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Kapitel 1

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Mit Blaulicht und Martinshorn raste Hauptkommissar Bremer in Hannover über die Kreuzung am Königswor­ther Platz. Er hielt sich links Richtung Westschnellweg, um gleich darauf nach rechts in die Jägerstraße abzubiegen, der er mit hoher Geschwindigkeit bis zum Wilhelm-Busch-Museum folgte. Normalerweise konnte man von dort aus nicht in den Georgengarten fahren, aber an diesem Morgen war die Sperre aufgehoben, sodass er mit dem Wagen auf dem Spazierweg bis an die rot-weißen Bänder der Polizeiabsperrung gelangte. Beim Aussteigen fragte er sich, warum man ihn so oft an seinem freien Wochenende frühmorgens aus dem Bett holte. Er war kein junger Spund mehr. Mit Mitte fünfzig brauchte er nach einer anstrengenden Woche ein bisschen Zeit und Ruhe, um die Energietanks aufzuladen.

Ein Kollege von der Schutzpolizei hob das gestreifte Trassierband an, um ihn durchzulassen. Hannes Bremer nickte ihm mit einem gemurmelten Gruß zu und verschaffte sich einen ersten Überblick. Buntgefärbtes Laub an alten, hohen Bäumen, ein Teich, in dem sich eine gebogene steinerne Brücke spiegelte.

Der Tote saß mit ausgestreckten Beinen auf einer mit farbenfrohem Graffiti besprühten Bank. Ein schwarzer Hut beschattete vollständig das Gesicht. Es schien, als hätte der Mann diesen Platz gewählt, um ungehindert zum Leibniztempel hinüberzuschauen, der nun im Licht der weiträumig aufgestellten Scheinwerfer erstrahlte.

Der korpulente Rechtsmediziner Horst Fleischmann war, über den Toten gebeugt, mit der ersten Leichenschau beschäftigt.

Kriminaltechniker sicherten in großem Umkreis Spuren. Einige suchten die nähere Umgebung der Augustenbrücke ab, andere schauten sich drüben auf dem kleinen Hügel zwischen den zwölf ionischen Säulen des Tempels um. Alle trugen weiße Overalls und einen Mundschutz. Die ungewohnte Betriebsamkeit schien die Enten und Teichhühner auf dem Wasser nicht zu stören. Unbeirrt zogen sie ihre Bahnen. Nur die Möwen flatterten aufgescheucht über der Szenerie.

Hannes sah seine jüngere Kollegin auf sich zukommen. Mit jedem ihrer Schritte wippte der Pferdeschwanz im Takt, zu dem sie ihr langes blondes Haar gebunden hatte.

»Moin«, grüßte sie knapp und reichte ihm einen Becher.

Skeptisch betrachtete er das rote Coffee-to-go-Gefäß, das mit einer schwarzen Hannover-Skyline bedruckt war.

»Hannoccino«, erklärte Pia Wagner. »Mehrwegpfandbecher. Die werden wir ab sofort immer benutzen.«

»Warum?«

Sie deutete auf den überquellenden Papierkorb neben einer der Bänke.

»Der Umwelt zuliebe. Wir produzieren viel zu viel Müll.«

Darauf hätte er auch selbst kommen können. Lustlos nippte er am Kaffee. Das Koffein weckte nur langsam seine Lebensgeister.

»Wo steckt eigentlich Martin?«

Vage zuckte sie die Schultern. Sie hatte den Teamkollegen nicht erreicht. Wahrscheinlich war sein Handy stummgeschaltet, weil er an diesem Wochenende seine Beziehung retten wollte.

»Ist er nicht mit seiner Freundin an die Ostsee gefahren?«

»Kann sein.«

»Soll ich ihm eine Nachricht schicken?«

»Damit warten wir. Sonst bin ich schuld, wenn sie ihm den Laufpass gibt.« Hannes wusste aus Erfahrung, wie begeistert Frauen darauf reagieren konnten, wenn man zu allen möglichen Tages- oder Nachtzeiten zurückgepfiffen wurde. Er drehte sich zum Chef der Kriminaltechnik herum. »Wissen wir, wer der Tote ist?«

»Er hatte keine Papiere bei sich – auch kein Handy.«

»Wer hat ihn gefunden?«

Benno Winkler streifte seine Kapuze ab und deutete zur Absperrung.

»Da drüben, die beiden Jogger. Die sind hier jeden Samstagmorgen unterwegs.«

Als der Rechtsmediziner nun seinen Alukoffer schloss und den Mundschutz entfernte, gingen Pia und Hannes zu ihm hinüber.

»Moin, Horst. Was haben wir?«

»Männliche Leiche … zwischen 65 und 70 …« Der Schwergewichtige schnaufte wie ein Marathonläufer auf der Zielgeraden. »Ziemlich übel zugerichtet.«

»Todesursache?«

»Keine Ahnung.«

»So genau wollte ich es gar nicht wissen.«

»Keine Einschusslöcher, keine Stichwunden, keine Würgemale. Wären da nicht die Gesichtsverletzungen, würde ich sagen, der Mann ist friedlich auf der Bank entschlafen.« Er zog einen kleinen Zellophanbeutel hervor, den er dem Kommissar übergab. »Das hatte er in seiner rechten Hand.«

Stirnrunzelnd betrachtete Hannes das Fundstück von allen Seiten.

»Das ist …«

»Ein Auge.«

»Wurde es ihm entfernt?«

»Es ist künstlich. Seine eigenen sind da, wo sie hingehören.«

»Och nö.« Hannes wusste aus Erfahrung, worauf es hinauslaufen konnte, wenn ein Täter einen symbolartigen Gegenstand bei der Leiche zurückließ: Möglicherweise bedeutete das den Beginn einer Serie. Die Presse würde dem Mörder einen prägnanten Namen verpassen, Trittbrettfahrer würden die Ermittlungen behindern.

»Ich weiß, was du befürchtest«, sagte Pia und nahm den Beutel von ihm entgegen. »Kann sein, muss aber nicht.«

Er brummte etwas Unverständliches, bevor er sich an den Rechtsmediziner wandte, der mit einem Taschentuch über seine schweißnasse Glatze wischte.

»Kannst du was zum Todeszeitpunkt sagen?«

»Schätzungsweise zwischen 21 Uhr und Mitternacht. Vielleicht früher. Ich muss mich erst nach der Außentemperatur im möglichen Tatzeitraum erkundigen. Sowie ich mehr weiß, melde ich mich.«

»Okay. Danke, Horst.«

Unterdessen versammelten sich immer mehr Neugierige hinter dem Absperrband. Uniformierte Beamte hatten alle Hände voll damit zu tun, die Leute hinter der Barriere in Schach zu halten. Inmitten der Menge stand ein unscheinbarer Beobachter. Hinter der Fassade einer teilnahmslosen Miene verfolgte er das Geschehen mit Argusaugen.

Uhlenbrock

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