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Kapitel drei

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Erst als Barnabas’ schlabbrige, feuchte Zunge über mein Gesicht fuhr, kam ich wieder zu mir. Nur langsam realisierte ich, was geschehen war. Ich war verraten worden. Meine eigene Freundin hatte mich mit meinem Mann hintergangen und ich hatte es nicht einmal geahnt. Wie bescheuert konnte man sein? Heulend hastete ich in die Küche und durchsuchte sie nach zuckerhaltigen Lebensmitteln. Verzweifelt durchforstete ich die Schränke, ohne auf etwas zu stoßen, das meinen Kummer auch nur annähernd mildern konnte. Seit Pauls Cholesterinwerte grenzwertig waren, hatte ich meine Einkaufsangewohnheiten komplett umgekrempelt. Jetzt bereute ich das! Meine Seele verlangte nach Hochkalorischem, nach Ungesundem und die Tatsache, dass nichts griffbereit war, trieb mir nur noch mehr Tränen in die Augen. »Dem Himmel sei Dank!«, rief ich aus, nachdem ich mich kopfüber in die Kühltruhe gestürzt und dort tatsächlich etwas entdeckt hatte. Die Familienpackung Karamell-Vanilleeiscreme hatte ich wohl beim Ausmisten übersehen. Mindestens haltbar bis Dezember 2016 – seit einem Jahr und drei Monaten abgelaufen – egal. Ich riss den Deckel herunter und schaufelte die sahnige Masse in mich hinein, ohne Rücksicht auf etwaig folgende Magenschmerzen oder Speckrollen. Wen kümmerte das jetzt noch?

In den darauffolgenden Tagen tat ich nichts weiter, als vor dem Fernseher zu sitzen und ungesundes Zeug in mich hineinzufressen, das ich im Eilverfahren im Supermarkt besorgt hatte. Vermutlich wäre das ewig so weitergegangen, wäre meine Schwester nicht eines Tages aufgetaucht.

Es klingelte schon zum dritten Mal an der Tür, als ich mich endlich aufraffte.

»Elisabeth! Mach auf. Sonst trete ich die Tür ein«, hörte ich Bina vor der Tür, in ihrer gewohnt feinfühligen Art.

»Wenn du nicht öffnest, muss ich die Polizei rufen. Bist du tot? Wegen dir ruft mich Brigitte die ganze Zeit an. Sie kann dich nicht erreichen. Du weißt, wie ich es hasse, wenn sie mich nervt. Es wäre also besser für dich, wenn du schon tot wärst, sonst müsste ich dich jetzt dafür umbringen.«

Ich öffnete.

»Du bist also nicht tot!«

»Schockiert dich das?«

Sie schob sich hinein und schloss die Tür hinter sich, anschließend besah sie mich kritisch von Kopf bis Fuß.

»Na ja, du siehst aber auch nicht gerade aus wie das blühende Leben. Ist alles in Ordnung?«

Diese Frage konnte ich gerade gar nicht vertragen. Ich watschelte zurück ins Wohnzimmer. Und wieder brach in mir der Tränendamm. »Gar nichts ist in Ordnung. Paul hat mich verlassen.«

»Oh.« Bina hob die Augenbrauen, während der Rest von ihr völlig ungerührt blieb. Ich sank zurück in die Sofakuhle, die ich in den vergangenen Tagen sorgfältig angelegt hatte.

»Wann hat er dich denn verlassen?«

»Es war ein Sonntag«, antwortete ich mit bibbernder Unterlippe. Blind griff ich nach der Taschentuchpackung, zog eines heraus und schnäuzte mich.

»Na so was.« Bina schob Barnabas unsanft beiseite, ließ sich neben mich in den Sitz fallen und strich sich das kinnlange, grellrote Haar zurück. »Das hätte ich jetzt nicht gedacht.«

»Ja, dabei war der Sonntag doch immer unser spezieller Tag«, heulte ich.

Sie stöhnte genervt. »Das hab ich nicht gemeint. Ich hätte meinen Arsch darauf verwettet, dass du ihn irgendwann in den Wind schießt. Diesen langweiligen Kotzbrocken.«

Ich starrte sie schockiert von der Seite an. »Aber ich habe Paul geliebt.«

Wieder stöhnte sie auf. »Na, das versteh mal einer!«

»Was willst du überhaupt hier?«, hakte ich mit immer noch zittriger Stimme nach.

»Glaub mir, ich könnte mir auch Schöneres vorstellen, als hier zu sitzen und dir dabei zuzusehen, wie du wegen diesem Mistkerl die Flutschen hängen lässt, aber deine Mutter macht sich Sorgen.«

Ich zog die Nase hoch. Genau genommen war es auch Binas Mutter, aber Bina hatte überhaupt keinen Draht zu ihr, weshalb sie sie schlicht bei ihrem Vornamen nannte: Brigitte.

»Sie macht sich Sorgen?« Das überraschte mich. Für gewöhnlich kümmerte sich unsere Mutter um niemand sonst, als um sich selbst.

Bina zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich ist sie wieder nur sensationslustig. Sie schien irgendetwas zu ahnen. Kannst du dir vorstellen, warum?«

Ich seufzte leidig. »Kann ich.«

Bina nickte.

Eine Weile saßen wir einfach nur da. Mein Blick glitt erneut ins Leere und der Schmerz überkam mich ein weiteres Mal. Tränen liefen meine Wangen hinab, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.

Ich spürte Binas Blick auf mir. Sie hatte Paul noch nie ausstehen können und ich war sicher, sie war heilfroh, dass er endlich weg war.

»Ist es wirklich aus? Ich meine, endgültig?« Sie sah mich mitleidig an.

Ich schluckte erschwert, dann nickte ich. »Er hat jetzt jemand Neues.«

»Hm. Die Arme.«

Ich schenkte ihr einen missbilligenden Blick.

»Ich meine ja nur. Sie wird vor Langeweile eingehen wie eine Trockenpflaume im Ofen.«

Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Anja«, hauchte ich, ohne dabei aufzuschauen.

»Was ist mit ihr?«

»Sie ist die Neue.«

Bina schoss ruckartig hoch. »Was? Anja?«

Ich nickte mit zusammengekniffenem Mund.

»Ich glaub’s ja nicht! Und ich dachte, ihr wärt so dicke.«

»Das dachte ich auch«, winselte ich. Ich hatte an einem Tag nicht nur meinen Mann, sondern auch den Menschen verloren, dem ich über Jahre hinweg alles anvertraut hatte. Anja kannte sämtliche Details aus meiner Ehe, Streitpunkte, die es zwischen mir und Paul gegeben hatte. Ich wusste nicht, was schlimmer war: die Tatsache, dass der Mann, den ich liebte, die Scheidung wollte, oder, dass mich meine beste Freundin die ganze Zeit über belogen hatte.

»Was hast du denn jetzt vor?« Bina stupste mich mit dem Ellenbogen in die Seite.

»Na was schon.« Ich starrte vor mich auf den Couchtisch. Leere Weinflaschen lagen umgekippt, inmitten von Popcorn, Chips und zerknüllten Schokoladenpackungen.

»Wann hast du das letzte Mal geduscht?« Bina schob sich vor mein Sichtfeld und rümpfte die Nase.

Ich sah an meinem Jogginganzug hinunter und zuckte die Achsel. »Weiß nicht. Hab jegliches Zeitgefühl verloren.«

»Kein Wunder!« Bina linste auf den Stapel mit den Sissi DVDs vor dem Fernseher. »Hast du dir die etwa reingezogen?«

Ich hob eine Schulter an.

»Echt krasses Zeug. Die sind doch schon hundert Jahre alt! Elisabeth, ich bin deine kleine Schwester, deshalb darf ich das sagen: Du musst echt aufhören, dir diese alten Streifen anzuschauen. Ich meine, davon muss man ja total abdrehen.«

Ich schnaufte protestierend. »Also ich bin sicher nicht die Einzige, für die Kaiserin Sissi ein Vorbild ist.«

»Hatte die nicht auch leichte Stimmungsschwankungen?«

»Vielleicht«, gab ich widerwillig zu. »Aber das ist nicht wirklich belegt.«

»Also mir reicht es jetzt. Wann hast du dich eigentlich das letzte Mal im Spiegel angeschaut? Du siehst aus wie aus The Walking Dead.«

Beschämt schaute ich an mir hinunter.

»Das kann ja nicht ewig so weitergehen.«

»Es ist gerade mal zwei Wochen oder so her«, verteidigte ich mich.

Bina kräuselte die Lippen und nickte. »Ja, so riecht es hier auch.« Sie warf einen Blick in die offene Küche, wo sich das schmutzige Geschirr stapelte.

»Die ersten Ratten haben wahrscheinlich schon ihre Nester gebaut.«

Ich starrte verstohlen zur Decke. Jetzt nur nicht wieder anfangen zu heulen, ermahnte ich mich. »Was soll ich deiner Meinung nach machen, hm? Soll ich etwa so tun als wäre ich nicht gerade sitzengelassen worden von meinem Mann, mit dem ich über zehn Jahre meines Lebens verbracht habe? Paul war alles für mich.«

»Ach ja? Jetzt verrate ich dir mal was, Paul ist und war schon immer ein riesengroßes Arschloch. Ein Egozentriker, der sich auf Kosten anderer ein angenehmes Leben gemacht hat. Du kannst froh sein, dass du ihn los bist. Du bist besser dran ohne ihn.«

Versehentlich kam ich an die Fernbedienung. Der Fernseher schaltete sich ein. Ich seufzte laut. »Aber ich weiß gar nicht, wer ich ohne ihn bin.«

»Nicht dein Ernst!« Bina fasste sich an die Stirn. »Du magst es vielleicht vergessen haben, aber du hattest ein Leben vor Paul. Jetzt komm mal aus den Kuschen.«

Ich sah zu ihr auf, dann wanderte mein Blick unwillkürlich Richtung Bildschirm.

»Denk doch nur mal daran, was für Möglichkeiten du jetzt wieder hast. Du könntest komplett neu anfangen, dir einen Wunsch erfüllen, irgendetwas, das du wegen Paul längst abgehakt hattest.«

Als hätte jemand vorgespult, war Sissi gerade auf Madeira angekommen, um sich dort wegen ihrer Lungenerkrankung zu kurieren.

»Du hattest Träume, Elisabeth«, fuhr Bina fort. »Versuch dich daran zu erinnern, wie es vor Paul war. Wie du vor Paul warst.« In ihrer Stimme schwang Bedauern mit und ich wusste sofort, worauf sie anspielte. Es stimmte, ich hatte mich für Paul verändert und aufgehört die zu sein, die Bina gekannt hatte. Ihr Besuch hatte mich deswegen so überrascht, weil sie schon seit Jahren nicht mehr einfach so bei mir aufgetaucht war. Paul hatte Bina immer kritisiert. Ihren Lebensstil, ihre Einstellungen, selbst ihre Frisur. Für ihn war Bina eine Versagerin, das schwarze Schaf der Familie, das man lieber vor den Augen aller versteckt hielt. Und ich hatte mich nie für sie eingesetzt. Urplötzlich überkam mich das schlechte Gewissen wie ein Fieberschub, denn jetzt war sie diejenige, die für mich da war. Nicht Anja, nicht meine Mutter, sondern meine Schwester Bina, für die ich nie die Stimme erhoben hatte. Gedankenverloren starrte ich auf den Fernseher. Sissi hatte gerade beschlossen einen Tempel errichten zu lassen und setzte nun ihre Reise nach Korfu fort. Korfu, tönte es in meinem Innern. Und plötzlich durchschoss mich die Idee wie ein Stromschlag. Ich sprang so hastig vom Sofa auf, dass selbst Barnabas aus dem Tiefschlaf erwachte.

»Was ist?« Bina sah mich besorgt an.

Ich ließ den Blick schweifen, während die Idee sich in mir festigte.

»Hast du jetzt einen Nervenzusammenbruch?«, erkundigte Bina sich vorsichtig.

Ich konnte nichts sagen. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Ich spielte die Idee durch, wägte Möglichkeiten ab, stellte mir ein Leben am Meer vor. Idylle pur. Freundliche Menschen, Unabhängigkeit. Ein Leben fernab aller Probleme.

Bina stellte sich vor mich und sah mir ängstlich ins Gesicht. »Elisabeth?«

»Das ist es!«, wisperte ich und stierte neben sie auf den zugemüllten Couchtisch.

Bina folgte meinem Blick. »Was denn?«

»Mein Traum. Das ist es, was ich machen will!«

»Ähm, du willst also Kartoffelchips machen?«

»Aber nein!« Ich schob Bina näher zum Fernseher, wo Sissi und ihre Hofdamen griechische Altertümer besichtigten.

Die Szene hatte ich schon hundertmal gesehen, doch jetzt rief sie in mir eine verstaubte Sehnsucht wach.

»Okay«, raunte Bina. »Aber du weißt schon, dass deine Chancen Kaiserin von Österreich zu werden, gegen Null gehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das meine ich doch gar nicht! Ich rede von dem anderen Traum. Dem realistischen.«

»Ah, du meinst dein kleines Café?«

Ich war überrascht, dass sie es noch wusste. Bevor ich Paul kennenlernte, hatte ich von nichts anderem gesprochen. Nach dem Schulabschluss war ich fest entschlossen gewesen, ein eigenes Café zu eröffnen. Mit der Heirat hatte ich mein Vorhaben zunächst aufgeschoben, dann vernachlässigt und schließlich, in den letzten Jahren, endgültig begraben – das dachte ich zumindest. »Warum nicht? Ich werde aus Köln weggehen.« Auf einmal hatte ich alles glasklar vor Augen.

»Du willst deiner geliebten Stadt den Rücken kehren?« Bina runzelte die Stirn. »Bist du sicher, dass ich keinen Krankenwagen rufen soll?«

»Es ist mir ernst, Bina! Was hält mich denn schon hier? Ich dachte, ich wäre glücklich. Ich dachte, dass es immer so weitergehen würde. Paul und ich, zusammen bis ans Ende unserer Tage.«

Bina ließ ein angewidertes Grunzen hören.

»Aber ich habe mir etwas vorgemacht. Es ist mein Leben. Warum nicht mal etwas riskieren?«

Sie betrachtete mich mit verblüffter Miene. »Und wohin willst du gehen?«

Ich nahm die Fernbedienung und drückte die Stopptaste. »Dorthin!« Ich schaute zum Standbild, das die korfiotische Küste eingefangen hatte. Beim Anblick des paradiesischen Strandes empfand ich ein Fernweh, das sämtliche Gedanken um Paul und Anja verdrängte.

»Du willst in Griechenland ein Café eröffnen?«

Ich nickte entschlossen. »Genau!«

»Mit Kaffee und Kuchen und allem Drum und Dran?«

»Ja!«

»Und warmem Apfelstrudel mit Sahne?«

»Ja.« Ich lächelte schwelgend, als hätte ich den Verstand verloren.

»Das klingt total verrückt und könnte vermutlich unpassender nicht sein, wenn man an das dortige Klima und die Finanzkrise denkt.«

Ich zuckte die Schultern, immer noch lächelnd.

Bina lachte auf. »Klingt als wäre es genau das Richtige für mich!«

Ich fuhr herum und sah meine Schwester abwartend an.

»Nun ja, zufällig warte ich schon länger auf eine gehobene Anstellung, also, wenn du mich gebrauchen kannst, bin ich dabei.«

Augenblicklich fiel ich ihr um den Hals. »Natürlich kann ich dich brauchen! Ich würde mich unglaublich freuen, wenn du mitkommst!«

»Dann ist es beschlossen!«

Es tat gut, meine kleine Schwester mit im Boot zu wissen. Ich wusste, ich konnte mich auf sie verlassen. Gemeinsam würden wir das Abenteuer Neuanfang wagen.

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