sind dabei:
N400 – ein negativer Ausschlag der Gehirnströme nach 400 ms
P600 – ein positiver Ausschlag nach 600 ms
Ein weiteres wichtiges ereigniskorreliertes Potential ist das sog. ELAN (early left anterior negativity), welches in der Regel 200 ms nach dem Reiz gemessen wird.
In Studien mit Gehirnstrommessungen werden verschiedene Versuchsgruppen, Einsprachige und Früh- bzw. Spätmehrsprachige, miteinander verglichen. In den meisten Experimenten bekommen die Probanden Sätze vorgesetzt, die entweder Verletzungen syntaktischer Natur enthalten (wie im Beispiel Die Gans wurde im gefüttert) oder Verletzungen semantischer Natur zeigen (wie Der Ozean wurde gefüttert). Bei Verletzungen syntaktischer Natur zeigen einsprachige Probanden einen sog. ‚P600-Effekt‘, d.h. es kommt zu einem positiven Ausschlag 600 ms, nachdem der Satz gehört wurde. Im Falle von semantischen Verletzungen wie im Satz Der Ozean wurde gefüttert zeigen Einsprachige einen sog. ‚N400‘-Effekt, d.h. einen Negativausschlag nach 400 ms.
Abb. 4: Beispiel für EKPs (aus Abutalebi/della Rosa 2008:141)
Versuchsreihen mit Mehrsprachigen
In Versuchsreihen mit Mehrsprachigen, die die L2 erst nach dem sechsten Lebensjahr gelernt haben, ist der P600-Effekt im Falle von syntaktischen Verletzungen verzögert (d.h. der Ausschlag tritt später als 600 ms nach dem Hören des Satzes auf) oder aber die Amplitude ist stark verändert gegenüber der bei Einsprachigen. Der N400-Effekt bei semantischen Verletzungen ist dagegen bei mehrsprachigen Sprechern, die eine entsprechend hohe Kompetenz in der Sprache haben, identisch mit dem bei Einsprachigen – und das unabhängig vom Alter des Erwerbs (vgl. etwa Hahne/Friederici 2001). Aus solchen Studien kann man nun den Schluss ziehen, dass die semantische Verarbeitung robuster gegenüber dem Spracherwerbsalter zu sein scheint als die syntaktische. Eine Erklärung, warum dies so sein könnte, werden wir in Kap. 3.2.4 finden.
Die gerade beschriebenen Methoden des fMRI und EKP sind nun komplementär in ihrer Fähigkeit die Gehirnaktivitäten beim Produzieren oder Verstehen von Sprache zu messen. Während das fMRI die Regionen, die aktiviert werden, ganz genau bestimmen kann, kann es den Zeitpunkt der Aktivierung nur sehr vage eingrenzen, da die Veränderungen im Blutstrom sehr langsam vor sich gehen. Im Gegensatz dazu können EKPs die Aktivierungen auf Millisekunden genau bestimmen, da sie die elektrischen Impulse der Neuronen messen. Auf der anderen Seite lässt sich aber sehr schwer festlegen, an welcher Stelle die Aktivierungen stattfinden, da diese ja auf der Schädeloberfläche gemessen werden. Daher werden in den jüngsten neurolinguistischen Forschungen beide Methoden häufig miteinander kombiniert (vgl. auch Li 2013a).