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Kapitel 4

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An diesem Samstag läutete Hauptkommissar Bremers Handy eine Stunde später als in der Vorwoche. Schlaftrunken tastete er nach dem Telefon.

»Wer wagt es?«

»Moin, Hannes«, vernahm er die Stimme seiner Kollegin, die bereits morgens um sieben frisch und munter klang. »Wir haben eine Leiche.«

Sofort war er hellwach.

»Wo?«

»In der Aegidienkirche.«

»Weiß Horst Bescheid – und die Spusi?«

»Sind alle unterwegs. Die Staatsanwältin habe ich eben informiert.«

Mit einer Hand schlug Bremer die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett.

»Okay, ich komme.«

Barfuß lief er ins Bad. Nach kurzer Morgentoilette zog er sich an und verließ ohne Frühstück das Haus. In seinem Beruf kam das häufiger vor – genau wie die Tatsache, dass er selten pünktlich Feierabend machen konnte. An seinen unregelmäßigen Dienstzeiten scheiterten regelmäßig seine Beziehungen.

Auf dem Weg von Döhren in die City kramte er in seinem Gedächtnis nach Informationen über den Fundort der Leiche. Er war kein waschechter Hannoveraner, kam ursprünglich aus Celle. Erst nach der Ausbildung hatte es ihn in die Leinemetropole verschlagen, aber das war immerhin knapp 30 Jahre her. Er wusste dennoch nicht viel mehr, als dass die alte Kirche in der Innenstadt stand und kein Dach hatte.

Er bog vom Friedrichswall nach rechts in die Osterstraße ein, worauf sich die Ruine in sein Blickfeld schob. Uniformierte Beamte waren damit beschäftigt, das Gelände um die Kirche herum abzusperren.

Pia stand an der Straßenecke, sah seinen Wagen und gab Hannes Zeichen, links über die Breite Straße auf den Aegidienkirchhof zu fahren. Dort standen mehrere Autos der Spurensicherung. Als der Hauptkommissar aus dem Fahrzeug stieg, kam seine Kollegin von der anderen Seite herbei. Sie öffnete die Beifahrertür ihres Dienstwagens und holte einen roten Hannoccino-Becher heraus.

»Moin«, begrüßte sie ihren Chef und reichte ihm den Kaffee. Sie wusste, dass Hannes erst einmal eine Ladung Koffein brauchte.

»Danke.« Er schaute sich kurz um. »Wo ist der Eingang?«

Mit dem Kopf deutete sie nach rechts und führte ihn an die zur Breite Straße gelegene Seite der Kirche. Die Gittertür der ersten Spitzbogenpforte war verschlossen. Bei der zweiten war das Metalltor weit geöffnet. Hannes trat in den dachlosen Kirchenraum, blieb stehen und ließ die Szenerie auf sich wirken. Das Innere der Ruine mit seinen charakteristischen dreieckigen Seitengiebeln wurde durch Scheinwerfer bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet. Die in Schutzanzüge gekleideten Leute von der Kriminaltechnik sicherten Spuren.

Vor dem Chor war eine große Bodenplatte mittig zum Altar eingefügt. ›Unseren Toten‹, war darin in großen Buchstaben eingemeißelt. Auf dem steinernen Altar befand sich die männliche Leiche. Der Tote lag lang ausgestreckt auf dem Rücken, die Hände wie zum Gebet gefaltet.

Der beleibte Rechtsmediziner Horst Fleischmann begann gerade mit der Leichenschau. Hannes wusste, dass der Freund dabei nicht gestört werden wollte, und blickte sich weiter um. Er sah die weißen gezackten Linien auf den Steinplatten des Kirchenbodens und runzelte die Stirn.

»Das ist die Schattenlinie der Südseite der Ruine. Sie soll an Leben und Tod an diesem besonderen Ort erinnern.«

»Wie passend«, brummte Hannes. Er wunderte sich über die prompte Erklärung, da Pia aus Lübeck stammte. »Woher weißt du das?«

»Als ich damals nach Hannover versetzt wurde, habe ich eine Stadtführung mitgemacht. War interessant. Außerdem habe ich viel über die Stadt gelesen, in der ich lebe. In unserem Beruf kann es nie schaden, gut informiert zu sein.« Schelmisch blinzelte sie ihm zu. »Vorsichtshalber habe ich die Kirche aber vorhin gegoogelt.«

Eine Führung durch Hannover mitzumachen, hatte er sich oft vorgenommen, aber ihm fehlte die Zeit. Seine Augen schweiften zum Turm, der mit herbstlich rot gefärbtem wildem Wein bewachsen war. Ein schöner Anblick, zu dem der Leichenfund nicht so recht passte.

»Wer hat den Toten entdeckt?«

»Männer von der Straßenreinigung. Die werfen morgens immer einen Blick in die Ruine, weil es vorkommt, dass hier Trinker ihre Bierdosen entsorgen. Martin befragt sie gerade draußen auf der anderen Straßenseite.«

Hannes setzte sich in Bewegung, um die links neben dem Altarraum angebrachte Wandtafel näher zu betrachten. Er las, wie viele Todesopfer Krieg und Katastrophen unter den Einwohnern der Stadt gefordert hatten. Über Mordopfer aus jüngerer Zeit stand nichts auf der Gedenktafel.

»Hier hat während meiner ganzen Laufbahn keine Leiche gelegen«, sprach ihn Benno Winkler, der Leiter der Kriminaltechnik, an. »Der Fundort ist allerdings nicht der Tatort.«

Der Hauptkommissar wandte sich um und zählte insgesamt fünf Eingänge mit Gittertüren: an jeder Längsseite zwei und einen direkt in der Mitte des Kirchturms.

»Kann man hier rund um die Uhr überall rein?«

»Nur durch dieses«, Benno wies nach rechts, »und das Tor gegenüber. Die anderen sind permanent verschlossen und durch Vorhängeschlösser gesichert.«

»Also kann der Täter das Opfer nur über den Eingang Breite Straße oder über die Osterstraße hier reingebracht haben. Dabei hat er in Kauf genommen, dass man ihn beobachtet. Warum hat er das riskiert?«

»Nachts ist hier nicht viel Verkehr.«

»Aber von Freitag auf Samstag sind mehr Nachtschwärmer unterwegs als unter der Woche.«

Er ließ den Kollegen stehen, als der Rechtsmediziner mit der ersten Leichenschau fertig war. Mit wenigen Schritten war er bei ihm, wartete jedoch, bis Pia hinzukam.

»Schieß los, Horst.«

»Männliche Leiche, Todesursache unklar.«

»Ist das alles?«

»Er war 72 Jahre alt, Pastor im Ruhestand und …« Er unterbrach sich, als erstaunte Blicke ihn trafen. »Verblüffe ich euch? Ich habe sogar einen Namen: Berthold Rugard. Diesmal hat der Mörder seinem Opfer die Brieftasche gelassen. Wahrscheinlich hat ihm die Identifizierung beim letzten Mal zu lange gedauert.«

»Wenn du davon ausgehst, dass es der gleiche Täter wie bei der Leiche aus dem Georgengarten war, hast du noch was für uns.« Fordernd streckte Pia die Hand aus. »Gib her.«

Ein Klarsichtbeutel wechselte den Besitzer. Die Kommissarin hielt das Tütchen etwas von sich, damit Hannes das kleine, zerbrochene Holzkreuz ebenfalls sehen konnte.

»Der Tote hatte die Teile in den gefalteten Händen«, kommentierte Horst und reichte einen zweiten Beweismittelbeutel weiter. »Die Sanduhr steckte in der Jackentasche. Ein Handy hatte er nicht bei sich. – Alles wie gehabt. Vermutlich werde ich bei der Obduktion auf ähnliche Verletzungen wie bei Flachsbarth stoßen.«

»Verdammt, ich habe es geahnt!«, stieß Hannes hervor. »Wir haben es mit einem Serienkiller zu tun.« Sein Blick suchte den des schwergewichtigen Rechtsmediziners. »Schick uns deinen Bericht so schnell wie möglich.« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich an Pia. »Koordinierst du die Befragung der Anwohner? Ich fahre zur Staatsanwaltschaft. Wir brauchen dringend mehr Leute.«

Da die Staatsanwältin unterrichtet war, würde er sie in ihrem Büro antreffen.

Die Strecke von der Aegidienkirche über den Schiffgraben bis zum Amtssitz im Volgersweg legte er in sieben Minuten zurück. Um diese frühe Stunde herrschte ein geringes Verkehrsaufkommen.

Ohne den großen roten Skulpturen vor dem Haupteingang einen Blick zu schenken, eilte der Hauptkommissar daran vorbei und betrat das Gebäude. Im Lift fuhr er in die 5. Etage. Die Tür zum Arbeitszimmer von Frau Dr. Pauli stand weit offen.

»Kommen Sie rein, Herr Bremer«, sagte sie, als er an der Schwelle zögerte, und winkte ihn heran. »Setzen Sie sich hin – und mich in Kenntnis.«

Er kannte ihre Vorliebe für Wortspielereien, kommentierte sie aber nicht.

»Es ist, wie ich befürchtet habe«, sagte er und nahm auf dem bequemen Lederstuhl vor ihrem Schreibtisch Platz. »Wir können den Toten in der Aegidienkirche dem gleichen Täter zuordnen wie die Leiche aus dem Georgengarten.«

»Woraus schließen Sie das?«

Er berichtete von der Auffindsituation und den bei dem Toten sichergestellten Gegenständen.

»Diesmal ein Kreuz – und eine Sanduhr«, wiederholte sie nachdenklich. »Warum ein kaputtes Kreuz? Zufall oder Absicht?«

»Das könnte bedeuten, dass der Mörder nicht gläubig ist. Oder der Pastor war in seinen Augen kein würdiger Mann Gottes. Vielleicht ist es unabsichtlich zerbrochen und symbolisiert einfach nur den Beruf des Toten.«

»Haben Sie eine Idee, was uns der Killer mit der Sanduhr sagen will?«

Ratlos zuckte Hannes die Schultern.

»Sie könnte was mit Zeit zu tun haben. Vielleicht das letzte Stündlein, das geschlagen hat.«

»Bringt uns das irgendwie weiter?«

»Erst mal nicht. Wir müssen das Obduktionsergebnis abwarten – und den Bericht der KTU. Möglicherweise ergibt sich daraus ein Hinweis auf den Tatort. Der Mann wurde definitiv nicht in der Ruine umgebracht.«

Sekundenlang dachte die Staatsanwältin nach.

»Wie viele Leute benötigen Sie zur Unterstützung?«

»So viele ich kriegen kann.«

»Ich kümmere mich darum.« Mit ernster Miene musterte sie den Hauptkommissar. »Wir brauchen schnelle Ergebnisse – und einen erstklassigen Profiler.« Ihr Blick wurde eindringlich. »Dafür kommt nur einer infrage.«

Sie musste nicht ins Detail gehen.

»Das gefällt mir nicht.«

»Es gibt keinen besseren.«

»Ich weiß.«

Uhlenbrock

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