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Kapitel zwei

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Als das Telefon klingelte, dämmerte es bereits. Es unterbrach meinen Putzmarathon, den ich seit dem Morgen lethargisch ausführte. Hastig schaute ich in das faltige Hundegesicht vor mir. »Das ist bestimmt das Herrchen!«, raunte ich, legte den Schwamm beiseite und streifte ungeduldig die Gummihandschuhe ab. »Sicher will er sich entschuldigen. Wirst schon sehen.«

»Hallo?«, meldete ich mich wie berauscht.

»Warum dauert das so lange, bis du abnimmst?«

Meine Euphorie verpuffte, denn es war nicht Paul.

»Hallo Mutter. Was gibt’s?«, fragte ich wenig interessiert.

»Ich wollte dir nur sagen, wie herrlich es auf Gran Canaria ist.«

»Schön.«

»Und mit Juan ist alles so umwerfend.«

»Mmh.«

»Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so viel Spaß hatte. Weißt du, neulich Nacht, da hat er mich einfach so …«

»Tut mir leid, aber ich habe jetzt überhaupt keine Zeit zum Telefonieren!«

»Was kann wichtiger sein als deine Mutter?«

Nun, so ziemlich alles, dachte ich. »Ich warte auf einen Anruf von Paul.«

»Paul? Aber es ist doch Sonntagabend. Ist er etwa schon wieder auf Geschäftsreise?«

»So was Ähnliches.«

Sie sog lautstark Luft ein. »Ihr habt euch doch nicht etwa gestritten?«

»Aber nein«, log ich.

»Er hat bestimmt eine andere.«

»Unsinn.« Ich schluckte. »Ich leg jetzt auf.«

»Aber Elisabeth …«

Ich drückte auf den roten Hörer und stellte das Telefon zurück in die Ladestation. Unwillentlich dachte ich über die Wahrscheinlichkeit nach, dass meine Mutter ausnahmsweise mal recht haben könnte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und stellte mir die Frage aller Fragen: War es möglich, dass Paul eine Affäre hatte?

»Nein!« Ich schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein«, sagte ich nun mit einem leicht zweifelnden Unterton. »Aber es schadet ja nicht, mich zu versichern«, murmelte ich schulterzuckend. Barnabas folgte mir in den Keller, wo die Waschmaschine stand. Vor dem Korb mit der Schmutzwäsche ging ich in die Knie. Eigentlich wären die Sachen längst gewaschen und gebügelt in Pauls Schrank, hätte mich der Streit mit ihm heute Morgen nicht völlig aus dem Konzept gebracht. Durcheinander wie ich war, hatte ich gegen meine Gewohnheit zuerst mit den Putzarbeiten begonnen, die noch dazu eigentlich erst für Montag vorgesehen waren. Ich stand neben mir, das war eindeutig.

»Na dann.« Akribisch wühlte ich in dem kleinen Berg Unterwäsche, streng riechender Socken und Barnabas Hundedecke, die eine Reinigung bitter nötig hatte.

»Bingo!«, sagte ich, als ich Pauls Lieblingshemd hervorkramte, das er während seiner Überstunden am Freitag getragen hatte. Rasch breitete ich es auf dem Boden aus und besah es gründlich. Nichts! Ich sank erleichternd seufzend auf die Fersen. Keine auffälligen Flecken. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Blöd von mir, ausgerechnet auf meine Mutter zu hören. Ich schnappte mir das Hemd, stemmte mich auf die Beine und füllte die Waschmaschine. Als ich das Hemd gerade zu den anderen Sachen stecken wollte, kräuselte ich die Nase. Da war ein ekelhaft süßlicher Geruch. Zaghaft schnupperte ich am Kragen und zuckte gleich darauf zusammen. Es war unumstößlich – der Duft eines billigen Parfums ging von diesem Hemd aus. »Das kann nicht sein«, wisperte ich schockiert und mein angeschwellter Herzschlag drohte, mich umzuwerfen. Ich lief nach oben und aus der Tür und schmiss das Hemd in die Tonne vor dem Haus, als wäre es radioaktiv verseucht. Eine Weile starrte ich auf die Mülltonne, wartend auf eine Erleuchtung. »Das beweist gar nichts«, beruhigte ich mich und ging wieder hinein. Barnabas saß auf dem Treppenabsatz und beäugte mich neugierig. Leise schloss ich die Tür und tätschelte seinen Kopf im Vorbeigehen. »Wir stehen das durch«, sagte ich entschlossen. »Wir haben schon einiges zusammen erlebt. Das wirft er nicht einfach weg. Du wirst sehen, Herrchen wird schon bald wieder zu Hause sein.«

Ich war sicher, dass Paul von sich hören lassen würde, also verbrachte ich die Nacht auf der Couch. Mein schnarchender Mops leistete mir Gesellschaft. Gesüßtes Mikrowellenpopcorn und die ungeschnittene Version von Sissi – Mädchenjahre einer Kaiserin, sorgten dabei für die notwendige Normalität. In regelmäßigen Abständen schaute ich auf die Uhr und zwang mich standhaft zu bleiben. Ich würde ihm auf keinen Fall hinterhertelefonieren. Er war schließlich einfach so auf und davon, also war es jetzt an ihm, sich bei mir zu entschuldigen. Um zweiundzwanzig Uhr war ich noch fest überzeugt, dass Paul jeden Augenblick die Tür aufschließen würde, um mich reuig um Vergebung zu bitten. Wir würden tabulosen Versöhnungssex haben und aneinandergeschmiegt einschlafen, so wie es früher war, wenn wir uns gestritten hatten. Ich erlaubte mir also, vorsorglich die Flasche Dom Pérignon zu öffnen, die er für besondere Anlässe aufgespart hatte, kramte die Duftkerzen aus dem Schrank und stellte zwei Sektgläser bereit. Die Uhr tickte gnadenlos vor sich hin. Mittlerweile hatte Franzl Nene abserviert und sich, gegen den Willen seiner Mutter, zu seiner Liebe zu Sissi bekannt. Was für ein Mann! Ich füllte mein Glas und trank den Champagner in einem Zug aus. Barnabas lag auf dem Rücken, die Zunge hing zur Seite aus seinem Mundwinkel und er sabberte auf eins der grünen Satinkissen, die wir von Pauls Mutter zu Weihnachten bekommen hatten. Paul würde durchdrehen, wäre er jetzt hier. War er aber nicht und ich würde den Teufel tun und mein Möpschen in seinem friedlichen Schlaf stören. Mittlerweile war ich so in Rage, dass ich das Kissen nur noch weiter unter sein Maul schob. Ja, tränk es nur ordentlich voll, dachte ich und schüttete ein weiteres Glas hinunter. Und dann kam der Moment: Ich konnte dem Drang nicht länger widerstehen, schnappte mir mein Handy und wählte Pauls Nummer. Doch es meldete sich nur seine Mailbox. Schnaubend sank ich in die Lehnen. Die Flasche leerte sich unterdessen wie von selbst und ich spürte eine unerwartete Leichtigkeit, während ich Barnabas den Rücken kraulte und die Dialoge der Filmreihe mitsprach. Gegen Mitternacht betrat Sissi im Hochzeitskleid die Wiener Augustinerkirche. Der Champagner war ausgetrunken und ich verfolgte mit müden Augen den Abspann des Films. Noch immer kein Lebenszeichen von Paul. Womöglich war ihm etwas zugestoßen! Nein, allmählich begann ich der Tatsache ins Auge zu sehen, dass er bei jemand anderem war. Schniefend zog ich mir die Decke über die Schultern und kuschelte mich neben Barnabas.

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, flimmerte der Fernsehbildschirm noch. Es schellte an der Tür und ich erhob mich, so schnell es nach einer einsam durchzechten, sorgenvollen Nacht ging, vom Sofa. Die Flasche Dom Pérignon rollte über den Fußboden, nachdem ich fast über sie gefallen wäre.

»Ich komme!«, rief ich auf meinem beschwerlichen Weg über den Flur. Es klingelte erneut. Ich riss die Haustür auf.

»Guten Morgen!«, säuselte eine vertraute Stimme.

Ich blinzelte ins Licht der aufgehenden Sonne, die Anja von hinten anstrahlte, als wäre sie ein Engel.

»Morgen Anja. Komm rein.« Ich rieb mir die Augen.

Sie sah mich mit hochgezogenen Brauen an, bevor sie den Flur betrat. Ich gab der Tür hinter ihr einen Schubs und kratzte mich am Hinterkopf.

»Du siehst ja furchtbar aus!«, bemerkte sie mit erschrockener Miene.

»Na ja, ich hab eine ziemlich schlimme Nacht hinter mir.« Ich warf einen Blick in den Spiegel, der neben der Garderobe hing, und zuckte kurz zusammen. Das lange blonde Haar stand mir zu allen Seiten, ich hatte tiefe Ränder unter den Augen und mein normalerweise lupenreiner weißer Hausanzug war fleckig von Schaumweinspritzern und verlaufener Mascara. Anja betrachtete mich immer noch leicht verschreckt.

»Das ist nur Pauls Pérignon und Wimperntusche«, stellte ich klar und deutete auf die Flecken im Stoff. Ich schlurfte ins Wohnzimmer. »Ich hoffe nur, dass ich die Flecken wieder rauskriege.«

»Ähm, ja.« Anja folgte mir. »Ist Paul denn schon da?«

»Nein«, antwortete ich leidig und setzte mich im Schneidersitz aufs Sofa. Barnabas lag immer noch wie komatös da. Man hätte meinen können, er habe sich in der vergangenen Nacht mit mir betrunken.

»Ah.« Anja räusperte sich verschlagen.

»Setz dich doch«, sagte ich. »Was ist denn los? Du wirkst ja total angespannt.«

»Tja, ich …« Sie nahm mir gegenüber auf dem Sessel Platz, wobei ihr Oberkörper jedoch starr wie ein Brett blieb.

Gedanklich versuchte ich den gestrigen Tag zu rekonstruieren und stieß dabei auf ein heikles Detail. »Hab ich dir eigentlich gesagt, dass Paul nicht nach Hause gekommen ist?«

Anja nahm einen tiefen Atemzug, dabei wich sie meinem Blick gezielt aus.

»Wir hatten einen kleinen Streit«, erklärte ich, denn ich wusste nicht mehr, ob ich ihr noch geschrieben hatte. Irgendwie waren meine Erinnerungen ab Sissis Ischl-Aufenthalt etwas lückenhaft.

»Dann hat er es dir also noch nicht gesagt?« Anja sah mich mit scheuem Blick an.

Rasch überlegte ich und stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte, was sie meinte.

Plötzlich ging die Tür auf und ich sprang vom Sofa. Erleichtert über Pauls Rückkehr, sprintete ich ihm auf dem Flur entgegen. »Paul! Du bist wieder da!«

»Ja«, befand er trocken und schaute einfach an mir vorbei. »Ich bin nur hier, um meine Sachen zu holen.«

»Deine Sachen?«

»Ja, meine Sachen. Elisabeth, das, was ich gestern gesagt habe, war mein Ernst. Ich will die Scheidung.«

Meine Wiedersehensfreude war zerschlagen. Ich stand stocksteif da und versuchte meine Bestürzung krampfhaft hinunterzuschlucken. Paul ging an mir vorbei, die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer. Fassungslos starrte ich ihm nach. Anja kam aus dem Wohnzimmer zu mir. Sie legte den Arm um mich und drückte mich leicht an sich.

»Das kann er doch nicht machen«, jammerte ich. »Was habe ich denn falsch gemacht?«

»Gar nichts!«, sagte sie tröstend. »Manchmal ist es aber besser so – für beide.«

»Hast du meine rote Satinkrawatte gesehen?«, rief Paul aus dem Schlafzimmer.

»Sie ist in der Schublade.« Ich schluchzte. »Unten rechts«, fügte ich mit bibbernder Stimme hinzu.

»Ah ja.«

Ich hörte das Klicken seines Kofferschlosses, kurz darauf trabte Paul die Treppe wieder hinunter, in der Hand seinen krokodilfarbenen Trolley. Auf halber Strecke schaute er auf und hielt inne. »Oh, Anja.«

»Paul!«

Er nahm die letzten Stufen und parkte den Trolley vor uns.

»Dann habt ihr über alles geredet«, stellte er fest. »Das ist gut.« Er legte mir mitleidig eine Hand auf die Schulter. »Lies dir die Papiere in Ruhe durch. Ich bin sicher, wir werden uns einig.« Er sprach mit mir, als wäre ich eine seiner Klientinnen. Als würde es hier nicht um unsere zehnjährige Ehe gehen, sondern um unbezahlte Strafzettel.

»Ich glaube, ich lasse euch jetzt besser allein.« Anja löste sich von mir. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln – ach, wie unersetzbar waren doch beste Freundinnen in Situationen wie dieser. Anja ging zur Tür hinaus und Paul und ich standen einander gegenüber. Er wich meinem Blick aus, nahm seine Jacketts vom Haken und legte sie feinsäuberlich über seinen Koffer.

»Wie kannst du zehn Jahre einfach so wegschmeißen?«, brach es aus mir heraus. Ich wollte ihm keine Szene machen, aber die Worte hatten sich von ganz allein aus mir herausbewegt.

»Das tue ich nicht«, sagte er matt. »Wir hatten auch schöne Zeiten.«

Ich verstand ihn nicht. Es war, als würden wir plötzlich verschiedene Sprachen sprechen.

»Elisabeth, es ist einfach wichtig für mich, dass ich mich verändere. Ich brauche das jetzt.«

»Du brauchst das jetzt? Hast du dich jemals gefragt, was ich brauche?«

Er schnalzte mit der Zunge und neigte den Kopf. »Ich wünsche dir alles Gute!« Mit diesen Worten nahm er seinen Trolley und ging.

»Aber, wo wirst du denn jetzt wohnen?«, rief ich ihm nach.

Er hatte die Tür bereits geöffnet, als er sich halb zu mir umdrehte. »Na, wo wohl?«

Ich zuckte die Achseln.

»Bei Anja natürlich.«

Mir blieb das Herz stehen. Mein Mund öffnete sich selbstbeständig und blieb so, als wäre ich ein um Luft ringender Karpfen.

»Mach’s gut!« Er zog die Tür hinter sich zu. Durch das kleine Fenster darin sah ich, wie Anja ihn auf dem Bürgersteig vor unserem Haus in die Arme schloss. Meine Freundin Anja und mein Paul. Das konnte nicht sein. Mir war schwummrig zumute. Ich verlor das Gleichgewicht und sank in mich zusammen.

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