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Kapitel eins

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Sorgfältig legte ich die Roggentoastscheiben im Brotkorb zurecht, stellte ein weich gekochtes Ei neben Pauls Teller und schenkte den frisch gepressten Grapefruitsaft ein.

»Kaffee dazu?«, fragte ich, bevor ich mich ihm gegenüber an den Tisch setzte.

»Nein«, nuschelte Paul hinter seiner Zeitung hervor.

Ich setzte mich.

»Ähm, doch«, korrigierte er sich, als ich gerade mein Brötchen aufschneiden wollte.

Leise schob ich den Stuhl zurück und ging zur Kaffeemaschine. »Heute ist Flohmarkt in der Altstadt«, merkte ich an, während ich das Pulver in den Filter löffelte.

»Ach wirklich?« Paul ließ einen genervten Seufzer hören, ohne von seiner Zeitung aufzusehen.

»Ich habe gedacht, vielleicht könnten wir ja zusammen hingehen.« Ein weiterer Versuch ihn dazu zu bewegen, sich wieder mal mit seiner Frau in der Öffentlichkeit zu zeigen. Seit Wochen schlug er sämtliche Vorschläge für gemeinsame Unternehmungen aus.

»Du weißt, dass ich keine Schwäche für den alten Kram von Fremden habe.«

»Wir müssen ja nichts kaufen«, schlug ich vor, obwohl ich seine Meinung in diesem Punkt nicht teilte. In der Vergangenheit hatte ich schon so manchen Schatz auf einem Flohmarkt entdeckt, darunter eine Erstausgabe von Moby Dick und eine Spieluhr mit einer niedlichen Balletttänzerin aus Porzellan.

»Mich zieht es dort trotzdem nicht hin«, grummelte Paul.

»Wir könnten ja auch etwas anderes machen. Ich habe dich die ganze Woche über kaum gesehen und heute ist Sonntag. Findest du nicht auch, dass wir zu wenig Zeit miteinander verbringen?«

Er blickte mich über den Rand seiner Zeitung hinweg an und schluckte hörbar. »Genau das ist das Problem. Elisabeth, du solltest dich setzen.«

Seine Stimme klang ungewohnt ernst, also tat ich, was er sagte, und nahm ihm gegenüber Platz.

»Ich möchte mich verändern.«

»Denkst du dabei an eine berufliche Veränderung?« Ich unterdrückte ein verfrühtes Lächeln. Sollte er sich etwa endlich dazu durchgerungen haben, den Plan einer eigenen Kanzlei anzugehen? Bis vor wenigen Jahren sprach er von nichts anderem und ich hatte ihn immer in diesem Wunsch bestärkt.

Das Rascheln der Zeitung übertönte mein freudiges Glucksen.

»Ich habe nachgedacht«, begann Paul und legte die Zeitung neben seinen Teller.

Erwartungsvoll horchte ich auf. Bereit alles zu tun, um ihn auf seinem Weg in die Selbstständigkeit zu unterstützen. Unserem Weg, verbesserte ich meine Gedanken.

Paul räusperte sich. »Die Art Veränderung, die ich meine, ist keine berufliche.«

»Raus mit der Sprache«, forderte ich. »So schlimm kann es schon nicht sein.«

Ich hatte ja keine Ahnung.

»Ich hab da was für dich.« Paul stand auf und ging in sein Arbeitszimmer. Kurze Zeit später kehrte er zurück, mit einer Akte in der Hand.

Gedanklich ging ich die Möglichkeiten durch. Vielleicht will er den Porsche gegen ein neues Modell austauschen oder es ist die Finca auf Mallorca – die ist ja schon lange in der Planung. Sicher ist es die Finca. Das Bild einer mediterranen Villa in unmittelbarer Nähe zum türkisblauen Meer schob sich vor mein inneres Auge und ich seufzte schwelgend.

Mit ernstem Gesichtsausdruck reichte mir Paul die Akte.

Gespannt nahm ich sie an mich. »Was das wohl sein mag.«

»Ich habe es mir gründlich überlegt …« Paul faltete die Hände vor sich.

Neugierig schlug ich das Schriftstück auf und erstarrte augenblicklich.

»Und ich denke, dass es für uns beide das Beste ist …«

Kein Porsche, keine Baupläne für die Finca. Fassungslos hob ich den Kopf vom Papier und schaute meinen Ehemann an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Elisabeth!« Er seufzte übertrieben. »Du bist eine tolle Frau, aber du lässt mir einfach keine Freiheiten und ich kann, nein, ich will so nicht mehr leben.«

»Das hier sind Scheidungspapiere!«, brachte ich mühsam hervor. Ich blätterte eine Seite weiter. »Hier ist alles aufgeführt. Unser gesamter gemeinsamer Besitz.« Wieder blickte ich auf. Eine vollzählige Liste unserer Güter, nichts fehlte, genau so, wie ich es von Paul, dem Anwalt, gewohnt war. Aber was hatte dieser kaltherzige Jurist mit meinem Mann zu tun? Ich erkannte ihn nicht wieder.

»Ich war mit der Verteilung überaus großzügig«, räumte Paul ein. »Sieh hier«, er kam an meine Seite, fuhr kurz mit der Zungenspitze über seinen Daumen und blätterte durch die Dokumente, »du bekommst das Haus.« Er sah mich an, als erwartete er so etwas wie: »Oh ja, dann …« von mir. Als ob ich seine Entscheidung dadurch gelassener hinnehmen würde. Ich war sprachlos, unfähig ihm auch nur irgendetwas zu erwidern.

»Die Autos nehme ich. Schließlich laufen die ja auf die Firma.«

»Was soll das heißen, du nimmst die Autos?« Ich fühlte mich wie überfahren.

»Na, dafür wirst du doch Verständnis haben. Außerdem … du fährst doch sowieso lieber mit dem Fahrrad.«

Verständnis? Verlangte er tatsächlich von mir, dass ich ihm Verständnis entgegenbrachte? »Und wie soll ich ohne Auto einkaufen? Oder irgendwohin kommen, außerhalb der Vorstadt?«

»Du wirst schon eine Möglichkeit finden«, antwortete Paul ungerührt. »Ehrlich gesagt, ist mir das vollkommen gleichgültig.«

Ich kam mir vor, als wäre ich im falschen Film. Mir saß der Schrecken so tief, dass die Papiere einfach aus meinen Händen glitten. Verknautscht landete die Akte mit der Schriftseite nach unten auf dem Parkett. Ruckartig stand ich auf, fächerte mir mit Pauls Zeitung Luft zu und ging einige Schritte durch die Küche.

»Den Hund behältst du natürlich auch. Er würde eh nicht freiwillig mit mir gehen.«

Scheinbar hatte er alles genau durchdacht. Mein mitleidiger Blick fiel auf unseren Mops-Rüden, der alle Viere von sich gestreckt, rücklings in seinem Körbchen schlummerte. Barnabas hatte Paul noch nie gemocht. Für ihn wäre er also kein großer Verlust. Aber was würde aus mir werden? Die Rolle der verlassenen Ehefrau würde mir nicht stehen. Darauf war ich nicht vorbereitet. Das war so nicht geplant! Ich hatte geglaubt, dass Paul und ich für immer zusammenbleiben würden, hatte mir bereits einen Baum in einem Friedwald angesehen, unter dem wir eines Tages gemeinsam beerdigt werden sollten. Und jetzt? Wie konnte er mir das nur antun? Ich kämpfte mit den Tränen.

»Seit wann weißt du es schon?« Ich sah auf die Akte zu meinen Füßen und funkelte sie an, als wäre sie das Werk des Teufels persönlich. Darin steckte keine Arbeit, die man mal eben so vor dem Frühstück erledigte. Ich schätzte grob: »Seit Wochen? Monaten?« Ich brüllte es ihm förmlich entgegen, sodass er zusammenzuckte. Sich räuspernd bückte er sich nach den Dokumenten und sah mich anschließend reumütig an, aber sein Blick ging einfach durch mich hindurch. Er traute sich nicht, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Seine Augen waren irgendwie leer, als hätte er unsere Ehe längst abgeschrieben.

»Seit einiger Zeit«, räumte er ein, dabei bügelte er die Eselsohren, die der Aufprall den Scheidungspapieren zugefügt hatte, mit seinen Fingern glatt.

»Und warum jetzt?« Meine Stimme klang kreischend. »Wieso in Gottes Namen hast du nicht einfach mit mir darüber geredet? Jetzt stellst du mich vor vollendete Tatsachen. Überfällst mich mit der Scheidung, die du offensichtlich bereits bis ins kleinste Detail durchgeplant hast.«

»Tut mir leid«, sagte er leise. Er hatte noch nie damit umgehen können, wenn ich ihn kritisierte, was nur äußerst selten vorgekommen war. Obwohl er mir in den zehn Jahren unserer Ehe genug Gründe gegeben hätte. Ganz die treu sorgende Ehefrau hatte ich meine Kritik an ihm, Mal für Mal, heruntergeschluckt. Als er es sich angewöhnt hatte, nach dem Duschen sein nasses Handtuch aufs Bett zu werfen, habe ich geschwiegen. Ich nahm es hin, dass er das Waschbecken ständig unter einer Schicht Bartstoppeln vergrub, und habe tagtäglich seine schmutzigen Socken unter dem Bett hervorgeholt, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren. Im Laufe der Jahre hatte er mir wirklich genug Anlässe gegeben, zu explodieren, aber ich habe nichts gesagt. Nichts. Nie! Jetzt kam ich mir lächerlich vor.

»Du bist immer so verbohrt.« Paul verschränkte die Hände vor der Brust und schüttelte den Kopf, als wäre ich eine Furie, die ihm sein Leben nur unnötig erschwerte. »Ich kann das jetzt einfach nicht mehr. Ich bin es leid, immerzu auf dich Rücksicht nehmen zu müssen.«

Jetzt war das Maß voll. Ich merkte, wie die Wut meine Wangen zum Glühen brachte. »Du und Rücksicht nehmen? Dass ich nicht lache. Ich bin doch diejenige, die dir immer alles recht macht!«

Er winkte ab und stürmte in den Flur, wo er seinen Mantel vom Haken zerrte. Ich folgte ihm, ohne zu wissen, wie ich ihn aufhalten sollte.

»Es ist vorbei, Elisabeth.« Er riss die Haustür auf. Wie versteinert stand ich da. »Besser du findest dich damit ab.« Paul eilte die Auffahrt hinunter, stieg in seinen Wagen und startete den Motor. Ich blieb wie gelähmt im Türrahmen stehen. Fassungslos blickte ich ihm nach, wie er davonrauschte, so lange, bis er nicht mehr zu sehen war.

War das wirklich gerade passiert? Barnabas näherte sich mir mit watschelndem Gang. Die Steuermarke traf dabei mit jedem Schritt klirrend auf sein Geschirr. Gähnend quetschte er sich zwischen meine Beine und betrachtete mich anschließend ratlos.

»Ach Dicker«, brachte ich mit jammervoller Stimme hervor. Ich sah zu ihm herab und unterdrückte ein Schluchzen. Wie in Zeitlupe schloss ich die Tür. Dahinter sank ich erst einmal auf meine Knie und weinte in das seidige Mopsfell. »Was sollen wir denn jetzt nur machen?«

Barnabas gab ein zaghaftes Jaulen von sich, als ich mich an ihn klammerte. Für mich brach eine Welt zusammen. Alles, wovon ich noch bis vor wenigen Minuten überzeugt gewesen war, war mit meinem Mann zur Tür hinaus verschwunden. Einfach so.

Mit sechsunddreißig, ohne Kinder, stand ich da, zurück auf null.

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