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Kapitel 2

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Einmal im Monat traf sich eine Handvoll Kollegen aus Ermittlerkreisen am Donnerstagabend in der Altstadtkneipe »Alibi« zum Stammtisch. Der umfangreiche Rechtsmediziner kam etwas früher als die anderen und bestellte eine Kanzlerplatte. Während er sich über die Riesencurrywurst mit Pommes hermachte, setzte sich Charlotte Stern zu ihm. Bis zu ihrer Pensionierung hatte sie das Kriminalarchiv geleitet und zählte seit Jahren zu diesem Freundeskreis.

»Guten Appetit«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Hoffentlich bekommen dir die vielen Vitamine.«

»Passt schon«, erwiderte er grinsend, wobei er sie wohlgefällig musterte. Sie war zwei Jahre älter als er, wirkte aber jünger. »Ich hatte den ganzen Tag keine Zeit, was Vernünftiges zu essen. Im Gegensatz zu dir habe ich niemanden, der mich mittags bekocht. Vielleicht sollte ich auch in eine WG ziehen. Habt ihr zufällig ein Zimmer frei?«

Amüsiert schüttelte sie den Kopf.

»Leider nicht. Außerdem ist das eine Ruheständler-WG. Du müsstest deinen Job aufgeben, aber ohne deine Schnippelei hältst du es sowieso nicht aus.« Flink stibitzte sie ein Kartoffelstäbchen von seinem Teller. »Es sei denn, wir würden dich zu täglichem Küchendienst verdonnern.«

»Horst ist für uns unentbehrlich«, sagte Hannes, der sich mit den Kommissaren Pia Wagner und Martin Drews zu ihnen setzte. »n’Abend zusammen.«

Per Handzeichen bestellte er eine Runde Bier.

Als die Getränke serviert wurden, war der Rechtsmediziner mit seiner Mahlzeit fertig. Zufrieden lehnte er sich zurück, faltete die Hände über seinem stattlichen Bauch und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen.

»Alles klar bei dir?« Aufmerksam musterte Charlotte ihn. »Anscheinend habt ihr in der Rechtsmedizin zurzeit besonders viel zu tun.«

»Aber nur, weil die Verbrecher immer verrückter werden.«

Er tauschte einen Blick mit Hannes, der zustimmend nickte. Der Hauptkommissar wusste, dass Charlotte mit den Informationen nicht hausieren gehen würde. Im Gegenteil: Sie würde darüber nachdenken. So manches Mal hatte sie zur Lösung eines Falles beigetragen.

»Oft genügt ein Loch in der Brust oder das Messer im Rücken, um die Todesursache zu erkennen«, fuhr Horst fort. »Plötzlich kommt so ein Killer daher, der sich für besonders schlau hält und so was wie eine Schnitzeljagd durch die Leiche veranstaltet. Oder er hat einfach nur alles, was ihm zur Verfügung stand, ausprobiert. Jedenfalls hat er seinem Opfer Drogen verabreicht, es gezwungen, mit einem langsam wirkenden Gift gewürzte Pizza zu essen, und ihm säurehaltige Getränke eingeflößt. Also muss einer wie ich rausfinden, was in welcher Reihenfolge verabreicht wurde, wie die einzelnen Substanzen für sich und in Kombination mit den anderen wirken. Erst das erlaubt Rückschlüsse auf die genaue Todesursache. Hinzu kommen zahlreiche Frakturen am ganzen Körper.«

»Da fragt man sich, ob der Täter nur auf Nummer sicher gehen wollte oder ob er sein Opfer mit Genuss gequält hat.« Charlotte schaute einen nach dem anderen an. »Sprechen wir über den Toten aus dem Georgengarten? Seit er gefunden wurde, stand gar nichts mehr über ihn in der Zeitung.«

»Morgen erscheint ein Bericht in der Presse«, warf Hannes ein. »Wir haben den Mann erst heute identifiziert.«

»Immerhin. Ich erinnere mich an die Leiche, die Weihnachten 2016 im Georgengarten entdeckt wurde, im Teich beim Leibniztempel. Es hat mehr als zwei Jahre gedauert, bis der Tote identifiziert werden konnte. Im Gegensatz dazu ging das bei euch erstaunlich schnell.« Sie sah, dass Pia eine Grimasse schnitt, und konzentrierte sich auf sie. »Warum habt ihr kein Foto von ihm veröffentlicht, damit ihn schnell jemand erkennt?«

»Das Gesicht war ziemlich zerschlagen«, sagte die Kommissarin. »Dadurch war eine fotografische Identifizierung nicht möglich. Der Tote sah wie ein Monster aus. Das hätten wir der Öffentlichkeit nicht zumuten können. Zumal es nichts gebracht hätte.«

»Wir haben ihn über die Vermisstenmeldungen identifiziert«, fügte ihr jüngerer Kollege Martin Drews hinzu. »Enak Flachsbarth, 69 Jahre alt, pensionierter Psychologe. Vielleicht kannte dein Professor ihn.«

»Ich werde Philipp darauf ansprechen.« Charlottes Interesse war geweckt. »Habt ihr einen Hinweis auf ein Motiv? Oder einen Verdacht, wer den armen Mann ins Jenseits befördert haben könnte?«

»Weder – noch.« Mit ernster Miene schüttelte Hannes den Kopf, bevor er vielsagend lächelte. »Hast du Blut geleckt, Charly? Du kannst es anscheinend immer noch nicht lassen.«

»Ich halte mich da raus«, erwiderte sie zur Überraschung aller. »Meine Abenteuerlust ist erst mal gestillt.« Schelmisch blinzelte sie ihm zu. »Es sei denn, ihr kommt ohne meine brillante Kombinationsgabe nicht aus. Dann lasse ich mich vielleicht überreden, euch zu unterstützen.«

»Never.« Er wollte verhindern, dass Charlotte womöglich erneut in Gefahr geriet. Deshalb erfuhr niemand etwas von dem gefundenen Auge oder der kleinen Sanduhr, die sie in der Jackentasche des Toten entdeckt hatten. »Nur über meine Leiche.«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, neckte sie ihn. »Zur Not finde ich gleich mit raus, wer dich auf dem Gewissen hat.«

»Du solltest deinen Ruhestand genießen.«

»Das tue ich.«

»Ich habe eher den Eindruck, dass du in eurer Urnen-WG unterfordert bist.«

»Bin ich nicht, aber meine grauen Zellen wollen hin und wieder mit kniffligen Aufgaben beschäftigt werden.«

»Kauf dir ein Rätselheft für Fortgeschrittene«, schlug Horst vor, der viel für sie empfand. »Ich habe jedenfalls keine Lust auf schlaflose Nächte, weil du schon wieder ermittelst.«

Sie tätschelte lächelnd seinen Arm.

»Schau’n wir mal …«

Im weiteren Verlauf des Abends sprachen sie nicht mehr über den Leichenfund.

Charlotte wurde über ihr Leben in der WG ausgefragt. Sie stellte ihren Alltag mit komischen Begebenheiten dar, sodass viel gelacht wurde. Später berichtete Martin von seiner Beziehungskrise und erhoffte sich Ratschläge. Horst Fleischmann gab Anekdoten von der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Hamburg zum Besten, die er kürzlich besucht hatte. So wurde es ein unterhaltsamer Abend. Besonders den Kommissaren tat die Ablenkung von den laufenden Ermittlungen gut. Sie würden sich am nächsten Morgen erneut damit beschäftigen müssen, dem Verbrecher auf die Spur zu kommen.

Uhlenbrock

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